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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 162/163 (Mai 1913)
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Walden, Herwarth: Zeitgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0037

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Zeitgeschichte

,Freie‘ Hochschule

Ein Doktor phil. Alfred Koeppen (also offenbar
ein Oberlehrer) unterrichtet in sechs Stunden die
Hörer der Freien Hochschule, soweit sie ihn hören
wollen, über „Die Revolution 'in der modernen
Malerei.“ Mit farbigen Lichtbildern. Er lockt die
Nochnichthörer mit folgenden Sätzen:

„Die neueste Kunst wirkt derartig befrem-
dend, daß es nötig ist, sich Klarheit über das
neueste Wollen der Maler zu verschaffen. Man
hört Schlagworte! Was bedeuten sie? Die
Vorlesung gibt in kurzer Skizze eine Orien-
tierung zum Verständnis der neuesten Rich-
tungen.“

Der brave Doktor hört Schlagworte, aber er
weiß nicht, was sie bedeuten. Er unterrichtet den-
noch. In seinem Programm heißt es: „Die Fu-
turisten, die Malerei der Bewegung der Körper und
seelischen Zustände (Kandins k i, Pechstein, Pi-
casso und andere. „Der blaue Vogel“).“ So wird der
Herr Doktor Koppen seine Hörer „orientieren“. Er
hat nun einmal den Vogel, über Malerei zu unter-
richten, wenn er auch nicht blau ist. Er will auch
seinen Hörern vorpfeifen, daß der brave Erler, der
traurige Egger-Lienz und Hodler die neue Monu-
mentalmalerei vertreten. In der „letzten Stunde“
aber redet er aus der Vogelperspektive: „Was ist
gesunde und kranke Kunst? Die Grenzen der Ma-
lerei.“ Wo ist die gesunde Kunst zu finden?
Bei der Vortragsreihe 37 der Freien Hochschule.
Dort zwitschert der Meister Koeppen über die
Meister des Humors und der Satire. Kinder, da
müssen wir hingehen: „Es sollen drei Abende voller
Frohsinn und Heiterkeit werden. Worin der Witz
der Zeichnung, Farbe und der Auffassung liegt,
wird in humoristischer ästhetischer Art auseinander
gesetzt werden.“ Kinder, das wird gemütlich!
Laune: „Vom Jammerthal des Lebens. Die fröhliche
Kunst als Erlöserin. Humor und Satire als Cha-
raktere“. So bringt man seine drei Abende unter.
Fort mit den Bewegungen der Körper und see-
lischen Zustände. Hin, Kinder, zu den „Meistern
fröhlicher Kunst: Recnicek, Hentschel, Arnold

Böcklin“.

Mein neuer Freund

„In den Erinnerungen, die Anton v. Werner
neulich veröffentlicht hat, und die an dieser Stelle
schon besprochen worden sind, ist von der beru-
higten Stimmung, die man dem hohen Alter nach-
sagt, nichts zu spüren. Streitbar wie immer steht
der Siebzigjährige vor uns, ein guter Freund und
ein guter Hasser, von seiner Sache
felsenfest überzeugt, nicht einmal
von einem leisen Zweifel angeriihrt,
ob nicht auch eine andere Anschau-
ung möglich ist, unnachgiebig nach
allen Seiten, auch nach oben.

Ich gestehe, daß ich für solche
Männer eine Schwäche habe. Sie
wachsen ja leider nicht nach, die Zeit gehört
denen, die immer auch anders können, den Lau-
en, die sich durch große und kleine Nützlich-
keiten bestimmen lassen. Und es tut meinem Re-
spekt keinen Abbruch, daß wir sozusagen geborene
Gegner sind.“

Also schreibt Fritz Stahl im Berliner Tageblatt.
Er m u ß danach eine Schwäche für mich haben.
Er zeigt sie allerdings auf etwas verborgene
Weise. Vielleicht bekommt Der Sturm seiner
Schwäche nicht gut. Er verschließt sich ihm. Aber
drinnen, in seiner gutbürgerlichen Stube, da liest
er ihn, mein neuer Freund. Und er weiß, daß mich

nicht einmal ein leiser Zweifel rührt, ob nicht auch
seine Anschauung möglich ist. Denn er hat keine.

