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Anhang. Rembrandt.
reflectirt. Donatello und Leonardo haben ähnliche Ecklösungen
gegeben, die dann, wie wir sahen, von Raphael in den Stanzen
wiederholt worden sind.
Die rechte vordere Ecke des Bildes bricht vollständig mit dem
centralen Aufbau der bisher besprochenen Teile. Indem hier
genau wie in der Nachtwache (Kn. 105) ein Zug durch ein Thor
nach vorn und der Mitte zu vordringt, wird der Eindruck der
symmetrischen Renaissancecomposition, wie ihn die linke Seite
erwarten lässt, fast vollständig aufgehoben. Hier bewegt sich
Rembrandt wieder ganz in den Bahnen des Barock. Mit unerhör-
ter Energie schliesst er den symphonischen Satz der Hauptgruppe
mit einem grellen Misston: der Schwerkranke, der da auf einer
Matratze quer über einen Schubkarren gelegt ist, wird sich jedem
Beschauer als ein naturalistisches Kraftstück ersten Ranges auf-
drängen. Man verfolge die Richtung des Körpers über den Kopf
hinaus und wird finden, dass sie wie eine Art Resultante der
Dreieckseiten überleitet nach rechts vorn und einem Punkte, auf
den die in anderer Richtung nach rechts unten gewendeten
Köpfe eines Esels und Kameels, zusammen mit zwei in derselben
Ebene stehenden Frauen hinzielen als eine Art Querriegel, mit
dem die Composition hier kräftig abschliesst. Freilich tritt das
Alles zurück in ein nur an einer Stelle aufgehelltes Dunkel.
Frägt man sich nun, wozu Rembrandt eigentlich das krasse
Motiv des quer über dem Karren liegenden Kranken gewählt
habe, so führt das auf ein Bestreben, das diesen Künstler zu
allen Zeiten lebhaft beschäftigt hat, und worin er wie kein ande-
rer Virtuos geworden ist: die Mittel ausfindig zu machen, wo-
durch ein Zurückspringen der Figuren in den Raum überzeugend
gemacht wird. Man sehe doch nur zu, welche Wirkung in dieser
Richtung der Mann auf dem Karren erzielt! Darin steckt eine
kühne Sicherheit, die nur das Resultat eingehendster Studien
und Versuche sein kann. Und diese lassen sich bei Rembrandt von
frühester Jugend an verfolgen. Man blättere daraufhin nur Bode's
ersten Band durch und wird überrascht vor der Thatsache stehen,
dass es eigentlich das Streben nach einer Lösung dieses Problems
war, welches die ersten Schritte des jungen Künstlers lenkte.
Anhang. Rembrandt.
reflectirt. Donatello und Leonardo haben ähnliche Ecklösungen
gegeben, die dann, wie wir sahen, von Raphael in den Stanzen
wiederholt worden sind.
Die rechte vordere Ecke des Bildes bricht vollständig mit dem
centralen Aufbau der bisher besprochenen Teile. Indem hier
genau wie in der Nachtwache (Kn. 105) ein Zug durch ein Thor
nach vorn und der Mitte zu vordringt, wird der Eindruck der
symmetrischen Renaissancecomposition, wie ihn die linke Seite
erwarten lässt, fast vollständig aufgehoben. Hier bewegt sich
Rembrandt wieder ganz in den Bahnen des Barock. Mit unerhör-
ter Energie schliesst er den symphonischen Satz der Hauptgruppe
mit einem grellen Misston: der Schwerkranke, der da auf einer
Matratze quer über einen Schubkarren gelegt ist, wird sich jedem
Beschauer als ein naturalistisches Kraftstück ersten Ranges auf-
drängen. Man verfolge die Richtung des Körpers über den Kopf
hinaus und wird finden, dass sie wie eine Art Resultante der
Dreieckseiten überleitet nach rechts vorn und einem Punkte, auf
den die in anderer Richtung nach rechts unten gewendeten
Köpfe eines Esels und Kameels, zusammen mit zwei in derselben
Ebene stehenden Frauen hinzielen als eine Art Querriegel, mit
dem die Composition hier kräftig abschliesst. Freilich tritt das
Alles zurück in ein nur an einer Stelle aufgehelltes Dunkel.
Frägt man sich nun, wozu Rembrandt eigentlich das krasse
Motiv des quer über dem Karren liegenden Kranken gewählt
habe, so führt das auf ein Bestreben, das diesen Künstler zu
allen Zeiten lebhaft beschäftigt hat, und worin er wie kein ande-
rer Virtuos geworden ist: die Mittel ausfindig zu machen, wo-
durch ein Zurückspringen der Figuren in den Raum überzeugend
gemacht wird. Man sehe doch nur zu, welche Wirkung in dieser
Richtung der Mann auf dem Karren erzielt! Darin steckt eine
kühne Sicherheit, die nur das Resultat eingehendster Studien
und Versuche sein kann. Und diese lassen sich bei Rembrandt von
frühester Jugend an verfolgen. Man blättere daraufhin nur Bode's
ersten Band durch und wird überrascht vor der Thatsache stehen,
dass es eigentlich das Streben nach einer Lösung dieses Problems
war, welches die ersten Schritte des jungen Künstlers lenkte.