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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 173/174 (August 1913)
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Kohl, Aage von: Der schöne Korporal
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0086

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Und der Chef ließ ihn gehen, er wußte, es half
alles nicht.

Aber es half doch zuletzt. Der Krieg kam
nämlich, und dann wechselte der Korporal die
Taktik das heißt, die Nächte war er immer noch
nicht im Lager; in Schnee und Regen, so bald
sich eine Gelegenheit bot, war Yoshivara weg.
Aber eine Viertelstunde vor dem Morgenappell
war er auf seinem Platz und keiner hielt seine
Mannschaft so flott in Ordnung wie er.

Yoshivara war auch sehr musikalisch, und des-
halb wurde er von den Gemeinen sehr geliebt.

Abends, Wenn die Verhältnisse es erlaubten,
und er nicht auf seine Privatjagden ausging,
konnte er stundenlang auf seinen Samiseng spie-
len, immer dieselbe schwermütige monotone Me-
lodie, wonach die Mädchen in dem Quartier von
Tokio so oft für ihn getanzt hatten. Es klingt, als
zerreißen einige hart gespannte Stahlfäden, die
am Herz befestigt sind, sagte der Korporal mit
sehnsüchtigen feuchten Augen. Er sehnte sich
nach diesen großen Häusern mit den vergitterten
Fenstern.

Der Gemeine 94, der Ausrufer in einem solchen
Haus gewesen war, das heißt den ganzen Tag auf
der Diele gesessen und die Schönheit der jungen
Frauen in langen Versen gelobt hatte, — er redete
immer so eigentümlich, fanden die anderen — er
nickte mit seinem übergroßen Kopf. „Ja, gerade
so klingt es!“ — sagte er. „Oder auch ist es, als
ob man wieder zu Hause wäre, eine Nacht mit
Mondschein, und weißen starkduftenden Blumen,
und die Seelen der Eltern sitzen am Kopfkissen
und flüstern mit ihren Luftstimmen so viel Grüße!“
So sagte Nummer 94 und wurde so gerührt und
unglücklich über seine eigenen Worte, daß er fort-
schlich um zu weinen. Er fand es so hübsch, was
er gesagt hatte, und doch war es ihm als hätte es
irgend ein Fremder gesagt.

Aber der Korperal konnte noch viel mehr als
Samiseng spielen.

Er war es nämlich, der damals die wahnwitzige
und waghalsige Geschichte mit den Patronenkas-
ten ausgeführt hatte. Es war so gekommen; eines
späten Abends — am Yalufluß — wurde er mit
einer Streifpatrouille bestehend aus drei Mann
ausgesandt, um die russische Vedette zu beun-
ruhigen.

Es gelang ihnen im Dunkel, durch die Schußlinie
zu schleichen, vorbei an ein paar Feldposten und
ganz hin zur Feldwache. Vorwärts krochen sie
langsam zu dem Kompagnieleuchter, der zwischen
den Flintenpyramiden hing. Dahinter schlief die
Mannschaft.

Ein Posten ging hin und zurück mit seiner
Flinte im Arm.

Der Korporal und seine drei Begleiter waren
bei dem schon längst ausgegangenen Kochloch
angekommen, hier versteckten sie sich, um zu
überlegen, was man machen könnte. Plötzlich
entdeckte Yoshivara, daß ein paar gefüllte Patro-
nenkasten in der Mitte der Flintenpyramiden stan-
den. Gleich hatte er sein Plan gefaßt und alle
Vier nahmen Sicht nach den Kasten, so gut wie
es im Dunkel möglich war, und gaben Feuer. Daß
sie getroffen hatten, ließ sich bald merken. Ein
höllischer Radau und eine Sekunde ganz tages-
hell. Die beiden Kasten waren explodiert.
Das Pulver flog pfeifend in alle Richtungen, die
Flintenpyramiden fielen um und die schlafende
Russen fuhren wild und fluchend auf. Einen
Augenblick nachher wurde es wieder pechschwarz
und es gelang Yoshivara und seinen Männern fort-
zukommen. —

Noch eine Geschichte von Yoshivara.

