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Steinmann, Ernst
Rom in der Renaissance: von Nicolaus V. bis auf Julius II. — Berühmte Kunststätten, Band 3: Leipzig: Seemann, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.74094#0182
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Rom in der Renaissance.

Wäre dies Denkmal mit all seinen: plastischen Schmuck in den großartig
schönen Verhältnissen so gedankenreich und formgewaltig vollendet worden, wie es
Tondivi und Vasari beschreiben, die Mausoleen römischer Täsaren würden dagegen
wie gigantisch ausgetürmte architektonische Massen erscheinen ohne die schöne
Harmonie der Verhältnisse, ohne den tiesen Sinn eines gewaltigen bis ins einzelne
durchgeführten Ruhmesgedankens. Aber das Verhängnis, welches auf diesen: Papst-
grabe ruhte seit jenem denkwürdigen Apriltage W06, als Michelangelo Ron: in:
Zorn den Rücken kehrte, ist ihn: die langen Jahrzehnte hindurch treu geblieben,
und so sehr auch der Meister in heiliger Pietät gegen seinen ersten und größten
Gönner bestrebt war, die übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen, immer wollte
ihn jeder der folgenden Päpste in: Dienste des eigenen Ruhmes thätig sehen. So
gelangten von den geplanten vierzig Statuen außer einigen Fragmenten überhaupt
nur füuf zur Ausführung: die zwei Sklaven in: Louvre, die Allegorieen des thätigen
und beschaulichen Lebens und endlich der Moses in San Pietro in Vineoli
(Abb. s^o). Geplant und entworfen wurden wohl alle diese Statuen noch zu Lebzeiten
Julius' II., aber erst nach seinen: Tode, in den Jahren sSsZ—iss?, hat sie
Michelangelo in seiner berühmten Werkstatt an: Macel de' Torvi in Angriff
genommen und zum Teil vollendet. Die Phantasie noch ganz erfüllt von
den Titanengestalten der Sistina, das Perz betrübt durch den Pingang seines
Papstes und mit den Gedanken die Vergangenheit suchend, wo er ihn: gedient,
hat der Meister den Moses geformt, den gewaltigen Schlußstein jener großen
Aulturepoche, die in Julius II. ihren Gipfelpunkt erreicht Hatte. Die Bemerkung
des Aardinals von Mantua, daß der Moses allein genüge, das Andenken des
Roverepapstes zu ehren, hat noch heute einen tiefen Sinn, den niemand besser zu
würdigen vermochte, als Michelangelo selbst, welcher in: Moses die Zerstörung
seiner Iuliusstatue in Bologna gerächt zu haben scheint. In diesen: Marmor ist
die erhabenste Puldigung ausgesprochen, die jemals ein Aünstler einen: Fürsten
dargebracht hat, und doch ist damit seine Bedeutung noch lange nicht erschöpft.
Wer kann durch den wechselnd bewegten Spiegel des Meeres in seine unergründlichen
Tiefen hinabschauen, wer kann behaupten, in vergänglichen Zügen die ewigen
Geheimnisse der Seele lesen zu können? Daß er durch seine Schöpfungen zu jeden:
seine eigene Sprache redet und einen: jeden etwas anderes sagt, ist einer der größten
Triumphe des Genius und eins seiner heiligsten Rechte, das wir in Demut an-
erkennen sollen. Wenn wir vor den: Moses in San Pietro in Vincoli uns selber
verlieren und doch uns selber wiederfinden, fo können wir wohl ahnen, wie einzig-
artig in diesem Marmor die Verbindung des allgemeingültigen und des individuell
beschränkten gelungen ist, aber begreifen können wir das Wunder nicht.
Symbolisch, wie die Allegorieen zur Rechten und Linken, verkörpert der
gewaltigste der Patriarchen des alten Bundes alles, was die Renaissance helden-
haftes in sich trug, er scheint die Arone jener starken Individualitäten zu sein,
welche damals die Natur so verschwenderisch schuf. Niemals offenbarte Michel-
angelo glänzender feine Promelheusabstammung, wie hier, wo er den Schöpfer selbst
Herauszufordern scheint: schaffe den Menschen so übermenschlich, wie ich es gethan,
und er wird des Lebens Lust und Leid überwinden lernen!
 
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