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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 176/177 (September 1913)
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Walden, Herwarth: Kunsthelfer
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Lotz, Ernst Wilhelm: Gedichte
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Striepe, Kurt: Die Brücke
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0093

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Kunsthelfer

Tafel als Lehrer

Geistreiche Leute haben gemerkt, daß ihnen als
Umkehrung erscheint, was Andere als Kunst wer-
ten. Der Herr Tafel, dieser hier leicht verprügelte
südliche Kunstkritiker aus dem aufblühenden
Stuttgart, dieser leicht verprügelte Tafel fühlt
sich als Lehrer. Er erklärt mit weinendem Munde,
seinem bejammerungswürdigen Stuttgarter Neuen
Tagblatt, die Prügel seien ihm „unverständlich“.
Die haben ihn offenbar seine Schülerweisheit
nicht träumen lassen, weil er das Träumen nicht
gelernt hat. Und weil das Träumen nicht zu ler-
nen ist. Aber ein Schüler, der noch dazu Tafel
heißt, Herrmann, der Tafel, sollte nicht lehren
wollen, auch wenn es sich „nur“ um Kunst handelt.
Er hat die letzte Nummer dieser Zeitschrift so ge-
nau gelesen, wie es ein ABC-Schiitze vermag, der
noch dazu geschossen wurde. Und berichtet nun
den Stuttgartern: „Da finden wir einige Verse, die
bezeichnend für die neue Richtung sein sollen, die
aber längst veraltet sind, denn die Max Dauthen-
dey, Stefan George, Mombert e tutti quanti haben
das in ihrer Zeit viel besser gemacht als sie noch
im Flügelkleid gingen. Wir können uns aber nicht
versagen, eine Probe dieser Dichtkunst zu geben.
Arthur Rimbaud hat ein Gedicht „DieLäuse-
sucherinnen“ beigesteuert. Dies Gedicht bedeu-
tet entschieden eine Bereicherung des Aktionsfel-
des der Poesie, die ungeahnte Fernen erschließt.“
Nun bedeutet es entschieden eine Bereicherung
des Herrn Tafel, wenn man ihm mitteilt, daß der
Poesie diese ungeahnten Fernen schon seit bei-
nahe vierzig Jahren erschlossen sind. Arthur Rim-
baud, der dieses Gedicht beigesteuert hat, ist
nämlich 1891 gestorben und hat sich sogar unbe-
greiflicherweise aus Versehen 1875 in Stuttgart
aufgehalten, zu einer Zeit, als der Tafel noch im
Flügelkleide ging. Damals hatte Rimbaud schon
die Flügel, die ihn zu diesem (weltberühmten) Ge-
dicht sich emporschwingen ließen, während dem
Tafel indessen nur die Kleider gewachsen sind e
tutti quanti. So stolpert man, wenn man sich etwas
nicht versagen kann. So kann selbst der Tafel
etwas beisteuern, wenn sein Holz ihn auch nicht
einmal über den Neckar bringt.

Billige Lebensmittel

Das Warenhaus S. Fischer preist sein frisch
herausgegebenes Hermann-Bahr-Buch also an:
„Wir haben, um den Extrakt des Bahrschen
Geistes in weitesten Kreisen zu propagieren, den
Preis äußerst billig gestellt und sind der
Ansicht, daß ein großer Absatz des reizvoll
ausgestatteten und umfangreichen Buches zu er-
zielen ist.“ Immerhin ist diese Suppe mit Vorsicht
zu genießen, Wasser zur Zubereitung ist entbehr-
lich so lange der Vorrat reicht.