Eines Tages war er auch ausgesandt mit einer
Streifpatrouille. Sie waren bei einer tiefen breiten

Kluft angekommen. Der Korperal ließ Nummer
73 an der einen Seite liegen bleiben und er selbst
und 72 krochen auf die andere Seite. Gerade her-
aufgekommen stießen sie direkt auf fünf bis sechs
Ochotnikisen. Yoshivara schoß sofort einen nie-
der und warf sich nachher wieder herunter, aber

72 wurde von den Feinden zur Vergeltung nieder-
geschossen. Yoshivara war noch nicht in Sicher-
heit. Als er wieder auf die andere Seite klettern
wollte, wurde er von allen Seiten beschossen, ein
Schuß streifte seine Schulter, einer ging durch
seine Flinte. Er sah ein, daß es auf die Weise
nicht gelingen würde. Er gab ein Todesgeschrei
von sich und ließ sich als tot den ganzen Abhang
herunterkollern. So lag er da mit der Nase in der
Luft und die Arme weit ausgebreitet. Er schielte
hinüber zu den Feinden. Sie hatten jetzt zu schie-
ßen aufgehört, glaubten, daß er tot sei, aber zwei
blieben auf ihren Posten, und Yoshivara mußte
vier und eine halbe Stunde tot liegen, bis Nummer

73 zum Lager zurückgekehrt war und mit eine
größere Patrouille wiederkam. Aber der Korpo-
ral sagte, daß er in seinem ganzen Leben nie so
lange ausgeruht hatte wie damals.

„Er ist ein ganz verteufelter Kerl!“ — sagte
der Kapitän immer morgens zu Premierleutnant
Katomo — ihre Morgenunterhaltung endete immer
mit Yoshivara — ich verstehe nicht, wie er es
aushalten kann. Niemals krank, niemals müde,
immer bereitwillig. Aber er ist eine Perle von
Unteroffizier, das ist er, das ist das ganze Geheim-
nis“ fügte er vertraulich zu.

„Wenn nur nicht die Mädels-“ brauste

er wieder auf.

„Ah!“, sagte der Premierleutnant lächelnd, „es
sind ja glücklicherweise nur die hübschesten, die
er gern hat.“

„Ja, da haben Sie, Donnerwetter, recht!“ der
Kapitän lachte erleichtert. „Übrigens die Mädels
laufen ihn nach, er nicht den Mädchen, das ist ja
auch weniger anstrengend für ihn!“ sagte der Chef
und lachte so vergnügt und entzückt, als wäre
Yoshivara sein einziger Sohn und die Mädchen,
die ihm für einen Kuß alles gaben, Prinzessinnen.

*

Heute, ganz früh, war das Regiment aber zum
Kampf aufgestellt. Zwei Bataillone in der ersten
Reihe. Yoshivaras Kompanie wurde an die Wald-
kante verlegt.

Ein Adjudant war vor einer Stunde bei dem
Regimentschef gewesen und hatte Order gegeben,
daß das Regiment sich versteckt halten und zuerst
um neun Uhr morgens angreifen sollte. Zu der
Zeit würden dann die anderen beiden Regimentern
an ihren Platz angekommen sein, eine halbe Meile
östlich von Ju-schu-ling.

Der Regimentschef rief die älteren Offiziere
zusammen und gab seine Order. „Sie müssen also
untersuchen lassen, ob das Flüßchen zu überwaten
ist, Kapitän!“ sagte der Oberst zuletzt zu Yoshi-
varas Kompagniechef, und ließ seinen weißen
Glacehandschuhfinger die blaue Linie folgen, die
den Fluß auf der Karte markierte.

„Jawohl, Herr Oberst!“ — sagte der Kapitän
und schlug die Hacken zusammen. Es war eine
Gewohnheit, die ihn immer ärgerte und puterrot
im Gesicht machte, wenn er wieder aufzupassen
vergessen hatte.

Yoshivara hatte sich gleich gemeldet, als der
Chef einen Freiwilligen verlangte, um den Fluß zu
untersuchen.

Der Chef wurde aber nicht froh, als er der Kor-
poral sah, er wußte, die Russen schliefen nicht
daoben.

