Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Strzygowski, Josef
Das Werden des Barock bei Raphael und Correggio: nebst einm Anhang über Rembrandt — Strassburg: J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1898

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.71578#0103
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Correggio.

97

froschscbenkelartig herausgereckter Unterleiber von ungezwun-
genster Naturwahrheit und wir begreifen, dass ein vorlauter Cano-
nicus das Gemälde ein guazzetto di rame nennen konnte. Die
Hauptfigur, Maria, bleibt fast unbemerkt. Bei starker Verkürzung
ist sie von einem bunten Figuren-Reigen umgeben und statt mit
dem voranschwebenden Engel aus dem Kreise der Heiligen her-
ausgehoben zu sein, kühn auf die Wand des Himmelstrichters
projicirt. Auf Wolken gelagert schwebt sie, in seligem Ernst
zurückgelehnt, nach aufwärts, die Arme sind der Höhe entgegen-
gebreitet. Putti lagern neben ihr und tragen sie, ein Chorus
schlankleibiger Jünglinge und Jungfrauen umgaugelt musicirend
und tanzend ihren Wolkenthron. In der Madonna lässt Correggio
seiner Empfindungsglut, in den sie umgebenden Gestalten seinem
virtuosen Uebermut die Zügel bis zum Aeussersten schiessen,
seine Phantasie tanzt den tollen Reigen so leidenschaftlich mit,
dass Alles ganz natürlich erscheint. Man versäume nicht, die eine
oder andere dieser Gestalten in alle Einzelheiten genau zu ver-
folgen; man wird dann Motive finden, die Correggio in den ver-
schiedendsten Varianten immer und immer wiederbringt, so den von
hinten gesehen nach dem Hintergrund Fliegenden, welcher durch
eine Wendung des Oberkörpers nochmals den Kopf zeigt, oder
zwei sich zärtlich umschlingende Gestalten oder endlich einen,
der dem Beschauer Leib und Brust zuwendet.
Haben diese Teile des grossen Gemäldes, mit überzeugender
Wahrheit die ungebundene Bewegung im schrankenlosen Luft-
meere wiedergespiegelt, so versetzen die unten stehenden zwölf
Apostel (Kn. 74 ff.) mit einem Male wieder auf realen Boden.
Correggio hat am Kuppelrand im Bilde eine Balustrade errichtet;
die Jünger Christi, welche eben noch in S. Giovanni mit allem
Behagen ihr sonniges Wolkenheim genossen, mussten auf Befehl
vor diese Balustrade an den Rand der Kuppel treten und in dieser
lebensgefährlichen Situation die Rolle von flott dressirten Statisten
übernehmen. Ihre eben noch in idealer Nacktheit prangenden
Körper wurden theatralisch in Mäntel gehüllt und die gelassene
Ruhe musste auf das Stichwort: „Ein Wunder! ein Wunder !"
(Thode S. 76) der pantomimischen Drastik von Bühnenhelden
 
Annotationen