Das Werden des Barock,
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übermächtige Wirkung des Räumlichen in der Vision des Ezechiel
zurück.
Mit der zweiten Stanze schliesst der einheitliche Entwick-
lungsgang Raphaels. Wir haben im dritten Abschnitte eine Reihe
von Gemälden behandelt, in denen die neueste Wendung in
Raphaels unersättlichem und unermüdlichem Studieneifer zu so
ausschliesslicher Geltung kommt, dass wir den Eindruck erhalten,
als hätte Raphael alles bis dahin Errungene bei Seite geworfen
und als folgte er, wie die Maniristen, die nach seinem Tode für
ein halbes Jahrhundert die Oberhand in Mittelitalien gewannen,
blindlings nur der einen Absicht, es der Antike und Michelangelo
an plastischer Rundung der Einzelform gleichzuthun. Raphael lässt
sich darin soweit gehen, dass er, um schöner Körper willen, im
Borgobrand und der hl. Caecilie Inhalt und Composition vernach-
lässigt. Nur in dieser Zeit, in der tausend Dinge zugleich auf den
Günstling Leo X. einstürmten, und er auch für die leere Phrase
ein entgegenkommendes Lächeln gehabt haben mag, konnte ein
Künstler vom Schlage des Sebastiano del Piombo ihm anziehend
genug erscheinen, dass er seinen venetianischen Frauentypus für
die hl. Magdalena im Caecilienbilde verwendete.
Von diesen Gemälden sind einige gleichzeitig mit den Meister-
werken entstanden, die wir im vierten Abschnitte für sich behan-
delten, so die Teppichcartons während der Vollendung des Borgo-
brandes, die Caecilie um dieselbe Zeit wie die Sixtina, der Amor
und Psychecyclus kurz vor der Transfiguration. Ein solches
Doppelschaffen wäre völlig unbegreiflich, wenn wir nicht wüssten,
dass Raphael, damals auch noch mit dem Bau der Peterskirche, den
Altertümern von Rom u. a. beschäftigt, nur selten ganz zu sich
selbst kommen konnte und im Uebrigen entweder seine Schüler, so
gut es eben ging nach Skizzen, die im Drange alltäglicher Geschäfte
entstanden waren, arbeiten liess, oder selbst unter dem Eindrücke
dessen malte, was ihn gerade beschäftigte. Nur so konnte es ge-
schehen, dass derselbe Raphael, der eben noch seine gesammte
vorhergehende Entwicklung verleugnet hatte, im nächsten Augen-
blick aus der Tiefe seiner gereiften Erfahrung Werke von un-
vergänglicher Grösse schaffen konnte, in denen allein alle Ele-
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übermächtige Wirkung des Räumlichen in der Vision des Ezechiel
zurück.
Mit der zweiten Stanze schliesst der einheitliche Entwick-
lungsgang Raphaels. Wir haben im dritten Abschnitte eine Reihe
von Gemälden behandelt, in denen die neueste Wendung in
Raphaels unersättlichem und unermüdlichem Studieneifer zu so
ausschliesslicher Geltung kommt, dass wir den Eindruck erhalten,
als hätte Raphael alles bis dahin Errungene bei Seite geworfen
und als folgte er, wie die Maniristen, die nach seinem Tode für
ein halbes Jahrhundert die Oberhand in Mittelitalien gewannen,
blindlings nur der einen Absicht, es der Antike und Michelangelo
an plastischer Rundung der Einzelform gleichzuthun. Raphael lässt
sich darin soweit gehen, dass er, um schöner Körper willen, im
Borgobrand und der hl. Caecilie Inhalt und Composition vernach-
lässigt. Nur in dieser Zeit, in der tausend Dinge zugleich auf den
Günstling Leo X. einstürmten, und er auch für die leere Phrase
ein entgegenkommendes Lächeln gehabt haben mag, konnte ein
Künstler vom Schlage des Sebastiano del Piombo ihm anziehend
genug erscheinen, dass er seinen venetianischen Frauentypus für
die hl. Magdalena im Caecilienbilde verwendete.
Von diesen Gemälden sind einige gleichzeitig mit den Meister-
werken entstanden, die wir im vierten Abschnitte für sich behan-
delten, so die Teppichcartons während der Vollendung des Borgo-
brandes, die Caecilie um dieselbe Zeit wie die Sixtina, der Amor
und Psychecyclus kurz vor der Transfiguration. Ein solches
Doppelschaffen wäre völlig unbegreiflich, wenn wir nicht wüssten,
dass Raphael, damals auch noch mit dem Bau der Peterskirche, den
Altertümern von Rom u. a. beschäftigt, nur selten ganz zu sich
selbst kommen konnte und im Uebrigen entweder seine Schüler, so
gut es eben ging nach Skizzen, die im Drange alltäglicher Geschäfte
entstanden waren, arbeiten liess, oder selbst unter dem Eindrücke
dessen malte, was ihn gerade beschäftigte. Nur so konnte es ge-
schehen, dass derselbe Raphael, der eben noch seine gesammte
vorhergehende Entwicklung verleugnet hatte, im nächsten Augen-
blick aus der Tiefe seiner gereiften Erfahrung Werke von un-
vergänglicher Grösse schaffen konnte, in denen allein alle Ele-