„Warum Sie, warum Sie!“ — nörgelte er und
machte dem Korporal ein paar Augen, „ist schon
gut genug mit einem Gemeinen.“

Na — selbstverständlich war er wohl heute
Nacht wieder draußen gewesen — dachte der Chef
für sich — das konnte man deutlich sehen. Er
kannte die dunklen Schatten, die übrigens nur Yo-
shivaras Augen noch hübscher als sonst machten.

„Ich möchte aber sehr gern Erlaubnis dazu
haben!“ — sagte Yoshivara mit ganz militärisch
strammem Gesicht.

„Na, ja. Dann los!“ — Der Kapitän warf ihm
die Worte zu. —j „Das heißt!“ — fuhr er dann fort,
wenn es der Regimentschef erlaubt, daß wir einen
Korporal dazu nehmen. Gehen Sie selbst hin fra-
gen!“ — Es war schlecht versteckte Schaden-
freude in seiner Stimme — der Chef wird nie sein
Erlaubnis dazu geben, dachte er.

Aber der Chef hatte, Donnerwetter noch mal,
doch seine Erlaubnis gegeben, und jetzt stand die-
ser verteufelte Junge da und spielte mit seinem
Leben. Die Kugeln schlugen dicht um ihn nieder
in das nasse Gras.

Der Kapitän hätte beinahe Order gebrüllt, daß
er sich beeilen sollte, aber er nahm sich im letzten
Moment zusammen.

Der Koporal hatte angefangen in dem Wasser
zu waten. Die Projektjle verfolgten ihn, sie
spritzten das Wasser in die Luft, Silberstangen in
der Sonne.

Jetzt ging ihn das Wasesr bis zu den Knien.
Die Waden huschten unter dem Wasser wie
schwache Schatten. Seine Haut war mit einem
Schimmer von Topas-Silber-Bronze übergossen.
Er drehte sich einen Augenblick um, und die blutige
Mohnblume schaukelte in dreistem ausgelassenen
Streicheln über seine Lenden.

Glasweiß spritzten die Kugeln um ihn.

„Ja, er ist fertig!“ sagte der Kompagniechef,
und seine Fingern bewegten sich nervös und un-
aufhörlich, während seine Augen wie festgenagelt
der goldenen Gestalt in dem kochendem Wasser
folgten.

„Sie können es nicht vermeiden ihn zu treffen.
So wie er da geht, und mit den Schüssen vollstän-
dig spielt. Sie können nicht, sie müssen!“ seine
Mundwinkel zitterten.

Aber Katomo lächelte hoffnungsvoll. —

„Yoshivara wird sich schon helfen.“ —

Und einer von den Gemeinen sagte plötzlich,
ohne seinen Kopf zum Chef umdrehen:

„Ja, wenn der Korporal sterben könnte — wäre
er schon lange tot, so ist es.“

Und die Kameraden wiederholten nickend, „Ja,
so ist es!“

Der erste sprach weiter: „Es waren wohl
wenigstens hunderte, die was mit ihm hatten und
das sogar mit Messer und Flinte, aber keiner kann
ihn fangen.“ —

Der Kapitän und der Leutnant lachten still, aber
sie fühlten sich doch ein bißchen erleichtert.

„Na, still!“ — sagte der Kapitän, „nicht
sprechen im Glied!“ —

Das Wasser reichte Yoshivara jetzt zum Leib
— die Mohnblume floß vor ihm wie ein großer
Blutstropfen hin und her im dem brodelnden Was-
ser.

Ein oder zwei Minuten verliefen, Yoshivara
ging prüfend links und rechts um die Tiefe festzu-
stellen.

Jetzt war er am Ufer angekommen. Das Schie-
ßen hörte auf, weil die Russen ihn nicht mehr
sehen konnten. Der steile Abhang verdeckte ihn,
und er lief schnell und leicht den Abhang hinauf.

Ein klagendes Seufzen der Kameraden ließ sich
hören — und ein bißchen weiter rechts und links
im Walde sah man zwei angstweiße Mädchenge-
sichter — daoben, versteckt hinter einem Busch
lag ein russischer Soldat und zielte auf den Kor-
poral.

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