212
Rudolf Staehlin
Schluß
Die Frage nach der Genesis des Motivs der Mantik, das
wir in vorliegender Untersuchung durch das antike Drama
hindurch verfolgt haben und dessen Sinn und Bedeutung wir
darzulegen versuchten, ist nicht schwer zu beantworten. Bei
der Besprechung der einzelnen Tragödien hatten wir sehr
oft Anlaß, auf irgendein Epos als Quelle für die Sagen-
gestaltung hinzuweisen.
Im Epos liegt die Wurzel unseres Motivs; es ist bereits
in den meisten Mythen, die ihren stärksten Niederschlag im
Epos gefunden haben, gegeben und mit der Dramatisierung
des Epos übernommen worden, so gut wie zahlreiche andere
Motive des Epos, etwa die Anagnorisis ^ der deus ex machina 2
und andere mehr.
In vielen Fällen hätte das Motiv der Mantik vom Tra-
giker beim besten Willen nicht ausgeschaltet werden können,
weil es zum Kern der Sage gehört, z. B. in der Orestes- und
Oidipussage. In ebenso zahlreichen anderen Fällen aber hätte
das Divinationsmotiv vom Tragiker, wenn er es gewollt hätte —
mochte es auch schon im Mythos gegeben sein —, bei seiner
bekannten Freiheit dem Stoff gegenüber unterdrückt werden
1 Paul Hoffmann De anagnorismo, Diss. Breslau 1910, 61 ff.
2 Ich möchte das Divinationsmotiv als Vorstufe zum tragischen Motiv
des persönlichen Erscheinens eines Gottes auffassen; die Szene, in der uns
das am deutlichsten zum Bewußtsein kommt, ist die Pyladesszene der
„Choephoren". Siehe S. 35.
Rudolf Staehlin
Schluß
Die Frage nach der Genesis des Motivs der Mantik, das
wir in vorliegender Untersuchung durch das antike Drama
hindurch verfolgt haben und dessen Sinn und Bedeutung wir
darzulegen versuchten, ist nicht schwer zu beantworten. Bei
der Besprechung der einzelnen Tragödien hatten wir sehr
oft Anlaß, auf irgendein Epos als Quelle für die Sagen-
gestaltung hinzuweisen.
Im Epos liegt die Wurzel unseres Motivs; es ist bereits
in den meisten Mythen, die ihren stärksten Niederschlag im
Epos gefunden haben, gegeben und mit der Dramatisierung
des Epos übernommen worden, so gut wie zahlreiche andere
Motive des Epos, etwa die Anagnorisis ^ der deus ex machina 2
und andere mehr.
In vielen Fällen hätte das Motiv der Mantik vom Tra-
giker beim besten Willen nicht ausgeschaltet werden können,
weil es zum Kern der Sage gehört, z. B. in der Orestes- und
Oidipussage. In ebenso zahlreichen anderen Fällen aber hätte
das Divinationsmotiv vom Tragiker, wenn er es gewollt hätte —
mochte es auch schon im Mythos gegeben sein —, bei seiner
bekannten Freiheit dem Stoff gegenüber unterdrückt werden
1 Paul Hoffmann De anagnorismo, Diss. Breslau 1910, 61 ff.
2 Ich möchte das Divinationsmotiv als Vorstufe zum tragischen Motiv
des persönlichen Erscheinens eines Gottes auffassen; die Szene, in der uns
das am deutlichsten zum Bewußtsein kommt, ist die Pyladesszene der
„Choephoren". Siehe S. 35.