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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 9 (April 1910)
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Minimax: Aus Preußen
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Kraus, Karl: Die Forum-Szene
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0069

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WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

^HRGANG 1910 ßERLIN/DONNERSTAG DEN 28. APRIL 1910/WIEN NUMMER 9

1NHäLT: MINIMAX: Aus Preussen/KARL KRAUS:
Die Forum-Szene/RUDOLF KURTZ: E. T. A. Hoif-
"'ann/OTTO STOESSL: Die Hackinger Allee/AL-
’^ED DÖBLIN: üesprache init Kalypso über die
^‘" 8ik / MY NONA: Fondants aus der spirituellen Kon-
f‘ Seric / ELSE LASKER-SCHÜLER: Oedichte / R. R.:
^‘ e Schxeihälse/TRUST: Theoretische Dichter / KARl-
^ I'UREN / Beachtenswerte Bticher und Tonwerke

29

Aus Preussen

T* %

' urkisches aus der Geschäftsordnungs-
0tnmission

s der letzten Geheimsitzung beschloß man ein-
'.‘•himig, die vorüberfließende Panke in größereni
Urhianp,e zu den Regierungsverhandlungen hinzu-
/■"ziehen. Abgeordnete, die dreimal von Sitzungen
""sgeschlossen wurden, sollen gut eingeseift, in
" nen ledernen Sack eingenäht, in die Panke ge-
pOrfen werden, wo sie am tiefsten ist. Sollte die
Hnke gerade nicht vorüberfließen, will man die
T'rren solange in den Rauchfang hängen. Das
, ehtrum wird mit einigen vertrockneten Liberalen
"‘riheizen. Raben, Hexen und Ministerien sind
reundlichst eingeladen.

Bremer Unratskeiler

Dreißig Lehrer Bremens haben dem alten Bebel
seinem Geburtstage ein Giiickwunschtelegramni
Seschickt. Drei wurden sofort gefaßt und gejagt;
J:" 1' Feststellung und baldgefälligen Chassierung
^ er restierenden siebenundzwanzig schweben Zeug-
l" szwangsverfahren. Um in Zukunft allen Offen-
■ "rzigkeiten der Lehrer vorzubeugen, werden sie
fctzt nur auf Vorbehalt angesteilt. Das ist gut-
^"heißen. Man gratuliert nicht so aufs Geratewohl.

ern Senat z. B. hat niernand zu seinem sieben-
j.!&sten Geburtstage gratuliert. Vielmehr schon im
("ufzigsten gewünscht, daß ihm der Teufel den Rost
Z" 1! Grünspahn heiß abpoliere und daß er zu jenen
p eißen Schimmelpilzen gepflanzt werde, die in den
Sken von Unratskellem so muftig und so flachen-
üppig gedeihen.

^ctibau des preussischen Kultusministeriuir.s

j. Tageszeitungen berichten, daß ein großes Ber-
Museum nach dem Vorort Dahlem verlegt
J rd. Die Angabe beruht auf einem irrtum. Das
jf"seum, für dessen Ausgestaltung und Benutzung
j. eic Lage und Ruhe Vorbedingung ist, soll aller-
!"gs von Berlin fort, und zwar auf eine möglichst
I tseitig isolierte Insel der Südsee geschafft werden;
!;^ raiben und Hawai-Insel stehen zur Konkurrenz;
Transport von etwaigen Besuchern dahin
noch Differenzen im Ministerium (wahr-
'^heinlich Dalldorfer Schiffahrtslinie). Doch dürfte
ichtiger der Neubau des preußischen Kultus-
j lriisteriums sein. Die Religiosität erfordert, was
n er Verstand billig heißt: es wird in den ruhigen,
Ur etwas feuchten Kellereien der Berliner Gar-

, uer den
' cWeben

nisonkirche untergebracht werden. Mit Ililfe eines
bewährten, nur halbseitig gelähmten, äußerst
frommen Küsters wird man von hier aus sich aufs
leichteste einen Ueberblick über die königlich
preußischen Kulturbewegungen verschaffen körinen.

Das Kriegsschiff wider Wilien

Auf den englischen Kriegsschiffen hat sicli im
Laufe der Jahre die Sitte eingebürgert, das Deck
zum Rollschuhlaufen zu benutzen. Bei einer
ietzthin erfolgten feindlichen Aktion englischer
Kriegsschiffe gegen deutsche, kam es infolgedessen
zu keinem kriegerischen Zusammenstoß, weil die
beiderseitigen Marmschaften ini Moment der Be-
gegnung mit Tennis und Hockey vollauf beschäftigt
waren; man zog unverrichteter Dinge ab. Die Wut
der Behörde ist unsäglich, aber die Leidenschatt hat
schon zu weite Kreise erfaßt. Lin Krieg ist un-
möglicli gemacht; Bertha Suttner ist vom Hansa-
bund ein Rollschuh am blauen Bande verliehen
worden. Wenn sie sich noch den anderen kauft
und Rollschuh läuft, wird jeder Krieg im Keim er-
stickt, weil ganz Europa vor Lachen platzt. Man
rodelt von Kirchtürmen herunter, die Regierung
muß den Konservativen den Buckel rauf und runter
rutschen; zu derselben Handlung suchen die Sozial-
demokraten die bürgerlichen Parteien zu bewegen.
Man tanzt Plattschuh in den öffentlichen Land-
tagen auf Verfassungsgarantieen und Gesetzes-
paragraphen: Bethmann-Hollweg, der garnichts
kann, dünkt sich ein Philosoph. Gebe Gott, daß
dieser Spielleidenschaft bald Einhalt geboten wird.
Denn es könnte geschehen, daß die goldene Göttin
überdrüssig des Stehens von der Siegessäule her-
untersuege, auf der tjuadriga des Brandenburger
Tores nach Potsdam rasselte und im Garten von
Sanssouci mit den heidnischen Stein-Nymphen ein
Menuett aufführte, derart, daß die Schloßfenster vor
Heiterkeit aufspringen, einlassend die Luft des
großen Fritz, welcher auch die Großen mit seinem
Krückstock zu ducken wagte und sich getraute. —

