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Staehlin, Rudolf
Das Motiv der Mantik im antiken Drama — Giessen: Toepelmann, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.74897#0069
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Das Motiv der Mantik im antiken Drama

59

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Um der Erfüllung dieses Götterspruches zu entgehen1,
hat Oidipus sich entschlossen, Korinth zu meiden und nicht
mehr zu seinen Eltern zurückzukehren, hat eine andere
Richtung genommen und an einem Dreiweg in Notwehr einen
Greis erschlagen. So ist er nun in furchtbarem Zweifel, ob
der von ihm Getötete nicht Laios war, ob somit nicht auf ihn
selbst das Verderben fällt, das Delphi und er selbst über den
Mörder des Königs ausgesprochen haben.
Da kommt ein Bote von Korinth mit der Nachricht für
Oidipus, sein Vater Polybos sei verstorben und ihn erwarte
der Königsthron. Nun verhöhnt lokaste Phoibos Apollon und
die ganze Seherkunst (964). Oidipus ist nur noch in Sorge
um den zweiten Teil der delphischen, ihm ehemals erteilten

1 Tieffenbachs (Sophokles' Oedipus Tyrannos, Programm des Wilhelms-
gymnasiums zu Königsberg i. Pr. 1905, 17) Auffassung von diesem dem
Oidipus gewordenen Orakel, von der „inneren Erneuerung" und dem „Ringen
in heißem Gebet", das Oidipus hätte vornehmen sollen, ist gut christlich,
aber nicht antik. Gegenüber solchen Ansichten darf man an das Wort
Friedrich Nietzsches (in „Wir Philologen", X 351 der Großoktavausgabe
der Werke Nietzsches) erinnern: „die griechischen Götter verlangten keine
Sinnesänderung und waren überhaupt nicht so lästig und zudringlich: da war
es auch möglich, sie ernst zu nehmen und zu glauben", und an das scharfe
Urteil, das von Wilamowitz (Übersetzung des Oidipus Tyrannos 14) aus-
gesprochen hat: „Wer in den Oidipus des Sophokles eine Schuld hinein-
interpretiert, der fälscht das Gedicht und versündigt sich an der Religion
des Dichters". — Durch die Rezension der von Wilamowitzschen Über-
setzung des Oidipus Tyrannos von Richard Opitz (Neue Jahrbücher für das
klassische Altertum III 298) erfahre ich, daß wiederholt, vor einiger Zeit
von Wetzel erneuert, der Versuch gemacht worden ist, die Befragung des
Orakels so darzustellen, als beziehe Oidipus das ihm erteilte Orakel gar
nicht auf die Blutschande, sondern auf „eine bloße Versündigung, so daß er
recht wohl von der Vorstellung beherrscht sein könne, er solle — im
Rausch etwa — sich an der Mutter vergehen und im Streit darüber den
Vater erschlagen". Mit einer ausführlichen Widerlegung würde einer solchen
Aufstellung zu viel Ehre angetan.
 
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