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gegen den Körper. Ihr Blick ist betend
abwärts gewandt, die Hände falten sich
vor der Brust, jedoch so, dass sich nur
die Fingerspitzen berühren. Von linksher
kommt Joseph mit dem Hute in der Hand
und dem Knotenstock sachten Schrittes ge-
gangen ; stärker, als es die leise Bewegung
motiviert, wird sein Mantel zurückgeweht.
In der Öffnung links stehen mit andächtig
entblössten Häuptern zwei Hirten. Rechts
lagern Ochs und Esel, und in der Mitte geht
der Blick in eine breitwellige Hügellandschaft
mit Felsen, Büschen und Bäumen und mit
einem Flirten, dem ein hernieder schwebender
Engel die frohe Botschaft verkündet; hell
scheint die Sonne darüber. Der heilige
Bischof und der heilige Andreas sind nicht
etwa in realistischem Sinne als anwesend bei
der Anbetung gedacht, sondern sie stehen,
halb statuarisch aufgefasst, in nischenartigen,
oben mit Rankenwerk abschliessenden Archi-
tekturen.

Das Gemälde ist in schlechtem Zustand.
Wiederholtes Übertünchen und wiederholtes
Abkratzen der Tünche haben die Farbschicht
natürlich nicht unversehrt gelassen; an vielen
Stellen tritt der Stein nackt zutage. Immerhin
ist doch bei der kürzlich vorgenommenen
Reinigung der Oberfläche überraschend viel
zutage gekommen; nach der Entfernung der
Staubschicht zeigt sich eine kräftige Farben-
harmonie, deren lautester Ton ein mehrfach
— im Gewände des Bischofs, bei einem der
Hirten und bei Joseph selbst — wieder-
kehrendes Rot ist. Die Gewänder bekunden
die Freude an kompliziertem Falten werk, dem
mit Liebe und mit scharfem Blick in die Ein-
zelheiten seiner Brüche und Biegungen nachge-
gangen ist. Einzelaufnahmen der Köpfe und des
Christuskindes belehren uns über die sichere
Führung des Pinsels; es ist keine die Striche
verschmelzende Arbeitsweise, wie sie der
Tafelmalerei dieser Zeit eigen ist, sondern
eine freie, auf die Wirkung in die Ferne
berechnete, mit scharf aufgesetzten Lichtern
nicht sparende Technik. Die Umrisse sind
sehr bestimmt und mit sicherem Können
gegeben. Der Ausdruck intensiver Andacht,
den alle Köpfe gemeinsam haben, ist mit
wirklicher Empfindung herausgebracht. Die

Köpfe der männlichen Gestalten sind sehr
charaktervoll.

Auf den ersten Blick wird klar, dass
wir es mit einem Werke aus der Spätzeit
des i5. Jahrhunderts zu tun haben. Und ein
Blick auf die hier abgebildeten Kupferstiche
Martin Schongauer lehrt weiter, dass sie
dem Meister unseres Bildes zweifellos als
Vorbilder gedient haben. Im gestochenen
Werk Schongauer befinden sich zwei Dar-
stellungen der Geburt Christi B. 4 und B. 5.
Die Kompositionsmotive der Stiche — nicht
nur die allgemeinen, auch anderen Darstel-
lungen dieses Gegenstandes eigenen, sondern
auch die besonderen — kehren mit einander
vermengt, gewissermassen kompiliert auf
dem Wandbilde wieder; die Anordnung der
Figuren ist dieselbe wie auf B. 4, nur ist
sie — und dies ist ein hervorhebenswerter
Unterschied — erheblich freiräumiger. Hier
wie dort ist dem Kinde ein Mantelende
untergelegt; das Bewegungsmotiv des Kindes,
die Stellung der Beinchen gegeneinander
findet sich auf B. 5, der Joseph, wie die

Die Geburt Christi.
Kupferstich von Martin Schongauer (B. 5).

beiden Tiere, ist fast genau von B. 4 entlehnt
und ebenso die Verkündigungsszene des
Hintergrundes. Und weiteres Vergleichs-
material bieten dann die Tafelbilder Schon-
gauer’s. Vor allem der Altarflügel mit der
Anbetung des Christuskindes im Museum
 
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