Minimax

Die Forum-Szene

Von Karl Kraus

Nach einer Satire, die in dem Buche von Karl Kraus „Die
chinesische Mauer“ (Verlag Albert Langen) enthalren sein wird

Mark Anton spricht in einem Stil, der deutschen
Hörern bekannter sein dürfte, als den römischen. Es
scheint sich, soweit man den Sinn der Rede versteht,
um Vorfälle in der Umgebung Cäsars zu handel.n, die
an die Affäre Eulenburg erinnern, und durch die es an
den Tag gekommen ist, dass sie alle, alle normwidrig
sind. Anklänge an den Text Shakespeares failen manch-
mal recht prosaisch in die feierliche Sprache dieses Mark
Anton ein.

„Mitbürger! Freunde! Nachfahren der ini
l iberbezirk von der Wölfin üesäugten! hört mich
an: Cäsarn in die Grube zu senken, nicht mit blin-
kender Rede ihm seines Wirkens bleibende Spur
zu zeichnen, bin ich vor euch, die der Volkheit
Wolien eint, getreten. Was Menschen Uebles tun,

trägt ins Gedenken noch die Viruskraft, wenn mit
dem längst verdorrten Leib frommen Handelns
Erinnerung die Scholle fühllos deckt. (Fühllos?
Die im Frühlenz erneute läßt menschlicher Kurz-
sicht den mit leiser Tröstung sänftigenden Kinder-
glauben der Wiederkehr.) So sei es auch mit
Cäsarn! Der edle Brutus hat euch, da er mit
flinkem Finger den Schwichtigunggrund erraffte,
gesagt, daß Herrschsucht ihm, der gleißende
Wurm, am Ziel noch ungesättigt aus dem Auge
sah. Wenn dies erweislich wahr ist, kein Rüge-
wort könnte den sichtbaren Fehl so schmerzend
treffen, wie ers trotz einem Tag vor Tag an die
res publica gebundenen Daseinsinhalt verdiente.
Und das grause Ende, das diesem Leben ein
ürüppchen der vom Volk Abgeordneten bereitet
liat, würde auch den im politischen Handlungdrang
noch nicht völlig gewirrten Sinn ein von Dike
selbst befohlnes Werk dünken. Hier, mit des
Cajus Titus Aemilius Marcus Brutus Willen und
der Andern (denn Brutus ist, soweit das Urteil der
im Geltungbereich der Sitte Wohnenden zum
Ansehn hilft, ein der Ehren, die in der Siebenhügel-
stadt auch geringern Könnern heut die Stirn be-
glänzen, werter Mann; und neben ihm, mit ihm,
sind alle, die gleiches Hoffen bindet, gleicher Er-
fiillung wert)-“

Zwischenrufe: „Das Testament! Das Testa-
ment!“ werden schon an dieser Stelle laut. In dem
losbrechenden Lärm versucht Redner vergebens
sich unverständlich zu machen. Man merkt nur,
wie er sich um die kürzeste Bezeichnung der Stadt
Rom herurndrückt, und hört eine Geschichte von
der dein Hirtengott bereiteten Wolfsfeier, worun-
ter das schon bekannte Lupercusfest verstanden
sein will. Endlich verschafft er sich Ruhe, nennt
Cassius einen stillen Mächler und behauptet, daß
das Plänchen zur Beseitigung Cäsars von Män-
nern geschmiedet sei, die diesen Namen nicht ver-
uienten, weil ihnen ein kränkliches Wesen eigne,
und die politisch gefährlich seien, weil sie, denen
der Wiiienskanal docli nicht völlig verstopft sei,
auf ihren warmen Plätzchen flink ein Weltrühm-
ciien haschen möchten. Da diese Anspielungen
niemand versteht, lialten alle den Redner für den
Retter des Vaterlands und ahnen nicht, daß einc
enttäuschte Frau hinter ihm steht, eine von jenen,
die in der Politik schon einmal ohne Dank sich be-
tätigt haben, als sie nämlich das Kapitol retteten.
Daruin entschließt sich Mark Anton zu einer deut-
licheren Sprache. Von einem der römischen Feld-
herren werde offiziell zugegeben, er habe seinen
Burschen Lucius „unzüchtig berührt“. Solch be-
schönigender Darstellung gegenüber hält er es für
seine Pflicht, nicht nur anzudeuten, sondern „aus-
zusprechen, was ist“, und rutt: „Nui beruna? brhat
ihn geküßt und versucht, ihm den Chiton herunter-
zureißen!“ . . . Das Volk von Rom merktjetzt, daß
man es hier mit einem Willensmenschen von säku-
larer Größe zu tun habe, der aus eigenem Antrieb
die ganze Arbeit zu leisten imstande ist, für die ein

Dutzend Staatsanwälte bezalilt werden müssen.

Redner kandldiert schliesslich auf das politische
Programm: „Nun wirk’ es fort, Unheil, du bist im
Zuge, niinm welchen Lauf du willst!“
 
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