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Strzygowski, Josef
Das Werden des Barock bei Raphael und Correggio: nebst einm Anhang über Rembrandt — Strassburg: J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.71578#0130
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Anhang. Rembrandt.

im Herzen des Künstlers eine Leere eintreten lassen, die unwill-
kürlich in seiner Kunst Ausdruck gewann.
In demselben Jahre 1514 entstand Dürers Melancholie. Wie
die sinnende Frau in ihrem Hauskleide, mit Schlüsselbund und
Tasche an der Seite, inmitten von bunt am Boden herumliegendem
Tischlerwerkzeug1 dasitzt, ist sie die Verkörperung des trauern-
den Bürgerhauses. Flügel und Lorbeer allein geben ihr eine
höhere Bedeutung. Und wie es kommt, dass, dieses rüstige Weib
seine Geschäfte vergisst und über das Alltägliche hinaus traum-
verloren in die Ferne starrt, sagt das magische Quadrat über ihr,
in welchem symmetrisch gruppirt das Todesdatum der Mutter zu
lesen ist. Darauf weisen ferner eindringlich hin die ablaufende
Sanduhr daneben und die Sterbeglocke darüber. Aus dem dadurch
geweckten Ideenkreise heraus, als Parallelen nämlich der Ver-
gänglichkeit des menschlichen Daseins, sind die den Hintergrund
des Ganzen füllenden Himmelserscheinungen, ein Regenbogen und
ein Komet zu erklären: farbenprächtig aufleuchtend, verschwinden
sie ebenso schnell, wie sie gekommen sind.2
Rembrandt kam in eine weit traurigere Lage wie Dürer
am Anfang der vierziger Jahre, als 1640 seine Mutter, 1641 das
Licht seines Lebens, Saskia, gestorben war. In seinem prächtigen
Künstlerheim, das er mit Saskias Hülfe eingerichtet hatte, steht
er einsam; in den beiden Frauen hat er, wie die Ereignisse der
nächsten Jahrzehnte beweisen, allen moralischen Halt verloren.
Die Welt ist ihm keiner Anstrengung zur Wahrung individueller
Würde mehr wert, er verkommt äusserlich, während der Altar,

1 Dürer bedurfte dieser Dinge für den Holzschnitt. Das sog. Jko-
saeder ist ein unregelmässiger Holzblock, daneben stehen Leimtiegel
und Schleifstein. Ein Putto belebt das Stilleben in Mantegnas Art.

2 Springer (Dürer S. 99) will neuerdings die Anregung zum Hie-
ronymus und der Melancholie auf des Erasmus Lob der Narrheit
zurückführen. Wie die Randzeichnungen Holbeins (Mantz, Hans Hol-
bein S. 65 ff.) bezeugen, ist die Anregung, die ein Künstler jener Zeit
dem Büchlein entnehmen konnte, die gerade entgegengesetzte gewesen.
Holbein ist wie Erasmus die leibhaftige Satyre. In der Art wie die
antike Götterwelt vorgenommen wird, geht schon Holbein die Wege
Klingers in den «Rettungen Ovidischer Opfer». Was Dürer gibt, ist
der unmittelbarste Ausdruck der Seele in einsamer Feierstunde.
 
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