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Steinmann, Ernst
Rom in der Renaissance: von Nicolaus V. bis auf Julius II. — Berühmte Kunststätten, Band 3: Leipzig: Seemann, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.74094#0134
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Fünftes Kapitel.
Julius II.
Als der junge Augustinermönch, Martin Luther, zum ersten Male von den
Abhängen des Monte Mario herab die Herrlichkeit Roms erblickte, wo damals
eben Raphael und Michelangelo im Vatican ihre unsterblichen Fresken malten,
sank er von Dank- und Glücksgefühl überwältigt in die Knie, und, die Hände aus-
breitend .gegen den Hochaltar seiner jugendlichen Träumeh brach er in die Worte aus:
,sei mir gegrüßt, du heiliges Rom!' Wenn fromme Pilger in folgenden Jahr-
hunderten über den flachen Höhenzügen der immer grünen Lampagna höher und
höher die leichtfchwebende Linie der Peterskuppel sich erheben fahen, wurden sie
von gleicher Empfindung überwältigt, und diefelben Gefühle bewegen uns noch
heute, wenn uns zum ersten oder letzten Male das Wahrzeichen der ewigen Stadt
am Horizonte grüßt, die gewaltige Ruppel Michelangelos, welche sich wie der
Schatten ihrer versunkenen Weltherrschaft über den: Häufermeer der Hügelftadt
erhebt.
Und doch hat nicht die Renaissance, sondern der Barockstil den Lharakter
des modernen Rom bestimmt. Der Petersplatz selbst, die monumentalen Kirchen-
fassaden von Gesü, von San Giovanni in Laterano, von S. Maria Maggiore,
von San Luigi dei Francesi sind ebenso glänzende Erzeugnisse des siebzehnten und
achtzehnten Jahrhunderts wie alle die riesigen Paläste und die zahllosen Wasser-
anlagen und Fontänen. Barock ist meist auch das Innere der alten Basiliken
und der prunkvollen Neubauten, und ernste Gemüter klagen mit Recht, es gäbe
unter den vielen Hundert Kirchen der Priesterstadt auch nicht eine, wo sich ein
Thristenmensch so andächtig gestimmt fühle, wie in den ehrwürdigen Kathedralen
von Florenz, Siena, Orvieto, Pisa oder gar wie in der Grabeskirche des hl. Franz
zu Assisi.
Ebenso tragen auch in der Profanarchitektur bei flüchtiger Betrachtung die
meisten Städte Italiens ein weit altertümlicheres Gepräge, wie das neue Rom,
wo wir verlassene Höfe und entlegene Gassen aufsuchen müssen, um seinen intimen
Tharakter kennen zu lernen, der auch hier noch in den meisten Fällen durch
Umbauten entstellt ist. Aber welch eine träumerische Stille ruht über diesen halb-
verfallenen Fürftensitzen und aufgehobenen Klöstern, wo in den weiten gras-
bewachsenen Höfen die Brunnen melancholisch plätschern und die elendeste Armut
 
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