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Strzygowski, Josef
Das Werden des Barock bei Raphael und Correggio: nebst einm Anhang über Rembrandt — Strassburg: J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.71578#0104
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Correggio.

weichen, die sich gegenseitig nicht genug überbieten können. Tizians
Assunta-Apostel sind dafür würdige Vorläufer; auch sie halten
dem Beschauer so aufdringlich als möglich ihre Leiber unter die
Augen, um ihn zum Glauben an ihre Erregung zu zwingen. Wie
Correggio sie die Köpfe verzückt verdrehen, die Arme in die Luft
werfen, den Körper bebend vor Hochdrang emporwinden lässt,
und die Gewänder zu Trägern der aufgebauschten Handlung macht,
das ist ja von Tizian und seit den Caracci von Gleichgesinnten
immer wieder bewundert worden. Die herrlichen Jünglingskörper,
welche die Balustrade hinter den Aposteln beleben, können über
die Geschmacklosigkeit in der Anbringung dieser letzteren und
dem hier besonders hässlich zur Geltung kommenden manteg-
nesken Motiv der Ueberschneidung ihrer Beine durch den Kuppel-
rand, nicht hinwegtäuschen. — Wir müssen bei dieser allgemeinen
Charakteristik stehen bleiben und wenden den Blick zurück auf
den Hirten und den Engelreigen in Correggio's Nacht.
Ich denke, man wird nun nicht mehr im Zweifel sein, woher
diese, der gemütvollen Art rechts so entgegengesetzten Figuren
links kommen. Was der Künstler im Dunkel seiner beiden Kup-
peln für den Anblick von fern zuerst gewagt hatte, das bringt er
mit der grössten Unverfrorenheit auch in sein Tafelgemälde und
unmittelbar vor unser Auge. Dadurch entsteht zunächst ein starker
Contrast, eine Unruhe, die den Widerspruch reizt: bei den an reli-
giöse Würde und ruhige Form gewöhnten bestellenden Priestern
einst ebensogut, wie bei dem Kunstforscher, der den in Correggios
genialer Natur liegenden gesunden Keimen zu Licht und Bewegung
nachgeht. Aber wie heute bei der Mehrheit des Publikums, so
auch in Correggios Tagen: was der Künstler in übersprudelnder
Kraftfülle für sich gewagt hat und wovor er wahrscheinlich selbst
zuerst zagend gestanden haben mochte, das findet Anklang,
wird Mode und Gesetz. Und dieses Gesetz ist das des späten,
decorativen Barock, des Barock im schlechten Sinne des Wortes.
Der Hirt in der Nacht1 kennzeichnet sich von vornherein

1 Von befreundeter Seite wird als Deutung für ihn vorgeschlagen,
er wolle sagen: «Corpo di bacco, e vero dunque! ?»
 
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