34 Rudolf Staehlin
der Stellvertreter Apollons sei, gebraucht der Tragiker das
unvergleichliche Mittel, ihn auch äußerlich als Gottgesandten
zu bezeichnen: er öffnet ihm als einer stummen Figur den
Mund für ein kurzes Wort, nur das eine Mal, und gerade das
muß dem Zuschauer deutlich machen, daß es sich bei der
Mahnung des Pylades um ein Ding von höchster Wichtigkeit
handelt.
Von diesem Augenblick an weiß Orestes, daß er nicht
mehr als Mensch, mit eigenem Willen \ sondern kraft gött-
lichen Befehles die grausige Tat vollziehen muß; er baut auf
die Hilfe des Gottes, der ihn das Rachewerk geheißen hat,
der ihn daher auch beschützen wird. Von diesem Augenblick
an weiß auch der Zuschauer, daß der Gott den Menschen
abgelöst hat, und daß die ganze treibende Kraft des Mutter-
mordes Apollon ist.
Nach dem Muttermord tritt wieder das Orakelmotiv in
Kraft: Apollon hat dem Mörder befohlen, zu allererst zu ihm
nach Delphi zu kommen. So stellt der Tragiker auch hier
wieder, ebenso wie im „Agamemnon", die innere Verknüpfung
des einzelnen Dramas mit der nächstfolgenden Tragödie der
Trilogie her; die Handlung gewinnt mit dem durch das Orakel
motivierten Weggang des Orestes äußerlich einen Abschluß,
und innerlich wird durch das Motiv auf das letzte Stück der
Trilogie hingewiesen, so daß der Zuschauer mit neugespannter
Erwartung aus dem Schluß der „Choephoren" scheidet und
seine Blicke zu den „Eumeniden" richtet. Es scheint diese
Technik, gerade durch die Mantik den Zusammenhang der
Trilogie herzustellen, von Aischylos mit besonderer Vorliebe
gebraucht worden zu sein. Das Beispiel der Prometheus-
trilogie, wenigstens der ersten zwei Stücke, der Oidipustrilogie
—- wie die „Sieben" deutlich genug erkennen lassen —, und
1 Vgl. Herwig aaO. 18; Rohde, Psyche4 II 230. Fleischmann (aaO.)
geht m. E. fehl, wenn er für das ganze Drama den eigenen Willen des
Orestes neben dem Gott mitwirken läßt; der Einschnitt, den die Pylades-
szene in die Tragödie macht, ist viel tiefer als Fleischmann annimmt. Wenn
Fleischmann auf Choephoren 298 rekurriert, so übersieht er eben, daß Orestes
nach der Pyladesszene innerlich ein ganz anderer geworden ist, so daß wir
seine Worte im ersten Teil des Dramas nicht gegen den zweiten Teil aus-
spielen dürfen.
der Stellvertreter Apollons sei, gebraucht der Tragiker das
unvergleichliche Mittel, ihn auch äußerlich als Gottgesandten
zu bezeichnen: er öffnet ihm als einer stummen Figur den
Mund für ein kurzes Wort, nur das eine Mal, und gerade das
muß dem Zuschauer deutlich machen, daß es sich bei der
Mahnung des Pylades um ein Ding von höchster Wichtigkeit
handelt.
Von diesem Augenblick an weiß Orestes, daß er nicht
mehr als Mensch, mit eigenem Willen \ sondern kraft gött-
lichen Befehles die grausige Tat vollziehen muß; er baut auf
die Hilfe des Gottes, der ihn das Rachewerk geheißen hat,
der ihn daher auch beschützen wird. Von diesem Augenblick
an weiß auch der Zuschauer, daß der Gott den Menschen
abgelöst hat, und daß die ganze treibende Kraft des Mutter-
mordes Apollon ist.
Nach dem Muttermord tritt wieder das Orakelmotiv in
Kraft: Apollon hat dem Mörder befohlen, zu allererst zu ihm
nach Delphi zu kommen. So stellt der Tragiker auch hier
wieder, ebenso wie im „Agamemnon", die innere Verknüpfung
des einzelnen Dramas mit der nächstfolgenden Tragödie der
Trilogie her; die Handlung gewinnt mit dem durch das Orakel
motivierten Weggang des Orestes äußerlich einen Abschluß,
und innerlich wird durch das Motiv auf das letzte Stück der
Trilogie hingewiesen, so daß der Zuschauer mit neugespannter
Erwartung aus dem Schluß der „Choephoren" scheidet und
seine Blicke zu den „Eumeniden" richtet. Es scheint diese
Technik, gerade durch die Mantik den Zusammenhang der
Trilogie herzustellen, von Aischylos mit besonderer Vorliebe
gebraucht worden zu sein. Das Beispiel der Prometheus-
trilogie, wenigstens der ersten zwei Stücke, der Oidipustrilogie
—- wie die „Sieben" deutlich genug erkennen lassen —, und
1 Vgl. Herwig aaO. 18; Rohde, Psyche4 II 230. Fleischmann (aaO.)
geht m. E. fehl, wenn er für das ganze Drama den eigenen Willen des
Orestes neben dem Gott mitwirken läßt; der Einschnitt, den die Pylades-
szene in die Tragödie macht, ist viel tiefer als Fleischmann annimmt. Wenn
Fleischmann auf Choephoren 298 rekurriert, so übersieht er eben, daß Orestes
nach der Pyladesszene innerlich ein ganz anderer geworden ist, so daß wir
seine Worte im ersten Teil des Dramas nicht gegen den zweiten Teil aus-
spielen dürfen.