Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Steinmann, Ernst
Rom in der Renaissance: von Nicolaus V. bis auf Julius II. — Berühmte Kunststätten, Band 3: Leipzig: Seemann, 1899

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74094#0183
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
5. Julius II.

169

Und doch ist dieser Moses, in dessen machtvoller Erscheinung Michelangelo
die unerschütterliche Heldenkraft seines Papstkönigs verherrlichen wollte, in dessen
Seele er die Abgrundstiefen des eigenen Empfindens versenkte, so ganz das mensch-
gewordene Ideal des Gesetzgebers, des Priesters und Propheten des alten Bundes,
daß ihn die Juden Roms sich zum Glaubenshort erkoren und jeden Sabbat in
großen Scharen ,wic die Stare' nach San Pietro in Vincoli pilgerten, ihren ,Eapitano'
zu sehen und anzubeten, ,nicht wie man menschliche, sondern göttliche Dinge ver-
ehrt'. So erfüllten sich die Träume Michelangelos, und wenn er das jüdische Volk
in inbrünstiger Andacht um den steinernen Abgott knieen sah, dann konnte er sich
sagen, daß er verstanden war. In solcher Beziehung zur Menschheit und in keiner
anderen hatte er sich den Moses vorgestellt, als er sein lebendiges Bild in einsamem
Schaffenskampf langsam dem toten Stein entriß; den letzten, großen, stillen Augen-
blick im sturmbewegten Leben des Patriarchen hielt er fest, wie er noch einmal
Israel um sich sammelt, sein Testament zurückzulassen. Wie Signorelli vor ihm
in der Sistina den ehrwürdigen Hirten, seine letzten Gebote verkündigend, geschildert
hatte, so ist auch der Moses Michelangelos nicht mehr der starre Gesetzgeber, nicht
mehr der fürchterliche Feind der Sünde mit dem Iehovahzorn, sondern der königliche
Priester, welchen das Alter nicht berühren darf, der segnend und weissagend, den
Abglanz der Ewigkeit auf der Stirn, von seinem Volke den letzten Abschied nimmt.
Wer wollte es nicht wagen, den ernsten Sinn dieser Situation auf Iulius II. zu
beziehen, dessen Ende so würdig, so siegreich überwindend war, wie sein Leben
Aampf und Mühsal gewesen? Wer wollte nicht an den Schmerz und die Liebe
eines Michelangelo glauben, wenn schon ein Raphael durch den Tod dieses Papstes
so erschüttert war, daß er erklärte, den Pinsel nicht mehr führen zu können?
Mit einer Apotheose, wie sie keinem Imperator glänzender geboten war
schlossen die Tage der Rovere in Rom, und während Iulius II. mit dem Tode
rang, begeisterten sich die Römer an der Vergötterung seines Lebens. An einem
der Rarnevalstage des Jahres säsZ belebte die Straßen der wundergewöhnten
Stadt ein Festzug, dessen Herrlichkeit noch lange Jahre die Phantasie des Volkes
beschäftigt hat. Der Senat, die Tonfervatoren, die ganze ritterliche Jugend Roms,
alle ihre Aunst- und Handwerksgenosfenschaften versammelten sich einmütig auf
dem Tapitol, von welchem die Prozession ihren Weg zur Piazza Navona nahm.
Hier sah man über den endlosen Scharen des feierlich einherfchreitenden Volkes
einen Triumphwagen nach dem anderen sich erheben, eins Allegorie nach der
anderen sich entwickeln, Ruhmesthaten und Erfolge des fterbenden Papstes zu ver-
herrlichen. An einen Eichbaum gebunden sah man die gebändigte Romagna als
Gefangene ausgeführt, von einer Friedenspalme beschützt, von Bewaffneten umringt
erschien das befreite Italien und hinterher das gedemütigte Bologna. Andere
Allegorieen unterworfener Provinzen folgten, Po und Tiber schloffen sich an, das
ausgerottete Schisma wurde in zahllosen Gleichnissen verhöhnt. Dann türmte sich
mitten im Auge, hoch über der staunenden Menge, ein Obelisk empor, auf dem
in aller Welt Sprachen geschrieben stand: Iulius II., dem Befreier Italiens, dem
Ueberwinder des Schismas! Posaunenton verkündete endlich den großen Triumph-
wagen des lateranischen Aonzils, und jubelnd begrüßte die Menge den vergötterten
Steinmann, Rom in der Renaissance. 22
 
Annotationen