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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 182/183 (Oktober 1913)
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [13]: Roman
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Meyer, Alfred Richard: Biesenthal in der Mark
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Walden, Herwarth: Kenner
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0122

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Bühne erschien. Sie schritt durch die weiße Nacht,
voller Freude, lächelnd im Glück einer vergange-
nen und einer kommenden Zeit. Der Lärm der
Straßen nahm sie wieder auf. Jetzt hastete sie nicht
mehr vorwärts wie eine Gehetzte. Langsam,
gleichsam herausfordernd streifte sie an den Men-
schen vorüber. Der weite Weg vom Berliner Bahn-
hof zum Mittelpunkt der Stadt durch die unschönen
Straßen der Vorstädte, schien ihr kurz und an-
ziehend; soviele Freude und Erwartung hatte sie
in dieser Stunde in sich gesammelt.

Als sie durch die Lichtermasse der Grim-
maischen Straße schritt, richtete sie alle ihre Auf-
merksamkeit darauf, elegant und geschmeidig aus-
zuweichen. Einmal hatte sie den Gedanken, eine
Droschke zu nehmen. Zuhause wollte sie eine
stille einsame Vorfeier des kommenden großen
Glückes halten.

Fortsetzung folgt

Biesenthal in der Mark

Das ganze Atelier ist ein einziger Rülps,
der wie eine Schusterkugel Zigarettenrauch

einschließt,

dazwischen vier fünf gerötete Menschenköpfe
wie leise angeschrumpelte Kinderballons

schweben läßt,

Finger verlängert,

Augen wie Teleskope auseinander zieht,
Mädchenblusen aufknöpft.

Mädchenhemden zerreißt,

mit Mädchenstrümpfen

um spitze Männerohren schlägt,

dann und wann mal wieder

Seinen Ursprung aus Radieschen, Rettig,

Patzenhofer

in Erinnerung bringt,

von den schmutzigen Bildern der Wände die

fahlen Farben abblättert,
die Balken der Decke (wie im Theater) naGh

oben schraubt,

die Chaiselongue wie ein großes Karussellpferd

hin und her wiegt

und jetzt gar kreisen läßt,

schließlich mich wie ein aufplatzendes Geschwür

ms Dunkel der Nacht spritzt.

Nun stehe ich zwischen den Gräberreihen der

Spargelbeete,

werde selbst Spargel,

fühle gewaltig mich wachsen,

sauge Säfte und Kräfte der mailichen Erde in mich,

bin Riese,

rage schon hoch wie die märkischen Kiefern

über das Dach.

Mick spiegelt der See, Sterne schnein mir ins

Haupthaar,

knistern darin wie schaumiger Franzbranntwein.
Die Hände des Windes kneten, reiben, wedeln,

trocknen sie auf.

Und du Mond, du lieber Friseur,

hast literweis Oel da für meinen Scheitel,

gelbes flüssiges Oel, wie extra aus der Provence.

Als ich wieder kleiner geworden bin,
irdisches Hundebellen klopfend kommt an mein

Ohr,

sind alle Fenster des Ateliers weitweit aufgesperrt.

Die Nacht hat den Rülps gefressen,

wie eine böse Natur rote Menschen barsch in die

Betten gewiesen,

in denen es jetzt von jungem Blut dampft,
brodelt und Blasen wirft.

Das Atelier sieht in dem braunen Licht einer

einzigen Kerze

ganz warm, abgewaschen, geleckt, sauber aus.
Und Agathe, du junge Birke, die weiß und glatt
ihr langes Haar wollüstig hoch wirft,
mit Bürstenstrich wie ein dunkles Gewand

glättend verlängert,

als Schleiertuch wehen läßt,

verscheucht die letzten üblen Dünste des Abends,

gibt an den Wänden allen Bildern die Farben

wieder,

lüpft noch mal neugierig das verhängte Bauer

des Dompfaffs

und schliddert auf einem schmalen, scharfen

Mondstrahl

hui!

in den See.

Wasserhühner begehren wie alte Tanten auf.
sind plapperig, ärgerlich,
kneifen, doch plustern sich wieder in Traum,
der nun auch mir sein dunkles Siegel
langsam in alle Sinne drückt.

Werd ich schlafen!

