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Strzygowski, Josef
Das Werden des Barock bei Raphael und Correggio: nebst einm Anhang über Rembrandt — Strassburg: J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.71578#0087
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Das Werden des Barock.

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rot ausgeklungen war, in Palma und vor Allem in Tizian die
erste, in Tintoretto und Paolo Veronese die zweite Blüte einer
localen Barockmalerei vor uns haben.1
Heute stehen wir vor Raphael. Nach der oben geführten
Untersuchung lässt sich kurz und bündig sagen: die Stilwand-
lung, welche Raphael in den letzten sechzehn Jahren seines
Lebens durchmacht, bedeutet nichts anderes als den Uebergang
vom Stil der Renaissance zu dem des Barock. Raphael verlässt
seine umbrische Heimat als der zartfühlendste Vertreter des
Quattrocento, der Aufenthalt in Florenz und Rom macht ihn
zum vollendeten Typus dessen, was das t6. Jahrhundert erstrebt,
aber nicht erreicht hat: aus dem, was die drei grossen Bahn-
brecher des Barock, ein Leonardo, Michelangelo und Bramante
an Ausdruck, Masse, Raum und Licht vor die Augen der stau-
nenden Welt gestellt hatten, eine neue Einheit zu schmieden.
Correggio, die Venetianer, die Caracci und Caravaggio sind alle
einseitig oder unwahr geblieben, Raphael allein ist es gelungen,
all das Grosse in sich aufzunehmen und in unausgesetztem Ringen
so zu verarbeiten, dass er sich bei Wahrung voller Wahrhaftig-
keit in der Sprache des Barock geben konnte. Diesen über-
menschlichen Sieg aber hat er mit dem Leben erkauft.
Es ist auch klar geworden, wie das so kommen musste.
Raphael war eine durchaus naive Natur, voll latenter Kraft. Das
kann nur noch von Correggio gesagt werden. Während dieser
aber einseitig nur die Bahnen bis zum Aeussersten verfolgte, in
die ihn Leonardo und das was an barocken Elementen in der
Kunst des Mantegna war, gedrängt hatten, empfing und verar-
beitete Raphael nach einander den vollen, unmittelbaren Einfluss
in erster Linie Leonardo's, dann Bramante's, endlich Michelan-
gelos. Dass er trotzdem sein eigenes Selbst nicht verlor, macht
ihn gross und den drei Bahnbrechern gegenüber ebenbürtig.
Als Raphael, ein zarter, zaghafter Jüngling in Florenz ein-
zog, vollzog sich eben der gewitterartige Wettkampf zwischen
Leonardo und Michelangelo. Raphael zog aus diesem Schauspiel

1 Preussische Jahrbücher Bd. 79 (1895) S. 78 ff.
 
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