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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

DOI Heft:
Nr. 80 (Oktober 1911)
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Aus der Heimat
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0191

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Umfang acht Seiten

Einzelbezug 15 Pfennig

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

Redaktion und Verlag: Berlin-Halensee, Katharinenstrasse 5
Fernsprecher Amt Pfalzburg 3524 / Anzeigen-Annahme
durch den Verlag und sämtliche Annoncenbureaus

Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN

Vierteljahresbezug 1,50 Mark / Halbjahresbezug 3,— Mark /
Jahresbezug 6,— Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

JAHRGANG 1911 BERLIN OKTOBER 1911 NUMMER 80

Inhalt: TRUST: Aus der Heimat: Der Türke in Berlin / Durchdringung mit Volksgeist / Gemäldeaussteliungen / Konzerte / War Goethe musikalisch /
Nochmals der Doktor Sabberer / K. H.: Spielereien einer Kaiserin / PAUL ZECH: Gedichte / ELSE LASKER-SCHÜLER: Briefe nach Norwegen /
ALBERT EHRENSTEIN: Passion / KURT HILLER: Offener Brief an den Herausgeber / Beachtenswerte Bücher

Aus der Heimat

Der Tiirke in Berlin

Der türkische Thronfolger hatte die Güte,
mit einem Herrn vom Lokal-Anzeiger über die
Eindrücke seiner Reise durch Deutschland zu
plaudern. Man sollte nicht glauben, was einem
türkischen Thronfolger auffallen kann, fast so
viel wie einem Herrn vom Lokal-Anzeiger. Dem
fällt vor allem die ausgezeichnete Stimmung auf,
in der er den Thronfolger antrifft. Der hätte
sehr viel darum gegeben, den Manövern beizu-
wohnen, „deren hochinferessanten Verlauf er nur
aus der Ferne an der Hand der Berichte habe
verfolgen können.“ So kann selbst der Lokal-
Anzeiger fiir einen Türken zur hochinteressanten
Lektüre werden. Der Thronfolger gibt seinen
Empfindungen „beredten Ausdruck“: „Wiemacht-
voll p u 1 s i e r t das Leben durch ihr grosses
schönes Berlin, wie glücklich und g e n u s s -
f r o h scheint diese Bevölkerung zu sein, bei der
Riesenarbeit, welche die staunens-
wertesten Fortschritte g e z e i t i g t hat, wie
prächtig straff ist die Disziplin. Während da,
wo die Natur sparsam war, wie in der Mark,
der Charakter des Soldatenvolkes schärfer her-
vortritt, das in zäher Disziplin entgegen-
s t e h e n d e Schwierigkeiten besiegte, imponiert
an dem herrlichen Rhein und in den
gesegneten Regionen des Südens die
praktische Regsamkeit, welche alle Möglich-
keiten ausnutzte, und beispielsweise aus Frank-
furt eine so glänzende Handelsmetro-
p o 1 e machte.“ Ich bin überzeugt, dass nicht
der Herr vom Lokal-Anzeiger den Thronfolger,
sondern der Thronfolger den Herrn vom Lokal-
Anzeiger über seine berliner Eindriicke befragi
hat. Wie, um Gottes willen, soll der Thronfol-
ger etwas vom pulsierenden Leben, von der ge-
nussfrohen Bevölkerung, von den gezeitigten Fort-
schritten, von der sparsamen Natur, von dem
herrlichen Rhein, von den gesegneten Regionen,
von der so glänzenden Handelsmetropole am Bos-
porus gesprochen haben. Oder klang ihm
dieses Deutsch türkisch. S p a n i s c h bleibt
jedenfalls seine Bemerkung, dass er sich

in einer Aufnahme der „Woche“ in einer „gut
getroffenen Aufnahme“, die eben hier eingetrof-
fen war, wiedererkannte, ohne sich durch diese
handgreifliche Reklame getroffen zu füh-
len. Dem betroffenen Leser wird noch von der
unübertroffenen grossen Freude berichtet, die der
Thronfolger dabei hatte, jede Persönlichkeit der
Gruppenaufnahme „mit Vergnügen“ zu erkennen.
Diese KanstSLÜcke soii ihm mai erst einer m
Deutschland nachmachen. Was die Bevölkerung
umso lieber tun wird, als der Thronfolger ihr
durch den Herrn vom Lokal-Anzeiger mitteilen
lässt, dass er ihrer stets in herzlicher Dankbar-
keit gedenken werde. Der Thron in seinem Her-
zen ist uns also sicher.

