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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 164/165 (Juni 1913)
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [5]: Roman
DOI Artikel:
Vogeler, Erich: Das energetische Evangelium
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0050

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Sie stand hinter dem Schanktisch und unter-
hielt sich in ihrer knurrigen Art mit zwei Gästen,
die so schweigsam waren, daß sie zwischen jedes
Wort eine lange Pause setzten. Es war unend-
lich ermüdend, ihnen zuzuhören. Aber die Wirtin
wußte sie aufzureizen. Sie waren trotz ihrer
Schweigsamkeit die gefiirchtetsten Lästermäuler
in der Stadt.

— Geh mir weg mit den bessern Leut! sagte
der eine.

— Bruch ist’s! der andere.

Tranken und schwiegen.

Aber die Wirtin hetzte. Erzählte von den
Kneipgelagen, die einige Schüler des Konservato-
riums allwöchentlich einmal veranstalteten, bis tief
in den Morgen; und sogar ein paar Lehrer wären
mit dabei. Eine Schmach und eine Schand seis.
Das wollten gebildete Leut sein! Schmissen den
Bürgern die Fenster ein, machten zu nachtschlafen-
der Zeit einen Heidenradau, wären durch keine
Polizei zu bändigen.

— Wir rackern uns ab, sagte hierauf der eine,
und die schmausen und zechen. Ist das gerecht?

— Jawohl — ist das gerecht? wiederholte der
andere.

Jetzt war die soziale Frage in ihnen angeregt.
Jetzt verloren sie alle Lächerlichkeit, die ihnen
Ihre sonderbare Schweigsamkeit anheften mochte
und fühlten sich plötzlich als Glied unter Gliedern,
als Rad unter Rädern. Als seien ihre Gedanken
plötzlich auf ein bestimmtes Gleis gesetzt worden:
mm liefern sie unaufhaltsam wie ein angetriebener
Eisenbahnwagen auf schiefer Ebene weiterrollt.
Sie waren Vertreter ihrer Klasse, hatten rauhe
Arbeitshände und wußten nichts von den Mühsalen
geistiger Kämpfe. Sie verachteten diese Kämpfe
und verlästerten sie. Sie waren Mensehen, die nur
die .Kraft der Maschinen und den Wunsch nach
einem guten Leben kannten. Alle verfeinerte
Schönheit reizte sie zu einem höhnischen Geläch-
ter. Musik verstanden sie nicht, von Kind auf
hatten sie nur die Rhythmen harter Märscher, den
Qleichklang surrender Maschinen, die rauhen Töne
gewöhnlicher Menschensprache vernommen. Und
seit sie mündig waren, gingen sie in sozialdemo-
kratische Versammlungen, atmeteH die gefährliche
Einseitigkeit der Führer ein und lernten das, was
sie garnicht kannten, höhere Kultur, verfeinertes
Leben, hassen. Sie waren ehrlich in ihrem Haß
und schuldlos an ihrer Verbitterung.

Der eine erzählte von seiner Hoffnung, man
könne die feinen Leute, durch Massenkundgebun-
gen einschüchtern. Er war ein Idealist in seinem
Glauben an die Macht der Masse. Aber der an-
dere, der kühler itt das Leben sah, glaubte nicht an
den Untergang der Reichen:

Wir können nichts tun, als unsere Lage ver-
bessern, die Kapitalisten zwingen, bessere Löhne
zu zahlen und eine kürzere Arbeitszeit einzuführen.
Die Reichen werden bleiben ... An eine Gleich-
heit glauben wir nicht mehr.

Während die so redeten, kam ein drittes Mit-
glied ihrer Partei hinzu. Er war stark genug ge-
blieben, seine geistigen Kräfte zum eigenen Den-
ken zu benutzen. Er haßte die Oberklasse nicht,
sein klarer Verstand sagte ihm, daß es ein Oben
und ein Unten geben müsse. Trotzdem war er
ein Kämpfer. Er versprach sich die Rettung da-
von, wenn beide Teile dazu herangebildet würden,
sich gegenseitig zu verstehen. Er hatte sich
Bücher zu verschaffen gewußt, die alle sozialen
Verhältnisse nicht vom Parteistand beleuchteten.
Bis in die Nächte hinein hatte er über diesen
Büchern gesessen und sich selbst gebildet, und bei
ledern Schritt nach vorwärts stärker das Glück
•einer geistigen Vervollkommnung empfunden. I*
Volksversammlungen trat er auf und verkündete

, l ... X . .

seine Ansichten und verteidigte sie. Er galt in der
Partei als unruhiger! Geist, der sogar an den Wor-
ten und Meinungen des gefürchteisten Genossen,
des Redakteur Todt, zu kritteln wagte. Aber er ließ
sich weder durch gute Worte noch durch Drohun-
gen irre machen, überzeugt, dem einzig möglichen
Ausgleich zwischen Armen und Reichen auf der
Fährte zu sein.

Ein Kampf erhob sich zwischen den drei Män-
nern; die Wirtin kroch knurrend nach ihrem Leha-
stuhl hinter dem Schanktisch, von wo aus sie das
ganze Lokal überblicken konnte.

Wir müssen alles kurz und klein schlagen, wenn
wir vorwärts kommen wollen, sagte der eine der
beiden Unklaren.

Unsere Arbeitgeber müssen wir pressen! der
andere.

