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Staehlin, Rudolf
Das Motiv der Mantik im antiken Drama — Giessen: Toepelmann, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.74897#0115
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Das Motiv der Mantik im antiken Drama

105

Der Bescheid der Pythia läßt das Gegenspiel in Aktion
treten: Kreusa wird zum Mordanschlag veranlaßt. Beim
Spiel löst der Orakelspruch Freude aus; sie gelangt in dem
Festgelage zum Ausdruck. Vorzeichen und Zeichen bewirken
die Vereitelung des Mordplanes und für das Gegenspiel die
Aussicht auf drohenden Untergang1. Die Anagnorisis wird
durch die divinatorische Eingebung Apollons an seine Priesterin
herbeigeführt.
Der Dichter hat demnach eine sehr kunstvoll angelegte
Ökonomie, zu der er aus dem Gebiet der Mantik zwei Sprüche
Apollons, einen des Trophonios, und zwei Zeichen verwendet.
Bei den Zeichen beachte man, daß sie sich erst einen einzigen
Moment vor dem Mord ereignen, genau wie die Eingeweide-
schau in der euripideischen „Elektra" und der Traum im
„Rhesos."
Was Euripides von den hier betrachteten Motiven selbst
erfunden hat und was er schon im Mythos vorfand, das läßt
sich großenteils nur durch Schlüsse ex silentio ermitteln 2.
Sophokles hatte in seinem „Ton" 3 Xuthos wahrscheinlich
im Prolog zusammen mit Kreusa und Ion auftreten lassen4;
demnach fällt für Sophokles die Verwendung des Motivs, daß
Xuthos das Trophoniosorakel befragt, weg. Es muß nicht
notwendig Euripides das Motiv als Neuerung gegenüber

„Nicht vorgreif' ich dem Delphischen Sitz und dem Seher Apollo;
Aber hüte dich, Xuthus, daß, deinem Geschlecht nachstrebend,
Nicht du den Fall des Geschlechtes erwirbst, und des Hauses Zerrüttung".
Der Spruch des Trophonios ist so nicht treibendes Moment wie bei Euripides,
sondern retardierendes Moment; er dient auch mit dazu, Kreusa zum Mord-
anschlag zu veranlassen (86). Schlegel geht so weit, durch die Pythia
einen Gegensatz zwischen Apollon und dem „Nachtweissager“ (113) Tro-
phonios konstruieren und durch die Priesterin den Trophonios direkt dis-
kreditieren zu lassen.

1 Auch Schlegel hat beide Zeichen beibehalten und sich hier sehr eng
an Euripides angelehnt.

2 Ich folge den Ausführungen Ermatingers (aaO. 112 ff.), dessen
Schlüsse auch von Dieterich (Pauly-Wissowa VI Sp. 1259) angenommen sind.

3 Oder nach Welcker (Die griechischen Tragödien 391) „Kreusa“ ge-
nannt, vgl. dagegen Ermatinger aaO. 123, der zwei verschiedene Stücke

annimmt. 4 Welcker aaO.
 
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