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Steinmann, Ernst
Rom in der Renaissance: von Nicolaus V. bis auf Julius II. — Berühmte Kunststätten, Band 3: Leipzig: Seemann, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.74094#0142
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Rom in der Renaissance.

die flüchtige Erscheinung des Lebens dort unten scheint oben an den Münden in
unvergänglichen Zügen festgehalten zu sein. Die Gemälde Botticellis, Peruginos,
Eignorellis lassen sich beschreiben und erklären; um ihre kulturgeschichtliche Bedeutung
zu würdigen, müssen wir mit dem Geiste des Quattrocento vertraut sein. Nicht so
Michelangelo! Seine Blalerei in der Sistina ist über Raum und Zeit erhaben,
sie wendet sich an den Menschen ohne jede Voraussetzung, aber sie verlangt von
ihm dieselbe Konzentration, denselben heiligen Ernst, dieselbe Tiefe des Nachdenkens
und Empfindens, die einst der Schöpfer dieser neuen Weltenschöpfung aufgewandt.
Nein Gelehrter hatte ihm, wie es fonst wohl Sitte war, das Programm der Dar-
stellung entworfen, Michelangelo fagt es selbst, daß ihm der Papst, nachdem der
Rünstler den ersten Plan als ,eine armselige Sachen verworfen hatte, ganz einfach
aufgetragen, zu machen, was er wollte. Da bedarf es keiner Erklärung, daß der
Meister des Moses und des David, der sich den Araftgestalten des alten Testamentes


MU Die Schöpfung Adams.

so innerlich verwandt fühlte, die Schöpfungsgeschichte als Thema wählte, nachdem
die großen Begebenheiten des alten Bundes von Moses an schon an den Wänden
dargestellt waren. Hatte doch überdies Savonarola, dessen Andenken Michelangelo
sein Lebenlang teuer gewesen ist, die Phantasie seiner Zuhörer mit den Helden-
bildern der Propheten und all den mächtigen Gestalten der Röntge und Patriarchen
des alten Bundes erfüllt, hatte er doch zuerst vor den Augen der erschütterten
Menge das Bild des alttestamentlichen Jehova erstehen lassen, vor dem die Erde
erbebt und die Rreatur sich in banger Furcht verbirgt.
Der Plan Michelangelos ist groß und einfach, und wenn wir das figuren-
reiche architektonische Gerüst als das ansehen wollen, was es ist, als Rahmen für
die Bilder, unendlich leicht zu verstehen (Abb. <)8). Faßt man von den neun Mittel-
bildern der Decke je drei zusammen, so ergiebt sich als Vorwurf für die erste Gruppe die
Schöpfung der Welt, für die zweite die Schöpfung des Menschen und sein Fall,
für die dritte die Sünde und ihre Strafe, wobei für das volle Verständnis der
dritten Gruppe zu beachten ist, daß Michelangelo ursprünglich die Geschichte Rains
 
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