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ERSTER VORTRAG.

DIE GEISTESWISSENSCHAFTEN.
Die Geisteswissenschaften arbeiten auf geschichtlicher Grundlage, daran
ist nicht zu rütteln. Wogegen sich der Fachmann wenden muß, ist, daß
unter einem auch Geschichtsphilosophie in die Fachforschung einströmt.
Damit hat sie nichts zu tun, muß vielmehr grundsätzlich bemüht bleiben,
die Grenze, an der die Tatsache aufhört, so weit als nur irgend möglich
hinauszuschieben. Kein denkender Kopf freilich wird sich ausschließlich
auf die Tatsache und die Erfahrung an ihr einstellen, nicht einmal die
Wissenschaft als solche darf das; sie wird immer ihre stärksten Anregungen
aus der Verknüpfung der Tatsachen erhalten. Diese Verknüpfung aber
muß streng von den Tatsachen selbst getrennt werden. Dazu wieder
gehört ein planmäßiges Vorgehen, sowohl den Tatsachen der Sachforschung
selbst, wie denen ihrer gewöhnlich gefärbten Verknüpfung gegenüber, der
Beschauerforschung. Auf die Herausarbeitung eines solchen Vorgehens
ist das vorliegende Buch unter Nutzung einer Lebenserfahrung im Gebiete
eines einzelnen der geisteswissenschaftlichen Fächer gerichtet.
Die Forschung über Bildende Kunst ist eine ausgesprochene Geistes-
wissenschaft. Wenn die Bildende Kunst selbst auch greifbare Erscheinung
ist, durch Rohstoff, Werk und ihren großen wirtschaftlichen Aufwand
sich bisweilen stark den Naturwissenschaften und der Technik nähert, so
kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß ihr Gegenstand, eine
Gattung Kunst, das heißt seelische Bedeutung, durchaus dem Geistigen
angehört. Die „Kunstgeschichte“ teilt denn auch mit den Geisteswissen-
schaften alle Schicksale des Werdens; sie stand durch Jahrhunderte wie
alle andern auf unsicheren Füßen und hat, wie wir glauben, erst einen
festen Boden gewonnen, seit auch sie durch die textkritische Bearbeitung
der Quellen, die geschichtliche Sicherstellung der Denkmäler und ihre
zeit-örtliche Anordnung, dann durch die Anfänge einer fachmännischen
Wertwissenschaft nicht mehr der Spielball schöngeistiger Beredsamkeit
ist, sondern eben zur „Kunstgeschichte“ wurde. Wir könnten uns also
ebensogut wie manche andere Geisteswissenschaft beim gegenwärtigen
Zustande befriedigen. Der übliche Verlauf, in dem sich die herrschende
Durchschnittsgesinnung der Gelehrtenkreise unserer Zeit herausbildet, ist
ja noch immer einem solchen satten Behagen günstig. Jedenfalls scheinen,
 
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