I. Raphael und Leonardo.
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der ursprünglich freieren Skizze in Oxford (Kn. 33). Die belle
jardiniere (Kn. 29) entfernt sich am meisten von Leonardo, doch
ist wenigstens Johannes in der bezeichnenden Stellung im Gegen-
sinne beibehalten. Dazu kommen in allen drei Bildern die auf-
fallend pausbackigen Gesichter der Knaben, die verlorenen Pro-
file, wobei die Nasenlinie den Backenbogen schneidet und Ana-
logien im ganzen Ausdruck der Köpfe, welche die ja auch
sonst in Raphaels Werken der florentiner Periode so zahlreich
nachgewiesenen Beziehungen zu Leonardo überzeugend ver-
mehren.1
In der Grablegung (Kn. 42, Kl. B. 831) macht Raphael den
ersten grösseren Versuch aus den gewohnten Bahnen heraus-
zukommen, indem er sich an eine dramatisch bewegte Gruppe
wagt. Das Ringen nach einem harmonischen Gruppenbau liegt ihm
jedoch so in allen Gliedern, dass daran die Wahrhaftigkeit bei
Darstellung der innern Vorgänge scheitert. Das Bild ist oft genug
als eine akademische Schulleistung hingestellt worden, man hat
aber nicht erkannt, worauf es dem jungen Meister dabei ankam.
Zwar wurde längst darauf hingewiesen, dass Raphael in der Ge-
stalt Christi auf Michelangelos Pietä zurückgehe; das aber ist nur
das ganz äusserlich ins Auge Fallende. Viel wesentlicher ist die
Anwendung eines Compositionsprincips, wofür Michelangelos Pietä
als Musterbeispiel gelten darf; die Zurückführung der mannig-
fachen in der Composition hervortretenden Linien auf das ge-
ringste Maass der Divergenz durch parallele Führung anscheinend
ganz unabhängiger Linienzüge. Es ist notwendig daraufhin erst
einmal Michelangelos Pietä (Kn. 11) anzusehen.
Auch hier ist die Gruppe im Dreieck aufgebaut, wie bei
Leonardo. Das linke Bein Christi wird absichtlich durch eine Baum-
wurzel in die Richtung der Dreieckseite gehoben und auch die,
in ihrem Functionsausdruck immer in einem Contrast zu dem
dumpf apathischen Ausdrucke des Kopfes bleibende Bewegung der
linken Hand ist wohl durch den Willen zur Composition ange-
1 Vgl. W. Koopmann «Raphaels Handzeichnungen» 1897. S. 247ff.
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der ursprünglich freieren Skizze in Oxford (Kn. 33). Die belle
jardiniere (Kn. 29) entfernt sich am meisten von Leonardo, doch
ist wenigstens Johannes in der bezeichnenden Stellung im Gegen-
sinne beibehalten. Dazu kommen in allen drei Bildern die auf-
fallend pausbackigen Gesichter der Knaben, die verlorenen Pro-
file, wobei die Nasenlinie den Backenbogen schneidet und Ana-
logien im ganzen Ausdruck der Köpfe, welche die ja auch
sonst in Raphaels Werken der florentiner Periode so zahlreich
nachgewiesenen Beziehungen zu Leonardo überzeugend ver-
mehren.1
In der Grablegung (Kn. 42, Kl. B. 831) macht Raphael den
ersten grösseren Versuch aus den gewohnten Bahnen heraus-
zukommen, indem er sich an eine dramatisch bewegte Gruppe
wagt. Das Ringen nach einem harmonischen Gruppenbau liegt ihm
jedoch so in allen Gliedern, dass daran die Wahrhaftigkeit bei
Darstellung der innern Vorgänge scheitert. Das Bild ist oft genug
als eine akademische Schulleistung hingestellt worden, man hat
aber nicht erkannt, worauf es dem jungen Meister dabei ankam.
Zwar wurde längst darauf hingewiesen, dass Raphael in der Ge-
stalt Christi auf Michelangelos Pietä zurückgehe; das aber ist nur
das ganz äusserlich ins Auge Fallende. Viel wesentlicher ist die
Anwendung eines Compositionsprincips, wofür Michelangelos Pietä
als Musterbeispiel gelten darf; die Zurückführung der mannig-
fachen in der Composition hervortretenden Linien auf das ge-
ringste Maass der Divergenz durch parallele Führung anscheinend
ganz unabhängiger Linienzüge. Es ist notwendig daraufhin erst
einmal Michelangelos Pietä (Kn. 11) anzusehen.
Auch hier ist die Gruppe im Dreieck aufgebaut, wie bei
Leonardo. Das linke Bein Christi wird absichtlich durch eine Baum-
wurzel in die Richtung der Dreieckseite gehoben und auch die,
in ihrem Functionsausdruck immer in einem Contrast zu dem
dumpf apathischen Ausdrucke des Kopfes bleibende Bewegung der
linken Hand ist wohl durch den Willen zur Composition ange-
1 Vgl. W. Koopmann «Raphaels Handzeichnungen» 1897. S. 247ff.