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Rom in der Renaissance.
der Menge dahinschwebte und endlich als Statthalter Lhristi am Altar über
dem Apostelgrabe erschien, wo er allein nur die Messe feiern durfte, dann mochte
der Fremdling, von Bewegung überwältigt, in die Knie sinken, und solch ein Anblick
schien ihm durch die Mühsal der langen gefahrvollen Reise nicht zu teuer erkauft.
Aber wenn er endlich meinte, in Rom dem Himmel näher zu fein, als anderswo,
und feines gesicherten Seelenheiles sich zu freuen begann, dann verwirrten neue
Eindrücke seine Sinne, die ihm so unbegreiflich waren, wie der Anblick dieser Stadt,
deren Gegenwart ebenso gewaltig schien, wie ihre Vergangenheit. Festliche Aufzüge,
Kriegsspiele und Stiergefechte von unerhörter Fracht belebten die Straßen und
Plätze und störten den Frieden der melancholischen Trümmerwelt, wo sonst nur
Dichter und Philosophen geträumt, die Schatzgräber umherstöberten und fremde
Künstler nach vergessenen Baumotiven suchten. Der märchenhafte Glanz des Orients
nahm damals felbst die Phantasie des gleichmütigen Römers gefangen, wenn Dschem,
der Bruder des Großsultans, mit seinem Gefolge auf die Jagd zog, und er erzählte
jedem, der es Hören wollte, daß nun endlich die alte Prophezeiung zur That
geworden sei, welche verhieß, daß der Fürst der Ungläubigen selbst, der Todfeind
der Thristenheit, als Gefangener des Papstes in Rom erscheinen würde. Aber er
wußte noch von anderen Dingen zu sagen. Und wenn der Pilger fragte, wer der
vornehmste und ritterlichste unter all den Rittern fei, den jedermann mit Scheu und
Ehrfurcht grüßte, dann nannte man ihm Tesare Borgia, den Sohn des Papstes,
und wollte er den Namen der schönsten unter den Frauen wissen, ,die da vast
Herlich und statlich pranget^, so sagte man ihm, es sei Lucrezia, die allmächtige
Tochter des Papstes. Wehe ihm, wenn er dann seine Ohren dem flüsternden Gerede
nicht verschloß, das über die Sitten Alexanders Vl., über das geheimnisvolle Ende
des Herzogs von Gandia, über die Verbrechen Lesares und über all die Heiraten
Lucrezias die lästersüchtige Stadt erfüllte. Sonst mochte er wankend werden in
seinem Väterglauben an eine vollständig verweltlichte Kirche und an einen Stell-
vertreter Gottes, der Sitte und Gesetz mit Füßen trat. Ueberstand er dann dis
Schrecknisse der Reise und war er der Pest entronnen, die damals ganz Italien
verheerte, dann berichtete er in der Heimat staunenden Zuhörern von den unerschöpf-
lichen Wundern der ewigen Stadt, von den unerhörten Dingen, die dort täglich
geschahen, und endlich vergaß er selber gar im Kampfe des täglichen Lebens, was
er gesehen und erlebt, und nur hin und wieder noch stieg das Bild der Petersstadt
in seiner Erinnerung empor, ein glänzendes Traumbild, das seinen Geist verwirrte,
das ihm den Atem raubte, an dessen Wirklichkeit er selber nicht mehr glauben konnte.
Alexander Vl. und nicht Znnocenz VIII. Hat der Kunst des ausgehenden
Quattrocento das Gepräge verliehen, aber auch der Genueserpapst aus dem Geschlechte
der Libo begünstigte, soweit es seine indifferente Natur gestattete, dis zahlreichen
Architekten, Bildhauer und Maler, welche, zum Teil noch von seinen: Vorgänger
gerufen, in Ron: verweilten. Wurde doch überdies der wankelmütige Lharakter
des Papstes gänzlich von dem eisernen Willen des Giuliano della Rovere, des groß-
artigen Beschützers der Künste und Wissenschaften, beherrscht, der damals selber den
Umbrier Perugino in seinem Palaste bei den Apostoli beschäftigte. Aber gerade
die großartigen Bauten, welche Znnocenz VIII. im Vatican aufführen ließ, die
Rom in der Renaissance.
der Menge dahinschwebte und endlich als Statthalter Lhristi am Altar über
dem Apostelgrabe erschien, wo er allein nur die Messe feiern durfte, dann mochte
der Fremdling, von Bewegung überwältigt, in die Knie sinken, und solch ein Anblick
schien ihm durch die Mühsal der langen gefahrvollen Reise nicht zu teuer erkauft.
