Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

DOI Heft:
Nr. 8 (April 1910)
DOI Artikel:
Soyka, Otto: Der neue Ruhm
DOI Artikel:
Döblin, Alfred: Gespräche mit Kalypso, [4]: Ueber die Musik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0061

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
WQCHENSCHRIFT FÜR KULTUR ! UNDfeDIE KÜNSTE


Redaktion und Verlag: Berlin - Halensee, Katharinenstrasse 5
Fernsprecher Amt Wilmersdorf 3524. Anzeigen-Annahme undr
Geschäftsstelle: BerlinW35, Potsdamerstr. 111/Amt VI 3444^

Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN

Vierteljahresbezug 1,25 Mark / Halbjahresbezug 2,50 Mark /
Jahresbezug 5,00 Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

ERster jahrgang

BERLIN/DONNERSTAG/DEN 21. APRIL 1910/WIEN

NUMMER 8

^HALT: OTTO SOYKA: Der neue Ruhm/ALFRED
°ÖBLIN : Oespräche mitKalypso UberdieMusik/CHAM-
MAY PlNSKY: Ich sandte meine Lieder/ RUDOLF
KüRTZ: E. T. A. Hoffmann/ROBERT SCHEU: Leit-
f**len der Weltgeschichte / R. R.: Königstreue und Äther-
narkose / MINIMAX: Der Räuberhauptmann / A. D.: Herr
pfitz Mauthner/MYNONA: Musik und Schliitelfrost/
K^RlKATUR: Wilamowitz-Moellendorff

Oer neue Ruhm

^°n Otto Soyka

Die Zahl der Berühmtheiten unserer Tage
*|ühert sich in den einzelnen Ländern immer mehr
pW Resultate der Volkszählung. Es ist unserer
~ e£enwart endlich gelungen, den oft zitierten
Jornenpfad des Ruhmes in einen bequemen Spa-
J-ierweg fiir jedermann umzugestalten, und eine
eunte Menge von Menschen wälzt sich die neue
^haussee entlang. Zum guten Tone der Zeit
kehört es, in irgend einer Kunst Hervorragendes
pleistet zu haben. Wer nicht literarische Lor-
öeeren pflücken kann, nennt eine persönliche Note
'tn Denken sein eigen, oder eine zarte Nuance im
°n, oder eine unvergleichliche Feinheit im Aus-
h ruck, oder er leistet wenigstens in der Art, das
a,les zu entbehren, höchst Beachtenswertes.

Beachtet zu werden, ist eine Anforderung, die
?}** naiver Selbstverständlichkeit vom kleinen
“ann des üeistes an die Oeffentlichkeit gestellt
' ,v‘ rd. Diese wird mit solchen Qesuchen um „Kennt-
jnsnahme" überlaufen. Die literarische und künst-
erische Kritik wird immer mehr zum Vorschuß-
v. erein, und Frau Fama ist bedeutend leistungs-
^higer geworden, seitdem sie an Steile der Posaune
i‘ e Potationsdruckerpresse beniitzt und statt hun-
Uert Zungen einige hunderttausend Stahlfedern im
jj‘ enste hat. Und so kam man in die Lage, den
einen seltenen und kostbaren Artikel
Zeit, in großen Quantitäten herzustellen
Ur|d Anteile von ihm fiir minimale Anzahlung aus-
*"Seben.

Dieses Verfahren hat Aehnlichkeit mit schwin-
Uelhaften Operationen schlechter Banken. Denn
tler Ruhm, den die Weltg*.sclnchte bewahrt und
2eigt, ist aus Arbeit entstanden, ist nichts anderes
umgesetzte Arbeit selbst. Wenn eine Zeit, wie
u‘ e unsere, in unbegrenztem Maße Ruhmesnoten
a“sgibt, ohne im entferntesten fiir diese An-
j^eisungen Deckung in reellen Arbeitswerten zu
i aben, so werden diese Anweisungen bedeutungs-
j?Se Zettel und iene tragen eben den Schaden, die
J‘ e echte Anwartschaft auf das Kapital der öffent-
lchen Anerkennung besitzen.

Echter Ruhm war stets nur ein Schatten, den
vollbrachte menschliche Handlungen in das Qe-
bächtnis von Mit- und Nachwelt warfen. Unsere
. ‘t hat neben so vielen industriellen Qedanken
a“ch den gehabt, diesen Schatten kiinstlich zu er-
j- eugen, ohne die Leistungen und Miihen, die ihn
ervorriefen. Verhieß doch die künstliche Her-

:v«nm,

trüherer

stellung von Ruhm ein glänzendes Qeschäft zu
werden, er war zu allen Zeiten sehr begehrt und
nicht etwa die oft recht anstrengende Tätigkeit, der
er entsprang. Und man brachte in der Retorte der
Journale wirklich etwas zustande, das dem Ruhm
ähnlich sieht. Eine Art Homunkulus von Ruhm ist
es, ein billiges Fabrikat; dieser neue Ruhm ist nicht
eben dauerhaft, es fehlt ihm auch etwas an be-
soiideien Aroma, auer zu einein recnt aageiieainen
Rausche verhilft er doch und unser modernes
Leben zeigt Unzählige, die diesem Qenusse leiden-
schaftlich fröhnen.

