Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 1) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47010#0076
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ANLAGE DER ARBEIT

59

bar geliefert hat, wirkt aber stark auf dieses zurück. Hier beginnt die wissenschaftliche Welt von
Auffassung und Annahme, die nur dann fachmännischen Wert hat, wenn sie sich in der Abfolge:
Wesen, Geschichte und Ausbreitung aufbaut. Ich kann nicht Geschichte, im vorliegenden Falle
Kunstgeschichte schreiben, allein auf Grund der Tatsache von Denkmälern. Nur die im zweiten
Buche vorangestellte Wesensforschung erschließt jene Werte, auf Grund deren sich eine Auf-
fassung bilden und Annahmen entstehen können. Ich betrete damit eine Welt von Möglichkeiten,
die unbeschränkt wäre, wenn nicht die nachfolgende geschichtliche Prüfung das tatsächlich Zulässige
dieser Annahmen festzustellen suchte. Erst wenn ich so das Werden des Wesens erfaßt habe, kann
ich Ausbreitungsfragen in der Hoffnung nachgehen, nicht einfach äußerlich und vorschnell Zusammen-
hängen und Einflüssen nachzujagen, deren Annahme der inneren Berechtigung entbehrt.
Was ich hier methodisch verlange, ist ein hohes Ziel, das zu erreichen keinem Einzelnen ver-
gönnt ist — umsoweniger, je größer er sich seine Aufgabe gesteckt hat. Ich möchte unter diesem
Gesichtspunkt einige meiner älteren Arbeiten ansehen. Als ich 1888, von »Cimabue und Rom« aus-
gehend, mich, um die östlichen Voraussetzungen der italienischen Kunst zu suchen, nach dem Oriente
wandte, schlug ich einen Weg ein, der dem eben besprochenen gerade entgegengesetzt war. Ich
baute nicht auf, sondern riß ein. Dabei blieb es, als an Stelle von Cimabue die byzantinische Frage
trat, die mich tief hinein in die Wege der asiatischen Forschung zog. »Orient oder Rom«, 1901,
war der Ausdruck dafür. Weder in »Kleinasien, ein Neuland«, 1903, noch in den Werken über
»Koptische Kunst« und »Mschatta«, beide 1904 erschienen, hatte ich festen Boden unter den Füßen,
immer galt es noch weiter nach Osten zu gehen, um an die Quellen des Schöpferischen zu gelangen.
Soviel ich jetzt sehe, habe ich erst 1910 aufzubauen begonnen. »Amida« ist der erste, noch tastende
Versuch. »Altai-Iran« zeigt, 1916 gedruckt, die volle Entwicklung von Auffassung und Annahme
auf einem Boden, der für manche Gebiete der Zierkunst als ursprünglich gelten kann. Ich hoffe, das vor-
liegende Buch werde als reife Tat einer in langer Lebensarbeit selbst errungenen Methode gelten können.
Zum ersten Male fühle ich festen Boden unter den Füßen und könnte auch mein »Amida« über Meso-
potamien in diesem Sinne umarbeiten. Geht von dort — um nur vom Gebiete der Baukunst zu
reden — der tonnengewölbte Kirchenbau aus, so von Armenien die Kuppel über dem Quadrat
mit ihrer Verstrebung durch Nischen bzw. Pfeilervorlagen. Von dort aus, dem Zweiströmeland
und der Hochebene des Ararat, vollzieht sich die Entwicklung, die dem hellenistischen Vorläufer
allmählich den Boden entzieht. Auf dem Untergründe der einen Richtung steht jene Bewegung
des Abendlandes, die wir als Romanisch und Gotisch bezeichnen, auf dem der andern (die
jedoch schon das ganze Mittelalter hindurch gewirkt hat) die Renaissance, wie das letzte Buch
über die Ausbreitung als Ergebnis zeigen wird. Ich gehe kurz die vier Bücher einzeln in ihrer
Methode durch.
Das erste Buch, die Vorführung der Denkmäler, sucht den Bestand sicherzustellen. Wenn
die Festlegung des Ursprünglichen und die Kritik der Quellen dabei manchem noch zu wenig
gründlich durchgeführt erscheinen sollte, so sei gesagt, daß erst die nachfolgende Wesensforschung,
Geschichte und Ausbreitung manches sicherstellen werden, wovon jetzt am Anfänge der Beschäftigung
mit diesen Denkmälern unbeeinflußt sachlich nur schwer gründlichere Klarstellung erreicht werden
konnte, umsoweniger, als der Krieg die beabsichtigten Nachprüfungen unmöglich gemacht hat. Zuwarten
hieße den günstigsten Augenblick für die Einführung der armenischen Tat in das Bewußtsein der
eine neue Ordnung aufrichtenden Welt versäumen. Ein anderes ist freilich, ob die Wissenschaft
so weit in ihrem Verantwortlichkeitsgefühl gekommen ist, daß sie die Pflicht, die vorgelegten Ergeb-
nisse rechtzeitig zur Kenntnis zu nehmen, anerkennt. Ich habe damit die traurigsten Erfahrungen
gemacht, insbesondere in der Richtung, daß die Kunstforscher Außenstehenden das Wort gönnen,
sogar in Fachzeitschriften, und selbst dazu schweigen. So kann der Karren nur verfahren werden
und alle meine Mühe vorläufig umsonst sein1). Wenn mich das nicht entmutigt, so danke ich die
Kraft dazu auf die Dauer nur der Einsicht, wie schwer den in dem engen europäisch-historischen Gesichts-
’) Vgl. die Vorstöße von Reisenden, wie Herzfeld und Guyer, und meine Antworten in der »Orientalistischen Literaturzeitung«,
XIV (1911), S. 506 f. und »Repertorium für Kunstwissenschaft« 1918. Solche »Besprechungen«, wie die in den Graphischen Künsten
(1917, S. 36 der Mitteilungen) mögen hier überdies als bezeichnend für die Gesinnung der Wiener Kollegen angeführt sein.
Dazu Monatshefte für Kunstwissenschaft 1918, S. 101 f. Welche Art von Leuten sich berufen fühlen mitzureden, entnehme man
Wilharts Angriff und meiner Antwort »Römische Quartalschrift«, XXIV (1910), S. 172 f.
 
Annotationen