Durchdringung mit Volksgeist

Berlin wird nun eine juryfreie Kunstschau
erleben. Die Vereinigung versendet einen Pro-
spekt, mit der Mitteilung, class sie mit dieser
Veranstaltung cler Kunst dienen und den Künst-
lern helfen will. Aber nicht damit genug: „Die
Vereinigung will durch die juryfreie Kunstschau
und über d i e s e 1 b e hinaus eine notwendige
Annäherung zwischen Künstler und Publikum
schaffen, da hierdurch allein unserem gesamten
Kunstleben neue Kraft und Frische zugeführt
werden kann. „Die notwendige Annäherung zwi-
schen Künstler und Publikum wird allseits er-
strebt. Der Herr Künstler fühlt sich verlassen
und alleine auf dem in früheren Zeiten beliebten
Piedestal. Er will nicht immer abseits stehen,
er rückt dem Publikum auf den Leib, klopft ihm
auf die Schulter und das Publikum, erfreut,
über solche Vertraulichkeit, rückt gleichfalls her-
an. Wir gehen schönen Zeiten entgegen. Man
bedauert fast, nicht Künstler zu sein. Leib an
Leib fordert Künstler und Publikum das Jahr-
hundert in die Schranken des Zirkus. Denn, wie
sagt Herr Artliur Kahane, Dramaturg des Deut-
schen Theaters zu Berlin, Verfasser des Buches
L I E D E R : Auf einem uns vorgeschriebenen
Wege suchten wir den Rahmen des heutigen
Theaters zu erweitern, seine Wirkungen zu stei-
gern, d e n K o n t a k t mit dem Publikum enger
zu rnachen. So war es kein Zufall, wenn wir
vom kieinen Theater in die Arena stiegen. Auf

diesem Wege werden wir weiter gehen, vielleicht
vertrauen wir nicht ohne Grund, dass dem, der
uns folgt, neue Fernsichten und Ausblicke
sich öffnen werden.“ Der Künstler wird also
immer weiter auf diesem Weg gehen, die Vorstel-
lungen werden zwar nicht besser, aber die Vor-
stellung schwierig, wie bei dem fortgesetzten Auf-
denleibrücken, sich neue Ausblicke auf Fernsich-
ren' öünen ' wefci'eii." Äucn ’ wenn dle wirkungen
des Rahmens so gesteigert werden, dass er aus-
einanderplatzt, wird diese denkbar grösste Er-
weiterung keinen Konktakt mit dem Publikum
herstellen, clem man ohne Elektrizität nur auf
die Füsse tritt. Diese geographischen Erörterun-
gen las man in den Blättern des Deutschen The-
aters, die an Zerstreutheit alles zu wün-
schen übrig lassen. Diese Politik der Annäherung
setzen nun die sehr gebildeten bildenden Künst-
ler der juryfreien Kunstschau fort. Sie gehen
denselben Weg. Sie sind sogar Idealisten. Sie
gewähren den fördernden Mitgliedern freien Ein-
tritt in das Kaiser Friedrich-Museum und be-
deutende Vergünstigungen bei noch vorgesehenen
Veranstaltungen der Vereinigung, zum Beispiel
bei einem grossen Künstlerfest, und sie „glau-
ben und vertrauen, dass d i e s e 1 b e n neben den
starken ideellen Grundgedanken (nämlich dem
Näherrücken), auf den die Vereinigung aufge-
baut ist (also auf schwankendem Grund sozu-
sagen), unserer grossgedachten und grossangeleg-
ten Sache sehr viele Nichtkünstler zu fördernden
Mitgliedern werben werden. Ja, den Nichtkünst-
lern wird noch viel mehr zugemutet. Sie ar-
beiten durch Ausnutzung der erwähnten Vergün-
stigungen „mit an cler Verjiingung und Gesun-
dung unseres deutschen Kunstlebens und helfen
der Künstlerschaft in einem schweren, aber aus-
sichfsvollen Kampf um die Neubelebung' der er-
loschenen Teilnahme an der bildenden Kunst.“
Für acht Mark fuscht jeder gern mal an der Ge-
sundung der deutschen Kunst mit. Fragt sich
nur, ob ihr diese Pferdekur bekommen wird.
Namentlich, cla sich alle Kreise der Bevölkerung
an der Behandlung beteiligen $ollen. Und nun
das grösste Geschenk. Während Herr Kahane
dem Billetkäufer nur neue Aussichten verheisst,
für die man sich nichts kaufen kann, verheisst
die juryfreie Kunstschau dem Bildkäufer ausser
 
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