Die vertretenen Vortragenden

Ein Konzertbüro vertritt Vortragende und ver-
mittelt dem löblichen Publikum „Literarische Nach-
richten.“ Man erfährt: „Hermann Bahr ist eine
der überragendsten Erscheinungen der mo-
dernen deutschen Literatur.. der Autor, der auf
einer großangelegten Vortragstournee ..“ Er
reist also auch in Extrakten. „Oskar Blumenthal,
dessen zahlreiche Stücke den Siegeszug . . . Dank
unseren Beziehungen ist es uns gelungen, den
Dichter . . . Oskar Blumenthal zu erleben, wie er
die blitzenden Waffen der Satire meisterlich hand-
habt, verspricht . . .“ Er wird sich versprechen.
„Hanns Heinz Ewers ist heute wohl jedem Gebilde-
ten ein geläufiger Name ... so weiß er das

Publikum durch seine fesselnde Persönlichkeit (aus-
gestattet von Edm. Wünsch, Rotsiegelkravatte,
vaschtehste) vom ersten bis zum letzten Augen-
blick in Bann zu halten.“ „Ludwig Ganghofer weiß
seine eigenen Werke in so lebendiger und packen-
der Weise vorzutragen, daß sie dem Hörer zu
einem Erlebnis werden.“ Dann muß er sehr gut
vortragen können. „Carl Hauptmann . . . und die
Unmittelbarkeit seiner Sprache, die die höchste
Plastizität erreicht, haben ihm seine bedeu-
tende Stellung in der Literaturgeschichte gesichert.“
In der Literaturgeschichte des Konzertbüros. „Roda
Roda. Man könnte glauben, die neueste humoris-
tische Literatur habe sich zur Aufgabe gemacht,
die Ansprüche des Publikums in Bezug auf
Humor auf das Mindestmaß herabzusetzen.“ Was
ist in Bezug auf das Konzertbüro passiert? „Nicht
nur unser Denkvermögen, selbst unser Zwerchfell
wird geschont.“ Das Konzertbüro vertritt sich
offenbar. „Immer spärlicher fließt der köstliche
Wunderquell des Humors.“ Versiegt vor diesem
Roda Roda selbst die Geschäftstüchtigkeit? „Bei
Roda Roda dagegen kommt man aus dem
Lachen nicht heraus. Es ist ein ganz einzigartiger
Genuß, zu erleben, wie er ohne Buch und ohne
Manuskript, Aug’ in Auge mit dem Zu-
schauer . . .“ Zwerchfell in Zwerchfell. Man ver-
lange Spezialofferte.

H. W.

Gedichte

Von Ernst Wilhelm Lotz
Meerspuk

W,eiß über den Weiten
Blendet das Meer.

Und blaue Wolken rauchen.

Stet mit den Gezeiten

Segel-fächert ein stürmend großer Traum daher.
Und hält dumpf schattend. Die See geht schwer.
Aus dürren Masten hörst du graue Stimmen

fauchen.

Dann ebbt es weg. Und deine Angst, die dich

umschnürte,

Wird Sehnsucht, die Musik mit weichem Strahl

berührte.

Verstört fühlst du die Segel untertauchen.

Sonnenverse

Die Luft steht grünverschleiert in der Sonnenzeit.
Meine Fenster, die auf das Wasser zeigen,

Holen in ihre Rahmen herüber die Häuserbänke,
Die stromüber weiß in den Mittag schweigen.
Meine Zimmer saugen in sich volle Süßigkeit.

Und meine Augen, die in der lauen Luft ent-
schweben,

Müssen ihr eigenes Leben im Blauen leben.

Die Brücke

Von Kurt Striepe

Das war keine Brücke, keine gewöhnliche
Brücke!

Ihr denkt vielleicht, ein Fluß floß ölig darunter
und tutende Dampfer störten die Stille meines
Ichs? Da irrt Ihr Euch.

Was ich sage ist Wahrheit; warum sollte ich
auch lügen?

Es war eine Brücke, die zugleich Straße war
und unter der die Züge ratterten.

Und ich war trunken, als ich über die Brücke
ging. Nicht etwa trunken vom Wein, oder gar
von der Liebe, auch nicht so trunken, wie einer,
der da vor mir herumtorkelt. Nein, ich war trun-
ken von . . . Halt, da lüge ich bald. Doch
ich war trunken vor Liebe, aus Liebe und um
Liebe, um meine Liebe zum Volk.

