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Strzygowski, Josef
Das Werden des Barock bei Raphael und Correggio: nebst einm Anhang über Rembrandt — Strassburg: J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.71578#0121
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Correggio.

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unmittelbar vorhandenen Ideen bezw. Formen. Ein Künstler, der
architektonisch denkt und religiös zu fühlen im Stande ist, wird
daher niemals den Massstab sachlicher Wahrhaftigkeit verlieren.
Raphaels ganzes Ringen geht darauf hinaus, sich all die grossen,
neuen Werte der Bahnbrecher seiner Zeit anzueignen und doch
sachlich wahrhaftig zu bleiben, d. h., wie die Schöpfungen seines
grossen Stiles zeigen, nichts zu sagen, weder in Form, Bewegung,
Ausdruck, Licht und Farbe, was nicht aus der Idee des Kunst-
werkes geboren und seiner würdig ist. Die Sixtinische Madonna
steht darin am höchsten.
Correggio kennt diese sachliche Wahrhaftigkeit nicht. Er baut
wie ein Architekt, der die Construction nicht erwogen hat und
glaubt als Künstler das, was ihm gerade bequem ist. Wir würden
ihn überhaupt nicht zu den Grossen zählen, wäre er nicht per-
sönlich wahrhaftig, d. h. käme ihm das nicht wenigstens vom
Herzen, was er darstellt. Weil er aber nur persönlich, nicht sach-
lich wahrhaftig ist, erschüttert er die Grundlagen der Kunst und
zerrt sie herab zum Spielball der Einfälle und Leidenschaften.
Soweit ist Michelangelo nie gegangen, obwohl er noch ganz anders
nur im Sinne seines Ich empfinden konnte, als Correggio. Er war
eben Architekt, stand also unter dem Eindrücke der äusseren
Gesetze der Kunst, und war durch seinen Glauben und das
schwere Ringen damit an sachliche Wahrhaftigkeit gebunden.
Das bewahrte ihn davor, die Würde der Kunst als eines gesetz-
mässigen Charakters preiszugeben. Wir wollen hier nicht von
Tizian sprechen; er war in keinem Sinne recht wahrhaftig.
Fassen wir zusammen: Leonardo, Bramante und Michelangelo
schaffen die neuen Werte des Barock. Raphael erreicht in schwerem
Ringen die neue Einheit, er baut auf. Gleichzeitig überschreitet Cor-
reggio die Grenze massvoller Wahrhaftigkeit und erschüttert so zu-
gleich mit Tizian von vornherein die Grundlagen der Barockmalerei.
Die Spätzeit hat nur einen Künstler, der bei unbegrenztem
Reichtum der schaffenden Phantasie und der virtuosesten Beherr-
schung aller technischen Mittel von unerschütterlich sachlicher
Wahrhaftigkeit ist: Rembrandt.
 
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