Alfred Richard Meyer

Kenner

Der Herr Direktor

Der Generaldirektor der Königlichen Museen,
Herr Geheimrat Doktor Wilhelm Bode, hält es für
notwendig, den Kampf mit der neuen Kunst aufzu-
tiehmen. Was er gegen die neue Kunst vorzubrin-
gen hat, ist ebenso dürftig wie unkünstlerisch.
Sein sogenannter Kampf ein schlechter Zeitungs-
artikel. Er setzt die Wörter Neue Kunst in An-
führungsstrichen, redet „von Kimstfreundinnen,
die etwas auf sich halten und ihre Geldbeutel für
Kunst und Künstler öffnen“, unterstellt, daß die
Künstler der neuen Bewegung nicht „aus naivem
Schöpfertrieb“ arbeiten, sondern aus dem „Stre-
ben, a tout prix aufzufallen“. Um keinen Preis
dürfte der Generaldirektor der königlichen Mu-
seen mit so naiven Argumenten auffallen. Ein alter
Mann muß die guten alten Zeiten loben. Die neue
Zeit trägt an der neuen Kunst Schuld; „Das Stre-
ben unserer demokratischen Zeit nach Abbruch
der lästigen Schranken von Religion und Moral,
nach immer stärkerer Nivellierung, nach Unter-
drückung der Eigenart und selbständiger Charak-
tere, das Verschwinden des Qualitätssinnes und
dafür das Triumphieren der Mittelmäßigkeit und
der Roheit in besonders starker abschreckender
Weise.“ Das ist der Versuch eines Flugblatts ge-
gen die Sozialdemokratie, aber kein Essay über
Kunst. Dem einen sind die „neuen Künstler“ zu
eigenartig, den andern zu nivellierend. Nach der
Journalistik und der Politik wird vom General-
direktor die schwerwissenschaftliche Aesthetik
aufgefahren: „Die Aesthetik ist aufs Aeußerste
verpönt, die Forderung der Schönheit für die
Kunst wird für eine Lächerlichkeit erklärt.“
Goethe, der doch auch zu der guten alten Zeit ge-
hörte, bemerkte Herrn Bode hierauf: „Ich muß
über die Aesthetiker lachen, welche sich abquälen,
dasjenige Unaussprechliche, wofür wir den Aus-
druck schön gebrauchen, durch einige abstrakte
Worte in einen Begriff zu bringen. Das Schöne
ist ein Urphänomen, das zwar nie selber zur Er-
scheinung kommt, dessen Abglanz aber in tausend
verschiedenen Aeußerungen des schaffenden Gei-
stes sichtbar wird und so mannigfaltig und so ver-

schiedenartig ist als die Natur selber.“ Herr Bode
sollte sich überhaupt etwas mehr mit Goethe be-
schäftigen, da er doch den neuen „Kunstreferen-
ten“ nicht traut. So behauptet Herr Bode: „Zu
allen Zeiten ist die Natur Vorbild und Vorwurf für
die Kunst gewesen, deren künstlerische Wieder-
gabe in stets neuen Abwandlungen ihre Aufgabe
ist und bleiben wird.“ Hierzu bemerkt Goethe:
„Ja, mein Guter, man muß etwas sein, um etwas
zu machen. Diese Dinge liegen alle tiefer als man
denkt. Unsere guten altdeutschelnden Künstler
wissen davon nichts, sie wenden sich mit per-
sönlicher Schwäche und künstlerischem Unver-
mögen zur Nachahmung der Natur und meinen, es
wäre was. Sie stehen unter der Natur. Wer
aber etwas Großes machen will, muß seine Bil-
dung so gesteigert haben, daß er gleich den Grie-
chen imstande sei, die geringere reale Natur zu
der Höhe seines Geistes heranzuheben, und das-
jenige wirklich zu machen, was in natürlichen Er-
scheinungen, aus innerer Schwäche oder aus äuße-
rem Hindernis nur Intention geblieben ist.“ Wenn
Herr Bode nun aber etwa antwortet, daß Goethe
nur ein Künstler gewesen sei, so möge er beden-
ken. daß er nur ein Generaldirektor ist.

Avis für Kunstfreunde

Berliner Lokal-Anzeiger:

Die Galerie Eduard Schulte
wird auch in dieser Saison, ihrem alten Grundsatz
treu bleibend, gute, abgeklärte Kunst
aller Richtungen und aus allen Ge-
bieten des In- und Auslandes bringen.
Sie hat bereits bedeutende Sammlungen engagiert
und steht wegen anderer noch mit den Künstlern
in Verhandlung, so daß sie zurzeit noch kein fest
begrenztes Programm angeben kann.

Der treue Grundsatz macht das festbegrenzte
Programm überflüssig. Gute abgestandene Kunst
kann man begrenzt und unbegrenzt betreuen.

Tatelleiden

Der alte Mann im neuen Stuttgart jammert
nach der Mahlzeit, die ich ihm bescherte. Er hat
Magendrücken. Er verschweigt zwar den Lesern
des Stuttgarter Neuen Tagblatts seinen Reinfall
mit Rimbaud, beschwert sich hingegen, daß ich
ihm den Titel Herr entzogen habe. Herr Tafel hat
nicht einmal gemerkt, warum ich es tat. Nicht
einmal das Bild seines eigenen Namens kann er
sehen. Ich \vill dieser stolzen Herrennatur sei-
nen Herren und ihn selbst der Natur wiedergeben,
wenn er mir Vormacht, wie man „von wildgewor-
denen Laugenbretzeln überritten werden kann“.

Empfohlene Bücher

Die Schriftleitung behält sich Besprechung der hier
genannten Bücher vor. Die Aufführung bedeutet bereits
eine Empfehlung. Verleger erhalten hier nicht erwähnte
Bücher zurück, falls Rückporto beigefügt wurde.

Günther Mürr

Der Entrückte / Rhythmen
Kugelverlag Hamburg 37

Gottfried Benn

Söhne / Neue Gedichte

A. R. Meyer Verlag Berlin-Wilmersdorf

Handbuch der Kunstwissenschaft

Herausgegeben von Dr. Fritz Burger / Soeben
erschien Lieferung 9: O. Wulff: Altchristliche
und byzantinische Kunst Heft 5
Berlin-Neubabelsberg / Akademische Verlags-
gesellschaft m. b. H. M. Koch

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