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Steinmann, Ernst
Rom in der Renaissance: von Nicolaus V. bis auf Julius II. — Berühmte Kunststätten, Band 3: Leipzig: Seemann, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.74094#0093
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Z. Sixtus IV.

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Auch Botticelli hat rechts und links in den Nebenscenen seiner wild bewegten
Schilderung entfesselter Leidenschaften und zerstörter Naturgesetze zahlreiche Bildnisse
vornehmer Hofherren angebracht und neben dem Prälaten rechts in der Ecke, schräg
über dem richtenden Bloses, nach allgemein gültiger Malersitte sich selber gemalt.
Er trägt ein schwarzes Barett und einen schwarzen, goldschattierten Bittel, blickt
ein wenig vorgebeugt scharf zur Seite und erregt unsere Teilnahme durch den
liebenswürdigen, leicht melancholischen Ausdruck seiner jugendlichen Züge.
Eine Würde und Große ohnegleichen, eine wahrhaft himmlische Ruhe ver-
klärt jDeruginos Schlüsselübergabe in wirkungsvollstem Gegensatz zu Botticellis tief-
erregter Schilderung (Abb. 65). Ein Heldengeschlecht schöner Jünglinge, charaktervoller
Männer, ehrwürdiger Greise nimmt an der bedeutungsvollen Handlung teil; zur äußersten
Rechten haben sich außerdem H>erugino selbst, die Architekten der Sistina mit Zirkel
und Richtmaß und einige andere Zeitgenossen eingefunden. Im Hintergründe erhebt
sich auf einem freien Hlatze der kuppelgekrönte Tempel von Jerusalem, und etwas
abseits zur Rechten und Linken sind zwei Triumphbögen ausgebaut, deren Inschriften
Sixtus IV. als einen zweiten Salomo preisen. Die kleinen Figuren im Mittelgründe
verdienen wenig Beachtung; sie stellen die Geschichte vom Zinsgroschen dar und den
Versuch der Juden, Iesum zu steinigen. Dagegen nehmen die mächtigen Gestalten
des Vordergrundes unsere ungeteilteste Aufmerksamkeit in Anspruch (Abb. 66). Sie
äußern alle Teilnahme und Andacht, nur der schwarzbärtige Judas greift mit der Hand
in den Säckel und blickt mit grimmigem Ernst aus dem Bilde Heraus. Petrus ist
in die Bnie gesunken, dankbar und ernst blickt er zu Thristus empor, der ihm mit
milder Freundlichkeit die mächtigen Schlüssel überreicht. Gleich hinter ihm erscheint
Iohannes, ein herrlicher Jüngling mit lang Herabwallendem Lockenhaar, ganz von
neidloser Freude und liebender Hingabe erfüllt, die seelenvollste Schöpfung Heruginos
in dem ganzen Gemälde. Die zwei Apostel neben ihm hat dagegen einer seiner
zahlreichen Schüler ausgeführt, und die Tharakterköpfe der zwei Alten Hinter Thristus
kann niemand anders gemalt haben als Signorelli, der das Fresko, welches deutliche
Spuren eines frühen Verfalls zeigt, vielleicht in späteren Jahren restaurieren mußte.
Das priesterliche Geschlecht des Stammes Levi, dessen Rechte in der Bestrafung
der Rotte Borah so nachdrücklich verteidigt werden, dessen geheiligte Machtstellung
auf Erden in jDeruginos Schlüsselübergabe so glänzend begründet wird, ist auch
von Signorelli in den letzten Thaten des Moses ganz besonders charakterisiert worden.
Das herrliche Gemälde, welches mit der größten Sorgfalt in allen Einzelheiten
vollendet wurde, schließt das Leben des Moses ab und steht in enger typologischer
Beziehung zu Rossellis letztem Abendmahl an der Wand gegenüber. Wie Moses
noch einmal die zwölf Stämme Israels zusammenruft, ihnen fein Testament zu
geben, so versammelt auch Jesus zum Abschied noch einmal die zwölf Jünger um
seinen Abendmahlstisch, ihnen das letzte und größeste seiner heiligen Gebote zu geben:
liebet Euch unter einander, wie ich Euch geliebet habe!
An der Fülle des zu verarbeitenden Stoffes ist aber auch Signorellis Bompo-
sitionstalent gescheitert; es wimmelt schon im Vordergründe seines Gemäldes von
Figuren, und erst allmählich gelingt es dem Auge, die einzelnen Vorgänge zu scheiden
(Abb. 67). Rechts thront auf erhöhtem Sitz, vor dem man die Bundeslade mit dem
 
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