Pff . . . . Pfff . . Pffffff . Pffffff tre tre tre
tre . . . und ein langgezogener Pfiff, als wenn
meine kranke Lunge Atem zieht, rot, feuerspei-
end, blutdünstig. Ein Puffen und Stoßen, Räder
schrillen, als wenn Du brünstigen Frauen Wasser
über den Leib gießt, Eiswasser über den lodern-
den Leib. Rauch strömt gen Himmel und spielt.
Ein Zug fährt unter der Brücke durch.

Und hinter mir rasselts, da ist ein Pferd scheu
geworden. Ein Pferd vor einem Fleischerwagen.
Ob es weiß, daß es seiner Mutter und Schwester
Fleisch zieht? Es ist nervös, das Tier.

Ihr braucht mich deshalb doch nicht anzuglot-
zen! Ihr, rülpsenden, fettgefressenen Bonzen, mit
Euren Quallenaugen. Was stiert Ihr mich an?
Glaubt Ihr mir nicht? Da, guckt Euch doch um!

Vor mir geht ein Mädchen mit schneppendem
Gang. Sie trägt einen roten Hut, hat fuchsiges
Haar, einen gelben Mantel, hellgelb, so wie Ge-
sichter von Schwindsüchtigen und Fieberkranken
im Gewitter, dann hat sie noch einen reinen, wei-
ßen Rock, der ihr knapp über die Knie reicht, ich
wette, sie ist dabei mindestens schon zwanzig
Jahre, und feine graue Strümpfe hat sie auch,
durch deren gaumenweiches Gewebe ihre blinkend
weißen Enkel blitzen. Ihre Schuhe kann ich nicht
sehen, meine Augen füllen sich mit Perlen, Rauch
schlägt mir ins Gesicht.

Jemand hat Glühbirnen in meinem Kopf ent-
zündet. Er brennt, wie eine Goldkugel auf dem
höchsten Turm, wenn sie des Sommers Sonnen-
mittagshitze blendet.

Das Mädchen macht ein Geschäft. Sie ist ein
wandelndes Geschäft und trägt zartes Fleisch auf
den Markt. Ganz anderes und anders, als vorhin
der Fleischersknecht mit den blutrünstigen Hän-
den und dem nervösen Pferd!

Ob die wohl Glück hat? Ich treffe sie heute
Nacht sicher wieder und kann dann fragen, jetzt
sehen mich noch die Leute, man mag sich doch
nicht gern an den Pranger stellen.

Knatternd und bimmelnd kommt mir eine Elek-
trische entgegen. Sie erinnert mich an einen
Freund, der nun Epileptiker ist. Gut, daß sie mich
an ihn erinnert, ich muß dem Glücklichen einmal
wieder schreiben. Er ist in einem roten Gebäude
eingeschlossen, um das ein wilder Garten steht.
Und um den Garten wieder ist eine Mauer. Ich
war im Frühling einmal bei ihm, da hingen des
Goldregens schwere Trauben vor seinem Fenster
und der Hollunder, mit seinen weißen Blütendol-
den reflektierte die Sonnenstrahlen in sein Zim-
mer, das weiß wie Blütenstaub war. Auf seinem
Tisch hatte er Flieder stehen, dessen Duft ich noch
heute atme, berauschend, voll-süß. Und mein
Freund kam mir entgegen und lachte. Und seine
Augen sagten mir, daß er Freude habe und seine
Stimme: „Kann ich es irgendwo schöner haben?“.
Ein Glück, daß kein Wärter uns hören konnte,
sonst hätte er eine neue Wasserkur durchmachen
müssen. Ich habe mich oft nach ihm und nach
dem roten Haus gesehnt.

Was mich jetzt wundert ist, daß die Brücke zit-
tert und sich verhalten bäumt. Warum sie wohl
vorhin ruhig und schweigsam-verschlafen war, als
das Mädchen über sie ging?

Das ist alles sonderbar.

Vor mir geht eine. Man erkennt sie am Gang
und an dem Mantel, den sie sich umgehängt hat,
nicht etwa, um zu verbergen, nur, um erst recht

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