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Strzygowski, Josef
Das Werden des Barock bei Raphael und Correggio: nebst einm Anhang über Rembrandt — Strassburg: J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.71578#0085
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Das Werden des Barock.

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Bahn brach. Die Bedingungen für den Eintritt des Barock
in Italien sind ähnliche. Sie liegen aber soweit zurück, dass für
den, der darauf zum ersten Male hinweist, die Gefahr vorliegt,
nicht ernst genommen zu werden. Sie lassen sich im letzten Gliede
zurückverfolgen bis auf die Völkerwanderung und die Durch-
dringung des christlichen Ideenkreises durch die germanischen
Völker, für die er nach seinen indischen Urquellen von vornherein
wie bestimmt war. Daraus entstand zunächst als herrlichste Blüte
des germanischen Christentums die Gothik. Was sie für das Mit-
telalter, ist der Barock für die römische Kirche und die Neuzeit
geworden und zwar nicht ohne Zusammenhang mit der Gothik.
Fassen wir das Gebiet der Plastik ins Auge, wo der Ueber-
gang deutlich zu Tage liegt, so war es die Gothik, welche,
vom Norden vordringend, in der italienischen Plastik ein neues
Lebensgefühl zum Durchbruche brachte. Nicht nur im Allgemeinen
dadurch, dass sie der statuarischen Freiplastik neuen Boden ge-
wann, sondern vor Allem auch dadurch, dass sie einzelne Künstler
in ihre Geleise zog. Unter diesen stehen als Bahnbrecher Gio-
vanni Pisano, Quercia und Donatello obenan. Indem die beiden
letzteren mit der in der Gothik wirkenden lebendigen Formkraft
an Natur und Antike herantraten, wurden sie die unmittelbaren
Vorläufer Michelangelo's und des Barock. Unter diesem Gesichts-
punkt erscheint das, was wir Renaissance nennen, als ein Zwischen-
stadium von der Gothik zum Barock und die idyllische Ruhe in
den Werken der Marmorarii in der zweiten Hälfte des Quattro-
cento als die Stille vor dem Sturm, nicht als Schlusssatz. Mit
Michelangelo bricht sich der strenge Barock gewitterartig Bahn, Ber-
nini ist die Spitze der zweiten Phase, des decorativen Barock.
Gothik und Barock sind neben dem allen Byzanz die Träger
neuer Formgedanken in der christlichen Kunst. In der Malerei
liegt die Entwicklung etwas anders als in der Plastik. Sie hatte
sich erst selbst zu entdecken, bevor sie an der grossen Entwick-
lung mitarbeiten konnte. Von Giotto zu Masaccio und Raphael
hat sie technisch und im Anschluss an Natur und Antike unge-
heure, formkräftig so gut wie keine Fortschritte gemacht. Sie
war zu einer Wissenschaft erwachsen. Leonardo vollendete ihr
 
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