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Strzygowski, Josef
Das Werden des Barock bei Raphael und Correggio: nebst einm Anhang über Rembrandt — Strassburg: J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.71578#0048
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II. Raphael und Bramante.

sition. Die Gemälde der ersten Stanze sind noch vorwiegend
statisch- architektonisch aufgebaut. Eine Auflösung des rein symme-
trischen Aufbaues trat wie zufällig in dem Wechsel der mittleren
Idealgestalten der Disputa hervor, in der Schule von Athen er-
kannten wir, wie klar sich da mitten in dem herkömmlichen
Gruppenbau eine Art Wage heraushebt, die entgegen aller sta-
bilen Symmetrie nur auf einem labilen Gleichgewichte, der Massen
beruht. Die Composition des Heliodor könnte fünfzig oder hundert
Jahre später entstanden sein, sie würde bei einem Tintoretto oder
Paolo Veronese nicht überraschen. Hier bei Raphael aber be-
deutet sie einen Bruch mit Allem, was dem Künstler überliefert,
ererbt, anerzogen war, kurz einen vollständigen Bruch mit dem
Jahrhundert, dem Raphael bis dahin angehört hatte. Wenn wir
in der Schule von Athen das weglassen, was sich in der Compo-
sition mit Ghibertis Relief der Begegnung Salomons und der
Königin von Saba, deckt, also das, was gute Renaissancetradition
ist, und nur das behalten, was Raphael aus seinem neuen Stil-
gefühle heraus zur Gewinnung einer überzeugenden Raumtiefe
nachgefüllt hat, d. i. die sechs Gestalten, welche die Wage bilden,
dann haben wir den Keim, aus dem heraus der Heliodor erwuchs.
Mit der Renaissance hat dieses Bild also überhaupt nichts mehr
zu thun. Die Gruppen sind vollständig malerisch aufgelöst und das
mit ganz anderer Energie als es früher Filippino Lippi in seinen
Strozzi Fresken ebenfalls im Anschluss an Leonardo's Lehren
versucht hatte. Das Abendmahl in Mailand ist dafür der sprech-
endste, auf uns gekommene Beleg. Es ist oft genug betont worden,
und ich habe das selbst kürzlich in neuem Lichte zu zeigen ge-
sucht,1 wie in der Composition der Gruppen und der einzelnen
Apostel ein Auswogen und Zurückbranden des einen, dem ganzen
zu Grunde liegenden Momentes der Handlung gegeben ist, im
Abendmahl allerdings noch in architektonisch geschlossenen
Gruppen.
Mit einer Kühnheit, die ihresgleichen sucht, verlegt Raphael

1 Leonardos Abendmahl und Goethes Deutung. Goethe Jahrbuch
1896.
 
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