Das Motiv der Mantik im antiken Drama
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und meldet die Vorgänge im feindlichen Lager, die die Rich-
tigkeit der Prophezeiung des Teiresias beweisen. Wie wir
sehen, verwendet der Tragiker das Motiv des Seherspruches
— der Seher wird entsprechend der sekundären Bedeutung
dieser Prophezeiung so wenig redend eingeführt wie etwa
Kalchas im „Aias" —, um beim Zuschauer psychische Wirkun-
gen hervorzubringen, so wie er es in den „Persern" mit dem
Traum und dem Vogelzeichen getan hatte, ferner um das
Erscheinen des Boten und damit den Botenbericht zu motivieren.
Daß das Motiv an dieser Stelle wohl von Aischylos selbst
erfunden ist, kann kaum bezweifelt werden; es ist ja so sehr
auf das Drama zugeschnitten, daß wir es schwerlich schon
in die Sage zu setzen haben, wenn sie auch vielleicht gewisse
Anhaltspunkte dargeboten hat.
Als der Bote zum zweitenmal die Bühne betritt, um
dem König Meldung über die Bewegungen der Belagerer zu
erstatten, meldet er (377 ff.):
Tudevg fy föq n^bg itblaiGi noocTiaiv
ß^Qt&t, tcoqov 6° 'lo^vov ouz 6a rteqav
6 ^avzig' ov yap acpayca ytyverai xald.
Mit diesem Spruch des Sehers wird der Grund angegeben,
warum Eteokles auf der Bühne verbleiben und die Zeit mit
Sprechen und Anhören der Botenrede über die feindlichen
Heerführer statt mit Kämpfen zubringen kann1. Dem Tadel
des Euripides (Phoinissen 751 ff.) freilich ist Aischylos trotz
dieser Motivierung nicht entgangen. Beim Bericht über
Amphiaraos, bei dem der Dichter mit besonders warmem In-
teresse verweilt 2, erzählt der Bote von ihm (587 ff), wie er
1 Bergk, Griech. Lit.-Gesch. III 296.
2 Plutarch Aristeides Kap. 3 erzählt, daß in der Aufführung der
Sieben im Theater zu Athen bei Vers 592:
ov yu.o dox&lv u^igtos, d^X' elvat &&X&1
sich aller Augen auf den anwesenden Aristeides gerichtet hätten. Das
Publikum hat also wohl gefühlt, wie sehr die Zeichnung des Amphiaraos
mit dem Charakter des Aristeides übereinstimmte. Die Vermutung ist nicht
unwahrscheinlich, Aischylos habe die Figur des Sehers unmittelbar nach
dem Vorbild seines athenischen Mitbürgers gearbeitet (so z. B. O. Müller,
Gesch. d. griech. Lit. 2 II 91; Dieterich bei Pauly-Wissowa I Spalte 1018).
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und meldet die Vorgänge im feindlichen Lager, die die Rich-
tigkeit der Prophezeiung des Teiresias beweisen. Wie wir
sehen, verwendet der Tragiker das Motiv des Seherspruches
— der Seher wird entsprechend der sekundären Bedeutung
dieser Prophezeiung so wenig redend eingeführt wie etwa
Kalchas im „Aias" —, um beim Zuschauer psychische Wirkun-
gen hervorzubringen, so wie er es in den „Persern" mit dem
Traum und dem Vogelzeichen getan hatte, ferner um das
Erscheinen des Boten und damit den Botenbericht zu motivieren.
Daß das Motiv an dieser Stelle wohl von Aischylos selbst
erfunden ist, kann kaum bezweifelt werden; es ist ja so sehr
auf das Drama zugeschnitten, daß wir es schwerlich schon
in die Sage zu setzen haben, wenn sie auch vielleicht gewisse
Anhaltspunkte dargeboten hat.
Als der Bote zum zweitenmal die Bühne betritt, um
dem König Meldung über die Bewegungen der Belagerer zu
erstatten, meldet er (377 ff.):
Tudevg fy föq n^bg itblaiGi noocTiaiv
ß^Qt&t, tcoqov 6° 'lo^vov ouz 6a rteqav
6 ^avzig' ov yap acpayca ytyverai xald.
Mit diesem Spruch des Sehers wird der Grund angegeben,
warum Eteokles auf der Bühne verbleiben und die Zeit mit
Sprechen und Anhören der Botenrede über die feindlichen
Heerführer statt mit Kämpfen zubringen kann1. Dem Tadel
des Euripides (Phoinissen 751 ff.) freilich ist Aischylos trotz
dieser Motivierung nicht entgangen. Beim Bericht über
Amphiaraos, bei dem der Dichter mit besonders warmem In-
teresse verweilt 2, erzählt der Bote von ihm (587 ff), wie er
1 Bergk, Griech. Lit.-Gesch. III 296.
2 Plutarch Aristeides Kap. 3 erzählt, daß in der Aufführung der
Sieben im Theater zu Athen bei Vers 592:
ov yu.o dox&lv u^igtos, d^X' elvat &&X&1
sich aller Augen auf den anwesenden Aristeides gerichtet hätten. Das
Publikum hat also wohl gefühlt, wie sehr die Zeichnung des Amphiaraos
mit dem Charakter des Aristeides übereinstimmte. Die Vermutung ist nicht
unwahrscheinlich, Aischylos habe die Figur des Sehers unmittelbar nach
dem Vorbild seines athenischen Mitbürgers gearbeitet (so z. B. O. Müller,
Gesch. d. griech. Lit. 2 II 91; Dieterich bei Pauly-Wissowa I Spalte 1018).