Jeder liebevolle Vater ist in der Lage, seinem
Söhnchen zum fünfzehnten Qeburtstage einen
netten, kleinen Knabenruhm zu kaufen. Die Qe-
dichte des Jungen genügen meist vollkommen dazu,
wenn das aber nicht der Fall sein sollte, so lassen
sich die verbesserten Hausarbeiten zu einem gut
aussehenden Bändchen zusammenfügen. Der Bei-
trag zu den Druckkosten ist selbst für kleinbüger-
iiche Verhältnisse leicht zu erschwingen. in Be-
kanntenkreisen wird das Büchlein viel besprochen,
bei einer Tante liegt es im Salon, die andere muß
es, der erwachsenen Tochter wegen, unter Scltloß
und Riegel halten. Es gibt zwar immer einzelne
Schulkameraden, die boshafte Rezensionen
schreiben, aber dafür loben andere, die nicht die-
selbe Anstalt besuchen, umsomehr. Das ist immer-
hin noch harmioser als der nur zweideutige Miß-
erfolg einer durchaus reifen und ernst zu
nehmenden Talentlosigkeit. Krüppel können sich
heute kaum eine bessere Pflege wünschen, als
durch deutsche Kritik. Da wird sorgfältig unter-
sucht, und mit Jubel wird es verkündet, wenn ein
oder das andere Qlied nicht krumm ist. Da wird
an Aufmunterung nicht gespart, mühselig wird mit
Krücken auf die Beine gebracht, was von selbst
nie stehen könnte. Die Atmoshäre in der deutschen
Kritik hat Spitalstemperatur. Talente, die gerade
gewachsen sind und sich kräftig bewegen wollen,
stoßen allerorten an. Was sollte man diesen gegen-
über auch mit den ängstiich bereitgehaltenen
Krücken tun, wenn man sie glücklicherweise nicht
ebensogut zum Dreinschlagen benützen könnte?

Der Ruhm ist zum festgesetzten Normalpreis
zu haben, und wer den Kurs nicht beachtet und zu
viel bietet, der läuft Gefahr, nicht ernst genommen
zu werden. So kommt es, daß auch die Wohl-
habenden des Qeistes nur kleine Münze in Verkehr
bringen. Stimmungsmalerei und Detail florieren.
Die Starken unter den Erzählern holt sich das
deutsche Publikum lieber aus Rußland und Frank-
reich, die Phantasievollen aus England. Der
deutsche Literat aber hat in erster Linie seine
lyrischen Pflichten zu erfüllen und im Detail seine
Kunst zu zeigen. Das ist das traditionelle Poeten-
tum, das deutsche Gauen bevölkert. Ein Unglück
braucht man es nich.t zu nennen, „im Qegenteil, es
wird auf diese Weise wirklich eine neue Seite der
Welt erschlossen, in die sich auch der noch mit
Vergnügen einlebt, der über dem Moos, trotz seiner
Zierliehkeit, den Eichbaum nicht vergißt, auf dem
es wächst, und über dem Eichbaum nicht den Wald,
zu dem er gehört. Schlimm ist nur, daß die Qrenze
ieicht iiberschritten und das Maß verrückt wiid.

und das geschieht immer, frülier oder später. W eil
das Moos sich viel ansehnlicher ausnimmt, wenn
der Maler sich um den Baum nicht bekümmert,
und der Bauin ganz anders hervortritt, wenn der
Wald verschwindet, so entsteht ein allgemeiner
Jubel, und Kräfte, die eben für das Kleinleben der
Natur ausreichen und sich auch instinktiv die Auf-
gabe nicht höher stellen, werden weit über andere
erhoben, die den Mückentanz schon darum nicht
schildern, weil er neben dem Planetentanz gar nicht
sichtbar ist.“ Diese Worte, mit denen im Jahre
1858 Friedrich Hebbel zu ähnlichen Verhältnissen
Steilung nahm, geiten uneingeschränkt für unsere
Tage.

Freilich nimmt die Nachwelt mit derben
Strichen ihre Korrekturen vor und der Zensurstift
der Kulturgeschichte ist erbarmungslos. Man lese
einmal die literarischen Notizen, die in zurück-
liegenden Jahrgängen einer Revue enthalten sind.
Welcher Lärm um Autoren und Werke, die prompt
vergessen wurden! Fast soviel Lärm als nichts.
Herr N. ist ein Wunderkind für die Eltern, der große
Mann für die Qattin gewesen, und das alles, weil er
seinen Teil von der Ueberproduktion an Ruhm
abbekam, und er ist zeitlebens so stolz und zu-
frieden gewesen wie die Frau jenes Weisen, die
glaubt, ihre Lampe sei Gold, und in diesem Giauben
selig lebte und verschied. Wer wollte so grausam
sein, diesen idyllischen Zustand zu stören?

Zwei Dinge sprechen für ein Einschränken des
modernen Ruhmesvertriebes. Einmal: daß Herr
N. jemand besseren den Platz fortnehmen könnte,
und ferner: das gut begründete, durchaus unan-
fechtbare Recht des Publikums, von Herrn N. nichts
zu hören. Das scheint mir ein angeborenes Recht
von höchster Wichtigkeit, von solcher Existenz
nichts, absoiu, nichts zu er/ahren. Und doch ist nur
verboten,inmenschlichesFleischFremdkörper,etwa
Messer oder Bleikugeln einzutreiben. In mensch-
liche Qehirne mit Hammerschlägen die Keile der
Reklame zu pressen, ist gestattet.

Qespräche mit Kalypso

Ueber die Musik

Von Alfred Döblin

Viertes Gespräch: Die Meerfahrt / Von den
Tönen und Geräuschen

(Die Meerfahrt. Das offene graugrüne Meer.
Starker Wind. In einem Vielruderer mit schlagen-
dem Segel lugt Kalypso am Steuer. Der Musiker
hält ein Tau, springt lavierend herum; er ist jetzt
ohne Nasenkette.)

Musiker:

(Kalypso zujubelnd.) Kalypso, Si«»e«iuv!

— Die nun, welche dem jähen Verderben entronnen
waren, —

Musiker:

Krochen auf der Erde herum und holten sich den
Tod.

Kalypso:

Und taten gut daran.

S7
 
Annotationen