Correggio.
109
Giebelgruppe angeordnet. Und die Erinnerung an ähnliche Com-
positionen der Antike gibt auch den Massstab zur Beurteilung
dafür, dass wir bei den Antipoden des baulich und seelisch
Wahrhaftigen angelangt sind: keiner von den Dreien berührt
recht den Boden, keiner gibt eine der für den Unterbau der Gruppe
so notwendigen ruhigen Linien, alle drei sind nebeneinander
hingeworfen und machen dem Beschauer, so gut es eben im Au-
genblicke geht, etwas Rührendes vor. Aller Würde bar, fechten
sie um ein Almosen, statt, wie es der wahren Kunst gebührt, stolz
ihren Tribut zu fordern. Das ist der Geist, welcher sich in der
Domkuppel schrankenlos Bahn gebrochen hat. Wie in der Nacht
und im Ganymed können wir auch hier einzelne Gestalten fast
Zug für Zug in jenen Fresken wiederfinden, so insbesondere den
reitenden Putto und die Bewegung des hl. Sebastian, der ein Bruder
des Jünglings ist, welcher dem hl. Thomas in einem Zwickel der Dom-
kuppel (Kn. 73) das Bein hält. So wird auch hier wieder nahe-
gerückt, welch einschneidende Bedeutung die Arbeiten an den
monumentalen Freskencyclen in Parma für die Entwicklung von
Correggios Stil und für die Schicksale der Kunst überhaupt
gehabt haben.
Ueberblickt man zum Schluss Correggios Entwicklung und
vergleicht sie mit derjenigen des Raphael, so zeigt sich der
grösste Gegensatz. Während Raphael, man kann sagen, bis zum
letzten Athemzuge bereit ist, Alles in sich aufzunehmen, was seine
an künstlerischer Leistungsfähigkeit unvergleichliche Zeit ihm dar-
bot, so dass wir fast Mühe haben ihn dem Laien gegenüber vor
dem Vorwurfe eines schwächlichen Eklekticismus zu schützen,
weist Correggio, zufrieden mit den einmal in der Jugend em-
pfangenen Eindrücken, unter denen der von Seiten Leonardos
unstreitig — aber leider noch immer umstritten — obenan steht
und sich auch später nicht ganz verliert, alle Einflüsse derart
rundweg ab, dass wir ihn in dieser Beziehung unter den eigenen
Zeitgenossen nur mit Michelangelo vergleichen können. War
Raphaels Weg, durch Zusammenfassung der von Leonardo, Bra-
mante und Michelangelo geschaffenen Werte eine neue Stilein-
heit zu bilden, deren individuelle Färbung nur durch seine naive
8
109
Giebelgruppe angeordnet. Und die Erinnerung an ähnliche Com-
positionen der Antike gibt auch den Massstab zur Beurteilung
dafür, dass wir bei den Antipoden des baulich und seelisch
Wahrhaftigen angelangt sind: keiner von den Dreien berührt
recht den Boden, keiner gibt eine der für den Unterbau der Gruppe
so notwendigen ruhigen Linien, alle drei sind nebeneinander
hingeworfen und machen dem Beschauer, so gut es eben im Au-
genblicke geht, etwas Rührendes vor. Aller Würde bar, fechten
sie um ein Almosen, statt, wie es der wahren Kunst gebührt, stolz
ihren Tribut zu fordern. Das ist der Geist, welcher sich in der
Domkuppel schrankenlos Bahn gebrochen hat. Wie in der Nacht
und im Ganymed können wir auch hier einzelne Gestalten fast
Zug für Zug in jenen Fresken wiederfinden, so insbesondere den
reitenden Putto und die Bewegung des hl. Sebastian, der ein Bruder
des Jünglings ist, welcher dem hl. Thomas in einem Zwickel der Dom-
kuppel (Kn. 73) das Bein hält. So wird auch hier wieder nahe-
gerückt, welch einschneidende Bedeutung die Arbeiten an den
monumentalen Freskencyclen in Parma für die Entwicklung von
Correggios Stil und für die Schicksale der Kunst überhaupt
gehabt haben.
Ueberblickt man zum Schluss Correggios Entwicklung und
vergleicht sie mit derjenigen des Raphael, so zeigt sich der
grösste Gegensatz. Während Raphael, man kann sagen, bis zum
letzten Athemzuge bereit ist, Alles in sich aufzunehmen, was seine
an künstlerischer Leistungsfähigkeit unvergleichliche Zeit ihm dar-
bot, so dass wir fast Mühe haben ihn dem Laien gegenüber vor
dem Vorwurfe eines schwächlichen Eklekticismus zu schützen,
weist Correggio, zufrieden mit den einmal in der Jugend em-
pfangenen Eindrücken, unter denen der von Seiten Leonardos
unstreitig — aber leider noch immer umstritten — obenan steht
und sich auch später nicht ganz verliert, alle Einflüsse derart
rundweg ab, dass wir ihn in dieser Beziehung unter den eigenen
Zeitgenossen nur mit Michelangelo vergleichen können. War
Raphaels Weg, durch Zusammenfassung der von Leonardo, Bra-
mante und Michelangelo geschaffenen Werte eine neue Stilein-
heit zu bilden, deren individuelle Färbung nur durch seine naive
8