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Steinmann, Ernst
Rom in der Renaissance: von Nicolaus V. bis auf Julius II. — Berühmte Kunststätten, Band 3: Leipzig: Seemann, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.74094#0026
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Rom in der Renaissance.

und nirgends anders konnten diese vorn Geist der ersten Christen beseelten Heiligen-
darstellungen entstehen, die tiefsinnigsten Legendenschilderungen, welche der Renaissance-
kunst überhaupt gelungen sind.
Ein goldiger Abglanz leise gedämpften Lichtes ruht an sonnenhellen Tagen
auf den Fresken der kleinen Nicolauskapelle, ein Allerheiligstes der Kunst von so
geschlossenem Charakter, von so weihevoller Stimmung, daß kein Besucher sich dem
frommen Zauber Fra Angelicos entziehen kann. Cin einziges Kreuzgewölbe über-
deckt den schmalen hohen Kapellenraum, dessen Langseiten breite Rundbogen be-
grenzen. Die vier Evangelisten — Zohannes und Lukas von jeder Restauration
scheinbar unberührt — prangen an der Decke, Kirchenväter und Heilige von gotischen
Baldachinen geschützt an den breiten Bogengurten an Wand und Decke. Einst soll
eine Grablegung von Fra Angelicos Hand die geradlinig geschlossene Altarwand ge-
schmückt haben, aber dieselbe fiel im Zähre (7(2 der Restauration Clemens' XI. zum
Opfer, wenn fie nicht schon vorher durch Vasaris Steinigung des Stephanus ersetzt
worden ist.
Line Marmorverkleidung mit reichem Renaissanceornament bedeckt den Boden,
den in der Witte eine Sonne ziert, um welche sich im Bogen die Zeichen der
zwölf Monate scharen. Eine reich gearbeitete Pforte, die das Wappen der Rovere
krönt, hat Julius II. dem jetzt sehr fragmentarischen Schmuck der Kapelle hinzugefügt,
ein untrügliches Zeichen, daß derselbe Papst, welcher aus einem Michelangelo die
erhabensten Gedanken, die kühnsten Bilder hervorzulocken verstand, auch dem Genius
eines Fra Angelico gerecht zu werden vermochte.
Stofflich konnten Leben und Sterben der beiden Märtyrer-Diakonen dem Künstler
nur geringe Abwechselung bieten. Die Grdination, die Predigt und die Verteilung
der Almosen, das Verhör vor den Henkern endlich und die Hinrichtung, alle diese
Vorgänge vollziehen sich in beiden Heiligenleben in ziemlich gleicher Weise. Nur
wird im Leben des Stephanus im Anschluß an die Apostelgeschichte auf die Redner-
gabe des Heiligen besonderer Nachdruck gelegt, während Laurentius vor allen: als
Tröster und Wohlihäter der Armen geschildert wird. Heiliger Ernst und väterliche
Güte spricht aus den Zügen des Apostelfürsten, wie er Kelch und Hostie dem
knieenden Stephanus reicht, die dieser in dankbarer Demut empfängt, während sich
die Apostel in ziemlich steifer Haltung im Hintergründe aufgestellt habeu (Abb. 7).
Zm folgenden Bilde waltet der neue Diakon seines Amtes, der Almosenverteilung an
eine ruhig-dankbare Menge, während ein Priesterknabe neben ihm von hocherhobenem
Pergamentblatt die Namen dem Empfänger abzulesen scheint (Abb. 8). Dann
folgt die Predigt auf öffentlichem Platze, ein Bild von so hinreißender Anmut, von
solcher Mannigfaltigkeit und Tiefe des Ausdrucks, wie dem Künstler in dieser Kapelle
vielleicht kein zweites gelungen ist (Abb. st). Stephanus zählt seine Beweisgründe
an den Fingern her ganz ebenso wie Masaccios heilige Caterina; voll ruhiger
Würde steht er da, und kein Zug seines Gesichtes verrät die Bewegung seines
Inneren. Knr ihn herum sitzen in aller Einfalt auf den: nackten Boden die an-
dächtig lauschenden Matronen in lange Mäntel gehüllt, ein weißes Schleiertuch um
Kopf und Schultern geschlagen, während ihre Männer stehend in einiger Entfernung
zuhören. Man betrachte nur die drei Frauen, welche ganz im Vordergründe hinter
 
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