Aber der Klare:

Keins von beiden. Wir dürfen nicht mehr
nebeneinander hergehen wie Feinde, die Reichen
dort, die Armen hier. Gegenseitige1 Annäherung,
das ists, was beide brauchen. Ohne uns gehen die
Reichen zugrunde. Aber ohne die Reichen gehen
auch wir zugrunde. Das vergeßt ihr immer. Denkt
euch den Fall, es würde euch gelingen alle Rei-
chen, die Kapitalisten und Arbeitgeber, zu stürzen.
Ihr würdet an ihre Stelle treten. Was geschähe?
Iu einigen Jahren wären wir auf dem alten Stand:
ihr wäret reich geworden, stolz, unbarmherzig
gegen alle, die nicht auf eurer Höhe ständen. Mit
einem Wort: Ihr wäret Kapitalisten geworden.
Ihr müßtet Leute haben, die für euch arbeiteten...
So ging das weiter und weiter. Wrenn keiner ar-
beitet, wovon sollen die andern leben? Es ist
nichts mit eurem radikalen Einschlagen! Ja,
manche sind wohl gemäßigter. Die sagen, wir
müssen die Arbeitgeber pressen, soviel aus ihnen
herausholen, als sich herausholen läßt . . . Glaubt
ihr, die Arbeitgeber sehen euch in aller Gemüts-
ruhe zu, wie ihr ihnen Daumenschrauben anlegt
Ihr sagt: Wir haben unsere Streikverbände. Wenn
ihrs den Kapitalisten zu toll treibt, schmeißen sie
euch alle miteinander hinaus. Gern tun sies nicht,
weils für sie eine große Schädigung bedeutet Aber
glaubt ihr wohl, daß es eine Masse Arbeitsloser
gibt, die nicht zu euren Streikverbänden gehö-
ren und froh sind, wenn sie etwas verdienen kön-
nen? Ihr lähmt die Arbeitgeber höchstens für
einige Wochen, dann haben sie neue Kräfte und
können euch tot drücken.

Sie unterbrachen ihn.

Du bist ein Freund der Reichen, zürnten sie und
schlugen mit den Fäusten in den Tisch.

Nein, verteidigte er sich, nicht ohne ein leises
Selbstbewußtsein, ich bin nur ein Freund der Ver-
nunft. Wenn alle dächten wie ich, ständen sich die
Arbeiter in kurzer Zeit besser. Und die Kapitalisten
stünden sich besser. Beide kämen mit den besten
Absichten entgegen, statt sich als Feinde gegen-
über zu treten.

Er begann, seine Pläne zu entwickeln, wie er
sie schon oft in den öffentlichen Versammlungen
entwickelt hatte. Er sprach laut und klar, als hätte
er eine große Menge vor sich. Er sprach mit tiefer
Ueberzeugung, den er fühlte in sich die Kraft, ein
Beglücker des Volkes zu werden.

Der Abgrund dunkler Gebärerinnen im Blut. *
Fruchtbarkeit und Unschuld ist, wo ein Wille

zum Verschwenden ist
Das ist-das Gesetz der Erhaltung:

Vergeude!

Jenes „Energetische (Verkneifungs-) Imperativ“.

= Greisengequatsche;

Nur so ein tapriger, t... t... t... Universitäts-
professor

Und Moniste,

Zinsenspießer der Seele.

Konnte ihn aufstellen,

Haushaltungsgequassel kahler Schläuche. Sela.

Komm, '■

Laß uns durch den Frühling gehn,

Ueber dampfende Felder.

Der Same fliegt ... . j

Fiel er unter Dornen? Auf Steinigt?

Auf den Weg der Landstreicher?

Was tut’s! O Mädchen: : i

Ein Sämann ging! Ein Sämann ging!

O Seligkeit zu säen ...

Sterne umsingen die Nacht . . .

Wie aus dem Dunkel des Bluts immer neue

Reigen sich gebärea.

Taumelnd, ins Verlorensein!

Ohne Sinn, ohne Zweck.

Wrie Wellen ins Meer . . .

Mein Mädchen, mein kleiner schmaler schim-
mernder Nachen,

Mit der sanften
Biegung deiner Borde,

Unter den weißen gewölbten zitternden Segeln,
Trägst mich schaukelnd auf meiner eignen Flut...
Wohin? ...

i

Aber irgendwo

Liegt jetzt in der bei Gott ja nicht zu üppig

gepolsterten Patentbettstell»
Der deutsche Professor Wilhelm Ostwald.
fOberpriester der metaphysischen Bedürfnis-
anstalt des Zeitgeistes,

Genannt „Monismus“,)

Still,

Mit gefalteten Händen:

Ach. daß nur nicht nutzlos Energien vergeudet

werden!

Eine Stimme aber flüsterte: „Möchtest du nicht?“
„Nein,“ sagte er leise, doch unerschütterlich,

es hätte

Doch keinen Zweck.“

Erich Vogeler

Empfohlene Bücher

Die Schriftleitung behält sich Besprechung der Mar
genannten Bücher vor. Die Aufführung bedeutet barMM
eine Empfehlung. Verleger erhalten hier nicht erwflhaia
Bücher zurück, falls Rückporto beigefügt wurde.

Richard Dehntet

Schöne Wilde Welt / Neue Gedichte und Sprüche
Berlin / S. Fischer Verlag

Fortsetzung folgt

Das energetische
Evangelium

Verschwendung.!. .. ... .

Das ist der wahre Jungbrunnen;
Der geliebte, strömende.

Rene Schickei«

Schreie auf dem Boulevard
Berlin / Paul Cassirer Verlag

Vage von Kohl

Im Palaste der Mikroben
Drei Bände

Leipzig /. Verlag Haupt und Hammoa

Verantwortlich für die Schriftleitung:
Her warth Waiden / Berlin W 9

dar
 
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