Aber wenn er endlich meinte, in Rom dem Himmel näher zu fein, als anderswo,
und feines gesicherten Seelenheiles sich zu freuen begann, dann verwirrten neue
Eindrücke seine Sinne, die ihm so unbegreiflich waren, wie der Anblick dieser Stadt,
deren Gegenwart ebenso gewaltig schien, wie ihre Vergangenheit. Festliche Aufzüge,
Kriegsspiele und Stiergefechte von unerhörter Fracht belebten die Straßen und
Plätze und störten den Frieden der melancholischen Trümmerwelt, wo sonst nur
Dichter und Philosophen geträumt, die Schatzgräber umherstöberten und fremde
Künstler nach vergessenen Baumotiven suchten. Der märchenhafte Glanz des Orients
nahm damals felbst die Phantasie des gleichmütigen Römers gefangen, wenn Dschem,
der Bruder des Großsultans, mit seinem Gefolge auf die Jagd zog, und er erzählte
jedem, der es Hören wollte, daß nun endlich die alte Prophezeiung zur That
geworden sei, welche verhieß, daß der Fürst der Ungläubigen selbst, der Todfeind
der Thristenheit, als Gefangener des Papstes in Rom erscheinen würde. Aber er
wußte noch von anderen Dingen zu sagen. Und wenn der Pilger fragte, wer der
vornehmste und ritterlichste unter all den Rittern fei, den jedermann mit Scheu und
Ehrfurcht grüßte, dann nannte man ihm Tesare Borgia, den Sohn des Papstes,
und wollte er den Namen der schönsten unter den Frauen wissen, ,die da vast
Herlich und statlich pranget^, so sagte man ihm, es sei Lucrezia, die allmächtige
Tochter des Papstes. Wehe ihm, wenn er dann seine Ohren dem flüsternden Gerede
nicht verschloß, das über die Sitten Alexanders Vl., über das geheimnisvolle Ende
des Herzogs von Gandia, über die Verbrechen Lesares und über all die Heiraten
Lucrezias die lästersüchtige Stadt erfüllte. Sonst mochte er wankend werden in
seinem Väterglauben an eine vollständig verweltlichte Kirche und an einen Stell-
vertreter Gottes, der Sitte und Gesetz mit Füßen trat. Ueberstand er dann dis
Schrecknisse der Reise und war er der Pest entronnen, die damals ganz Italien
verheerte, dann berichtete er in der Heimat staunenden Zuhörern von den unerschöpf-
lichen Wundern der ewigen Stadt, von den unerhörten Dingen, die dort täglich
geschahen, und endlich vergaß er selber gar im Kampfe des täglichen Lebens, was
er gesehen und erlebt, und nur hin und wieder noch stieg das Bild der Petersstadt
in seiner Erinnerung empor, ein glänzendes Traumbild, das seinen Geist verwirrte,
das ihm den Atem raubte, an dessen Wirklichkeit er selber nicht mehr glauben konnte.
Alexander Vl. und nicht Znnocenz VIII. Hat der Kunst des ausgehenden
Quattrocento das Gepräge verliehen, aber auch der Genueserpapst aus dem Geschlechte
der Libo begünstigte, soweit es seine indifferente Natur gestattete, dis zahlreichen
Architekten, Bildhauer und Maler, welche, zum Teil noch von seinen: Vorgänger
gerufen, in Ron: verweilten. Wurde doch überdies der wankelmütige Lharakter
des Papstes gänzlich von dem eisernen Willen des Giuliano della Rovere, des groß-
artigen Beschützers der Künste und Wissenschaften, beherrscht, der damals selber den
Umbrier Perugino in seinem Palaste bei den Apostoli beschäftigte. Aber gerade
die großartigen Bauten, welche Znnocenz VIII. im Vatican aufführen ließ, die