Er sieht nur Bilder mit Dingen.

Mein neuer Freund über Anton von Werner und
sich selbst:

„Er hat in dem Kampfe, den er gegen un-
sere Generation führte, nicht gesiegt. Er
hat Zusehen müssen, wie Kritik, Publikum und
schließlich auch der Staat sich einer anderen Kunst
zuwandten, einer Kunst, die für ihn keine ist. Das
erklärt die Bitterkeit und Gereiztheit, die
seine Taten und Meinungen in den letzten Jahren
immer mehr und mehr beherschte. Es ist ihm
unfaßbar, daß gerade die Epoche, in der er
und seine Freunde wirkten, jetzt allgemein für
eine schlechte gehalten wird. Es ist ja un-
faßbar, meint er, daß gerade nur dieses Mal in der
ganzen Kunstgeschichte Künstler und Kunstbetrach-
ter sich so geirrt haben sollen.“

Mit so einem dicken Balken im eigenen Auge
kann man natürlich nicht Bilder betrachten.

Mein neuer Freund über einen Kollegen und sich:

„Neben ihm stellt Herr v. Khaynach aus, dessen
ganz hilflose Malerei nicht zu erwähnen wäre,
wenn er nicht zugleich als Kritiker eines Berliner
Blattes fortwährend den Niedergang des Könnens
und den Mangel jeder guten Tradition — — bei
anderen beklagte.

Fritz Stahl“

Das ist also der Herr mit dem Splitter.

Mein neuer Freund als Politiker

Der geborene Gegner tritt für die fehlgebore-
nen Bilder des Herrn Anton von Werner ein. Die
Große Berliner Kunstausstellung wollte aus poli-
tischen Rücksichten, wie sie sich sehr politisch aus-
drückte, die Schlachtenbilder des Herrn von
Werner nicht ausstellen. Da zog der Stahl vom
Eisen. Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts
in der Welt. Verschiedene andere Deutsche aller-
dings die Bilder des Herrn von Werner. Der
Stahl beschützt immer die Kunst. Keine Kunst
für Kunst zu halten ist allerdings mehr Kunst der
Politik, als Kunstpolitik. Der Stahl ist zwar noch
nicht siebzig Jahr alt, wie der Werner, aber lang-
sam beginnt er bereits mit seinen „Erinnerungen“:
„Ich habe einmal im Berliner Künstlerhaus den
Dolmetscher zwischen dem Münchener Bildhauer
Rümann und dem Franzosen Mercie gemacht, der
die Gruppe „Gloria victis!“ und andere geschaffen
hat, in denen der französische Trotz gegen die
deutschen Sieger gestaltet ist. Rümann bewun-
derte den Kunstgenossen, der zuerst ziemlich
grimmig dreinsah. Am Ende aber reichten sich
die beiden Soldaten von 1870 herzlich die Hand.“
Endlich einmal ein B i 1 d. Schade daß sie ge-
borene Gegner sind. Ich sehe dieses ungeborene
Bild des Werners. Die alten Soldaten reichen sich
die Hände, im Hintergründe die feindlichen Grup-
pen und im Vordergrund, sodaß er noch sichtbar
ist, zwischen den Händen, nein, das wäre futu-
ristisch, also vor den Händen, sprechend perspek-
tivisch, der friedliche Dolmetscher, mein neuer
Freund, der alte Fritz.

