Das Motiv der Mantik im antiken Drama
131
da sie vor der Handlung des Stückes liegen. Wir dürfen in
dieser kurzen Erwähnung wohl eine Reminiszenz an den
Traum Klytaimestras erblicken; der Trauminhalt muß aber,
da nicht Klytaimestra, sondern Elektra träumt, anders werden.
Agamemnon scheint im Traum seine Tochter zur Rache auf-
gefordert zu haben, eine ungemein häufige Form der antiken
Träume, als deren ältestes Beispiel das Erscheinen des Pa-
troklos bei Achilleus und seine Bitte um Bestattung anzu-
sehen ist.
§ 29. Iphigeneia in Aulis
Die Griechenflotte, zur Ausfahrt nach Kleinasien bereit,
liegt in Aulis wegen Windstille fest. Agamemnon erzählt (89 ff.):
Käl%ag d' 6 udvru; aitoqla Kexg^evoig
dvellev "Icpuy&veiav i)v ea/tetf eyco
Uqz^iÖc 3üaai q rod' oixov'^ n^dov,
%al it'kovv T eaeaSat xal xaraacpaydg ^ovyOv.
Warum Artemis das Opfer begehrt, erfahren wir im Drama
nicht. Darin liegt bewußte Absicht des Tragikers1: die ganze
Handlung soll von der bloßen Willkür des Kalchas abhängig
gemacht werden, um ein auf Priestertrug gegründetes Intri-
guenstück zu schaffen.
Nur Menelaos, Agamemnon und Odysseus kennen diesen
Spruch. Dieser Wahrspruch des Sehers, der vor dem Beginn
der Handlung liegt und dem Zuschauer nur erzählt wird, ist
die Triebfeder, der Träger des ganzen Dramas; auf ihn gehen
in letzter Instanz alle Vorgänge der Tragödie zurück: die
Anzettelung der Intrigue, der sich ein retardierendes Moment
in der — vereitelten — Absendung des zweiten Briefes ent-
gegenstellt; der Wortagon zwischen den beiden Atreiden mit
dem Verzicht des Menelaos auf das Opfer des Mädchens; das
Beharren Agamemnons bei seinem Entschluß, veranlaßt durch
1 Das hat schon Welcker, Aeschylische Trilogie 415 gesehen; vgl. auch
von Wilamowitz, Hermes XVIII 253.
9*
131
da sie vor der Handlung des Stückes liegen. Wir dürfen in
dieser kurzen Erwähnung wohl eine Reminiszenz an den
Traum Klytaimestras erblicken; der Trauminhalt muß aber,
da nicht Klytaimestra, sondern Elektra träumt, anders werden.
Agamemnon scheint im Traum seine Tochter zur Rache auf-
gefordert zu haben, eine ungemein häufige Form der antiken
Träume, als deren ältestes Beispiel das Erscheinen des Pa-
troklos bei Achilleus und seine Bitte um Bestattung anzu-
sehen ist.
§ 29. Iphigeneia in Aulis
Die Griechenflotte, zur Ausfahrt nach Kleinasien bereit,
liegt in Aulis wegen Windstille fest. Agamemnon erzählt (89 ff.):
Käl%ag d' 6 udvru; aitoqla Kexg^evoig
dvellev "Icpuy&veiav i)v ea/tetf eyco
Uqz^iÖc 3üaai q rod' oixov'^ n^dov,
%al it'kovv T eaeaSat xal xaraacpaydg ^ovyOv.
Warum Artemis das Opfer begehrt, erfahren wir im Drama
nicht. Darin liegt bewußte Absicht des Tragikers1: die ganze
Handlung soll von der bloßen Willkür des Kalchas abhängig
gemacht werden, um ein auf Priestertrug gegründetes Intri-
guenstück zu schaffen.
Nur Menelaos, Agamemnon und Odysseus kennen diesen
Spruch. Dieser Wahrspruch des Sehers, der vor dem Beginn
der Handlung liegt und dem Zuschauer nur erzählt wird, ist
die Triebfeder, der Träger des ganzen Dramas; auf ihn gehen
in letzter Instanz alle Vorgänge der Tragödie zurück: die
Anzettelung der Intrigue, der sich ein retardierendes Moment
in der — vereitelten — Absendung des zweiten Briefes ent-
gegenstellt; der Wortagon zwischen den beiden Atreiden mit
dem Verzicht des Menelaos auf das Opfer des Mädchens; das
Beharren Agamemnons bei seinem Entschluß, veranlaßt durch
1 Das hat schon Welcker, Aeschylische Trilogie 415 gesehen; vgl. auch
von Wilamowitz, Hermes XVIII 253.
9*