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II. Raphael und Bramante.
rerum notitia zu fördern. Soweit hat Raphael den auf den Inhalt
zielenden Forderungen des Papstes und der Kirche Rechnung ge-
tragen; alles übrige ist rein künstlerische Erfindung. Und dessen
ist sehr viel, denn bei genauerem Zusehen findet sich, dass unten
sowohl die Kirchenväter wie die andern historischen Persönlich-
keiten in der Composition Nebensache d. h. Füllfiguren in einem
von rein künstlerischen Gesichtspunkten ausgehenden Gestalten-
rahmen sind.
Wenn ich beim Geschichtsbilde unterscheide Darstellungen der
Geschehnisse von solchen der Zustände, so hat Raphael in der
Stanza della Segnatura das Ideal letzterer Gattung hinzustellen
gewusst. Er ist nicht, wie das Mittelalter und die Renaissance, ich
erwähne nur den Genter Altar, das Grazer Domfresko von 1480
und Dürer's Allerheiligenbild, bei der Darstellung der typischen
Vertreter der himmlischen und irdischen Hierarchie oder wie
Kaulbach im Reformationsbilde bei der nüchternen Aufzählung
berufener Vertreter stehen geblieben — dazu möchte man ja
allerdings seine Bilder der ersten Stanze gern heruntersetzen —
sondern hat Idealgestalten von so eigenartiger Bedeutung einge-
führt, dass nur der ihm gerecht werden kann, der sich nicht
vom Gegenstände der Darstellung blenden und zu Deuteleien
verleiten lässt, sondern im Auge behält, dass bei Raphael seit
seiner Uebersiedlung nach Rom mehr noch als früher in Florenz
rein künstlerische Absichten durchschlagend waren. Seine Ideal-
gestalten sind denn auch nicht schwächliche Begriffs-Personifica-
tionen wie in modernen Gemälden verwandter Art: in Delaroche's
Hemicycle, Piloty's Monachia und zuletzt leider auch in Puvis de
Chavannes Apsis in der Sorbonne, sondern sie sind der lebendig
gewordene Funktionsausdruck im Ganzen einer klar gegliederten
Composition, dienen also auschliesslich künstlerischen Aufgaben.
Raphael war mit den Forderungen, welche der Gegenstand an
ihn stellte, bald fertig. Indem er die Himmelsglorie nach der guten
Ueberlieferung bildete und unten die Hostie so auffallend stark
heraushob, war der kirchlichen Forderung im Wesentlichen Ge-
nüge gethan; man liess ihm um diesen Preis gern Spielraum für
seine eigenen künstlerischen Absichten, die hier ausschliesslicli
II. Raphael und Bramante.
rerum notitia zu fördern. Soweit hat Raphael den auf den Inhalt
zielenden Forderungen des Papstes und der Kirche Rechnung ge-
tragen; alles übrige ist rein künstlerische Erfindung. Und dessen
ist sehr viel, denn bei genauerem Zusehen findet sich, dass unten
sowohl die Kirchenväter wie die andern historischen Persönlich-
keiten in der Composition Nebensache d. h. Füllfiguren in einem
von rein künstlerischen Gesichtspunkten ausgehenden Gestalten-
rahmen sind.
Wenn ich beim Geschichtsbilde unterscheide Darstellungen der
Geschehnisse von solchen der Zustände, so hat Raphael in der
Stanza della Segnatura das Ideal letzterer Gattung hinzustellen
gewusst. Er ist nicht, wie das Mittelalter und die Renaissance, ich
erwähne nur den Genter Altar, das Grazer Domfresko von 1480
und Dürer's Allerheiligenbild, bei der Darstellung der typischen
Vertreter der himmlischen und irdischen Hierarchie oder wie
Kaulbach im Reformationsbilde bei der nüchternen Aufzählung
berufener Vertreter stehen geblieben — dazu möchte man ja
allerdings seine Bilder der ersten Stanze gern heruntersetzen —
sondern hat Idealgestalten von so eigenartiger Bedeutung einge-
führt, dass nur der ihm gerecht werden kann, der sich nicht
vom Gegenstände der Darstellung blenden und zu Deuteleien
verleiten lässt, sondern im Auge behält, dass bei Raphael seit
seiner Uebersiedlung nach Rom mehr noch als früher in Florenz
rein künstlerische Absichten durchschlagend waren. Seine Ideal-
gestalten sind denn auch nicht schwächliche Begriffs-Personifica-
tionen wie in modernen Gemälden verwandter Art: in Delaroche's
Hemicycle, Piloty's Monachia und zuletzt leider auch in Puvis de
Chavannes Apsis in der Sorbonne, sondern sie sind der lebendig
gewordene Funktionsausdruck im Ganzen einer klar gegliederten
Composition, dienen also auschliesslich künstlerischen Aufgaben.
Raphael war mit den Forderungen, welche der Gegenstand an
ihn stellte, bald fertig. Indem er die Himmelsglorie nach der guten
Ueberlieferung bildete und unten die Hostie so auffallend stark
heraushob, war der kirchlichen Forderung im Wesentlichen Ge-
nüge gethan; man liess ihm um diesen Preis gern Spielraum für
seine eigenen künstlerischen Absichten, die hier ausschliesslicli