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II. Raphael nnd Bramante.
und den Heliodor fehlte es an einem durchschlagend entsprechen-
den Motive. Schliesslich fand sich der viel bewunderte Ausweg,
der bewegten Gruppe voll äusserster Leidenschaft die geschlossene
Masse und vornehme Ruhe eines Ceremonialbildes in der Papst-
gruppe gegenüberzustellen; aber das heisst die Lösung doch um
schwereres Gut, das der sachlichen Wahrheit und inneren Mög-
lichkeit erkaufen!
Wie in der Disputa und ursprünglich auch in der Schule
von Athen ist der Raum vorn in der Mitte freigelassen. Auf der
rechten Seite ist die Aufgabe, eine mit dem Blick greifbare Raum-
vertiefung zu schaffen durch Diagonalstellung der ganzen Gruppe
und das Hintereinander der Figuren von vornherein glücklicli ge-
löst. Links ist auch in dieser Richtung gesucht; und die maleri-
sche Frauengestalt, welche wie der aufrecht stehende Mann an
ähnlicher Stelle in der Disputa erscheint, dient gewiss nur der
Absicht, alle übrigen Gestalten zurückspringen zu lassen, sie
ist der Massstab der Schätzung für unser Auge. Sehr glück-
lich eingeführt sind dann von diesem Gesichtspunkt aus die
beiden Männer, welche am Postamente der Säule lehnen; frei-
lich frägt man sich, woher sie im gegebenen Falle die Ruhe
nehmen.
Was nun die Figurencomposition nicht löst, das vollendet in
meisterhafter Weise die Einführung des künstlichen Lichtes.
Der Vordergrund bleibt im Helldunkel, die Hauptgruppe rechts
und die Nebengruppen links werden dadurch zu einem einheitlichen
Ganzen zusammengefasst. Zwischen ihnen öffnet sich der Raum nach
dem Hintergründe, wo die dunklen Tiefen der Apsiden und die Folge
der Mittelkuppeln den Blick weiterziehen, während die hell be-
leuchteten Pfeiler im Mittelgründe dem Auge einen festen Stütz-
punkt nach allen Seiten hin bieten.
Mit dem Heliodor schliesst Raphael vorläufig seine Sieges-
laufbahn in der Eroberung von Raum und Licht ab. Seine Ver-
hältnisse ändern sich wesentlich, es treten neue mächtige Ein-
drücke an ihn heran, die ihn in andere Richtung drängen. Erst
in seinem letzten Werke, der Transfiguration, nimmt er die Fahne
wieder auf, ersteigt den letzten Gipfel und — stirbt.
II. Raphael nnd Bramante.
und den Heliodor fehlte es an einem durchschlagend entsprechen-
den Motive. Schliesslich fand sich der viel bewunderte Ausweg,
der bewegten Gruppe voll äusserster Leidenschaft die geschlossene
Masse und vornehme Ruhe eines Ceremonialbildes in der Papst-
gruppe gegenüberzustellen; aber das heisst die Lösung doch um
schwereres Gut, das der sachlichen Wahrheit und inneren Mög-
lichkeit erkaufen!
Wie in der Disputa und ursprünglich auch in der Schule
von Athen ist der Raum vorn in der Mitte freigelassen. Auf der
rechten Seite ist die Aufgabe, eine mit dem Blick greifbare Raum-
vertiefung zu schaffen durch Diagonalstellung der ganzen Gruppe
und das Hintereinander der Figuren von vornherein glücklicli ge-
löst. Links ist auch in dieser Richtung gesucht; und die maleri-
sche Frauengestalt, welche wie der aufrecht stehende Mann an
ähnlicher Stelle in der Disputa erscheint, dient gewiss nur der
Absicht, alle übrigen Gestalten zurückspringen zu lassen, sie
ist der Massstab der Schätzung für unser Auge. Sehr glück-
lich eingeführt sind dann von diesem Gesichtspunkt aus die
beiden Männer, welche am Postamente der Säule lehnen; frei-
lich frägt man sich, woher sie im gegebenen Falle die Ruhe
nehmen.
Was nun die Figurencomposition nicht löst, das vollendet in
meisterhafter Weise die Einführung des künstlichen Lichtes.
Der Vordergrund bleibt im Helldunkel, die Hauptgruppe rechts
und die Nebengruppen links werden dadurch zu einem einheitlichen
Ganzen zusammengefasst. Zwischen ihnen öffnet sich der Raum nach
dem Hintergründe, wo die dunklen Tiefen der Apsiden und die Folge
der Mittelkuppeln den Blick weiterziehen, während die hell be-
leuchteten Pfeiler im Mittelgründe dem Auge einen festen Stütz-
punkt nach allen Seiten hin bieten.
Mit dem Heliodor schliesst Raphael vorläufig seine Sieges-
laufbahn in der Eroberung von Raum und Licht ab. Seine Ver-
hältnisse ändern sich wesentlich, es treten neue mächtige Ein-
drücke an ihn heran, die ihn in andere Richtung drängen. Erst
in seinem letzten Werke, der Transfiguration, nimmt er die Fahne
wieder auf, ersteigt den letzten Gipfel und — stirbt.