70. Wappen Alexanders VI. (Borgia.)
Viertes Rapitel.
Irmorenz VIII. und Alexander VI.
Die Pilgerscharen, welche im Zubiläumsjahre 1 oOO von nah und fern so
zahlreich nach Rom strömten, daß alle Bewohner des Erdkreises in einer einzigen
Stadt versammelt zu sein schienen, mußten ihre Vorstellung von der Welt der
Wunder, die sich ihnen aufthat, und wäre sie noch so phantastisch gewesen, durch
die Wirklichkeit übertroffen fehen. Zwar gaben die stolzen Hügel, die heiligen
Ruinen, die Raphaels Freund Eastiglione wenige Zahre fpäter fo ergreifend besungen
hat, die hundert Zahre früher einen Brunellesco die Gegenwart vollständig vergessen
ließen, der ewigen Roma noch immer das Gepräge; aber in wundersamstem Kontrast
zu all den düsteren Zeugen einer schicksalsvollen Vergangenheit hatte sich mitten auf
den Trümmern der alten Welt eine neue glänzende Stadt erhoben, deren Herrlich-
keiten die Pilger an eine neue Weltherrschaft Roms glauben machen mußten. Ein
starkes Menschengeschlecht, das vom Leben erlaubtes und verbotenes mit gleicher
Kühnheit forderte, das genießen wollte und zu genießen verstand, hatte sich, von
Glück- und Ruhmessehnsucht getrieben, in der heiligen Stadt zusammengefunden, und
am Hofe des Statthalters Lhristi auf Erden fah man die Pracht und die Sitten
römischer Kaiser sich erneuern. Es schien, als müsse das alte Rom mit seinen ehr-
würdigen Traditionen und all seinen glorreichen Denkmälern einer neuen Zeit zum
Gpfer fallen, deren Willenskräfte ungeschwächt, deren Bedürfnisse schrankenlos und
deren phantastische Träume von Reichtum, Glanz und Schönheit durch keine Wirk-
lichkeit übertroffen werden konnten.
Noch weideten die Rinderherden mitten in der Stadt auf dem Marsfelde
und auf dem Forum Romanum, und die stolzen Trümmer der Kaiserpaläste auf
dem Palatin hatten barbarische Hände noch nicht berührt. Die Siegessäulen Trajans
und Marc Aurels, die Triumphbögen Tonstantins und des Septimius Severus,
zahllose Ruinen von Tempeln und Thermen predigten noch in stummer, erschüttern-
der Sprache den grausamen Wechsel der Zeiten, die Größe und den Verfall der stolzen
Hauptstadt der Welt. Za, die Humanisten träumten von einem neuen Reiche der alten