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III. Raphael, die Antike und Michelangelo.
Charakteristik des plastischen Stiles und für die Erkenntnis der
Gründe, aus denen heraus er sich bei Raphael gebildet hat,
wünschen lässt, als dasjenige Fresko, welches noch am meisten von
diesen, immer mehr der Ausführung durch die Schüler überlassenen
Gemälden, die geniale Art Raphaels zeigt, dem Brand des
Borgo (Kn. 74 Kl. B. 574), welcher dem ganzen Raume den
Namen gegeben hat.
Das, was uns hier entgegentritt, ist auch „malerisch"; aber
es verdient diese Bezeichnung nicht im Sinne einer gesetzmässigen
Ordnung in Anwendung aller Hilfsmittel, die der Malerei gegen-
über der Baukunst und Bildhauerei zur Verfügung stehen, also im
Sinne der zweiten Periode von Raphaels Stilentwicklung. Der
Borgobrand wirkt malerisch durch seine Unordnung. Das was hier
dargestellt ist, floss nicht aus der gewissenhaften Durchdringung
der gestellten Aufgabe, sondern ist vom Künstler launisch anein-
ander gefügt. Er geht nicht aus vom Wunder, das den Höhepunkt
des Geschehnisses bilden musste, sondern von dem Ideenkreise,
der ihn damals ganz beherrschte: seinen Studien nach der Antike,
die er, an die Architektur anknüpfend, nach allen Richtungen,
besonders auch auf Litteratur und Plastik ausgedehnt hatte. Nur
so ist es zu erklären, wie bei Darstellung der päpstlichen Legende
ein wie es scheint, ursprünglich, als Brand von Troja gedachtes
Bild verwendet werden konnte. Nehmen wir aus dem Gemälde
die Mitte heraus, die Frauen, welche sich nach dem Hintergründe
wenden und diesen selbst, so bleibt — das ist längst erkannt
— der Brand von Troja übrig.1
Wir befinden uns in einer antiken Stadt. Links ragt in der
Richtung der Strassenflucht eine Mauer auf, der ein Porticus vor-
gelegt ist. Sehen wir genauer zu, so scheint es, dass Raphael
hier eines seiner Studienblätter nach der compositen Säulenordnung
verwendet hat. Der Schnitt durch das Gebälk ist wahrscheinlich
bis in die Einzelmaasse hinein richtig. Die späteren Stilisten haben
ihre Vorlagen nicht anschaulicher veröffentlichen können. Auf der
1 Man vergleiche damit die rechte Ecke des Falles von Troja in
Cornelius' Glyptothek-Cartons.
III. Raphael, die Antike und Michelangelo.
Charakteristik des plastischen Stiles und für die Erkenntnis der
Gründe, aus denen heraus er sich bei Raphael gebildet hat,
wünschen lässt, als dasjenige Fresko, welches noch am meisten von
diesen, immer mehr der Ausführung durch die Schüler überlassenen
Gemälden, die geniale Art Raphaels zeigt, dem Brand des
Borgo (Kn. 74 Kl. B. 574), welcher dem ganzen Raume den
Namen gegeben hat.
Das, was uns hier entgegentritt, ist auch „malerisch"; aber
es verdient diese Bezeichnung nicht im Sinne einer gesetzmässigen
Ordnung in Anwendung aller Hilfsmittel, die der Malerei gegen-
über der Baukunst und Bildhauerei zur Verfügung stehen, also im
Sinne der zweiten Periode von Raphaels Stilentwicklung. Der
Borgobrand wirkt malerisch durch seine Unordnung. Das was hier
dargestellt ist, floss nicht aus der gewissenhaften Durchdringung
der gestellten Aufgabe, sondern ist vom Künstler launisch anein-
ander gefügt. Er geht nicht aus vom Wunder, das den Höhepunkt
des Geschehnisses bilden musste, sondern von dem Ideenkreise,
der ihn damals ganz beherrschte: seinen Studien nach der Antike,
die er, an die Architektur anknüpfend, nach allen Richtungen,
besonders auch auf Litteratur und Plastik ausgedehnt hatte. Nur
so ist es zu erklären, wie bei Darstellung der päpstlichen Legende
ein wie es scheint, ursprünglich, als Brand von Troja gedachtes
Bild verwendet werden konnte. Nehmen wir aus dem Gemälde
die Mitte heraus, die Frauen, welche sich nach dem Hintergründe
wenden und diesen selbst, so bleibt — das ist längst erkannt
— der Brand von Troja übrig.1
Wir befinden uns in einer antiken Stadt. Links ragt in der
Richtung der Strassenflucht eine Mauer auf, der ein Porticus vor-
gelegt ist. Sehen wir genauer zu, so scheint es, dass Raphael
hier eines seiner Studienblätter nach der compositen Säulenordnung
verwendet hat. Der Schnitt durch das Gebälk ist wahrscheinlich
bis in die Einzelmaasse hinein richtig. Die späteren Stilisten haben
ihre Vorlagen nicht anschaulicher veröffentlichen können. Auf der
1 Man vergleiche damit die rechte Ecke des Falles von Troja in
Cornelius' Glyptothek-Cartons.