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Strzygowski, Josef
Das Werden des Barock bei Raphael und Correggio: nebst einm Anhang über Rembrandt — Strassburg: J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.71578#0135
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Anhang. Rembrandt.

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Stroganov in Petersburg1 und dem Petrus auf dem Stroh (Bode
41) dargestellt hat, lässt sich nur mit Michelangelos Propheten
und in erster Linie mit seinem Jeremias vergleichen. Denn gleich
jenen handelt es sich auch hier nicht um bestimmte Persönlich-
keiten: Paulus, Anchises, Jeremias, Petrus oder wie man sie sonst
nennen mag, sondern um eine so lebendige Verkörperung grü-
belnden Denkens, dass der Beschauer klar sieht, was in der Seele
der Dargestellten vorgehen mag. Der Greis in dem Stuttgarter
Bilde sitzt inmitten von Büchern, ein offener Foliant liegt auf
seinen Knieen, ein einzelner Bogen, der darüber aufliegt, weist
darauf hin, dass Paulus, wie der Daniel des Michelangelo mit
Excerpiren oder Commentiren beschäftigt ist. Die linke Hand mit
der Feder hält den Folianten fest, in die Rechte ist das Haupt
gestützt. Wie bei Michelangelos Jeremias umfasst die Hand das
Kinn; die hoch emporgezogenen Brauen, die schweren Stirnfalten,
die unverwandt ins Leere starrenden Augen zeugen für ein Grü-
beln, in dem mit aller Anstrengung ein Punkt festgehalten wird,
über den der Denker nicht hinauskommt. Der Greis des Nürn-
berger Bildes hat alle beengenden Schranken hinter sich gelassen.
Aucli er sitzt einem Bücherhaufen gegenüber, die Feder in der
Hand. Aber die Grösse und Weite der letzten Gründe seines
Denkens hat ihn übermannt; weit über das nächste Ziel hinaus
schaut sein Geist Dinge, die keine Feder festhalten, kein Buch
wiedergeben kann. Ganz in sich zusammengesunken sitzt er da,
die Hände hängen schlaff herab, das müde Haupt neigt sich tief
auf die Brust und nur die ernst geöffneten Augen lassen den
Beschauer ahnen, welch ungeheurer Seelenflug hinter dieser schein-
baren Ruhe verborgen liegt. Im geraden Gegensatz zu diesem
weltfernen Ernste steht der finstere Groll, welcher den Greis der
Stroganov-Sammlung durchwühlt. Er hat seine Schätze aus einer
Feuersbrunst in einen höhlenartigen Raum geflüchtet und sitzt
nun da in finsterem Brüten über das Schicksal. Für ihn diente
dasselbe Modell, wie für das Nürnberger Bild.

1 Bode 39. Radierung in Wurzbachs Rembrandt Galerie.
 
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