Die um Goethe

Der verstimmte Geiger

Herr Geheimer Regierungsrat Ludwig Geiger,
außerordentlicher Professor der Universität zu
Berlin, Herausgeber der Goethe-Jahrbücher, redi-
giert ein Nebenblatt des Verlags Rudolf Mosse.
In der neuesten Nummer findet sich folgendes:

Hebräische Balladen von Else Las-
ker-Schüler. A. R. Meyer, Verlag 1913.
Berlin-Wilmersdorf

Ein Heftchen, das mit einer schauderhaften, mir
übrigens vollständig unerklärlichen Vignette ge-
ziert ist, enthält Gedichte, die fast noch schlimmer
sind, als das Titelblatt. Will sich die Verfasserin
über die jüdische Geschichte lustig machen, wie es
aus dem Gedichte „Abraham und Isaak“ fast her-
vorzugehen scheint, oder will sie etwa die moderne
Poesie verspotten? Ein Gedicht, wie „Esther“
gleicht entweder dem Stammeln eines Kindes oder
— man verzeihe das harte Wort — dem Lallen
eines Idioten. Damit meine Leser nicht glauben,
daß ich zu scharf urteile, lasse ich die neun Zeilen,
denn nur aus diesen besteht das Gedicht, hier
folgen. Sie lauten so:

Esther ist schlank wie die Feldpalme
Nach ihren Lippen duften die Weizenhalme
Und die Feiertage, die in Juda fallen.

Nachts ruht ihr Herz auf einem Psalme
Die Götzen lauschen in den Hallen.

Der König lächelt ihrem Nahen entgegen —

Denn überall blickt Gott auf Esther.

Die jungen Juden dichten Lieder an die Schwester
Die sie in Säulen ihres Vorraums prägen.

Aehnlich, manchmal noch schlimmer, sind die
übrigen Balladen. Nur ein paar Gedichte, die eine
gewisse Sehnsucht nach Gott verkünden, sind
etwas besser, aber für Poesie kann ich dieses öde
Wortegeklingel in keiner Weise ansprechen. (Ge-
schrieben Januar 1913). L. G.

Man hat die Wahl zwischen dem Stammeln
eines Kindes oder — man verzeihe das harte Wort
—dem Lallen eines Idioten. Und ein Gedicht, das
nur aus neun Zeilen besteht! Bas geht Herrn
Professor Geiger über alle Gipfel. Dieser Mann
hat „Goethes Leben und Schaffen dem Deutschen
Volk erzählt.“ Er hat Goethe so oft herausge-
gebett, daß nicht das kleinste Gedicht dieses Autors
in seinem Kopfe blieb. Warum beschäftigen sich
Geheime Regierungsräte, vom Staat dafür bezahlt,
das ganze Leben mit Goethe, wenn sie nicht das
geringste Empfinden für Kunst haben. Der Staat
bezahlt doch auch für andere Leistungen und sogar
besser. Was nützt der unverstandene Goethe in
der Westentasche, wenn man Januar 1913 Gedichte
der Lasker-Schüler für ödes Wortgeklingel ab-
bespricht. Goethe kann man leider vom Einleiten
nicht mehr freihalten. Von unsern großen zeitge-
nössischen Autoren will ich diese Herren jedoch
lebhaft ableiten.

Goethe ohne Schmidt

Der Schmidt-Gesellschaft, die sich merkwür-
digerweise Goethegesellschaft nennt, ist ihr Vor-
sitzender, Herr Erich Schmidt, gestorben. Trotz-
dem zog sie mit Mann und Frau und Kind und
Schlenther nach Weimar, um das übliche Goethe-
bankett abzuhalten. Goethe hat nämlich Schmidt
sehr viel zu verdanken, er besuchte zwar das
Bankett nie, hielt aber zur Erleichterung der
Festesfreude seinen Geist der Gesellschaft fern.
Nun aber, da Herr Schmidt fehlte, fand diesmal
das Bankett „keinen Anklang“. Herr Hofrat Paul
Schlenther ahnte es nicht:

„Noch von der Vormittagssitzung her war in
seinem Lorbeer- und Zypressenhaine das gipserne
Bildnis Erich Schmidts stehen geblieben, und die-
ser verstummte bleiche Zeuge ließ keine Tafel-

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