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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 184/185 (November 1913)
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Cendrars, Blaise: La Tour
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [14]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0129

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Boa

Equateur

Moussons

En Australie tu as toujours ete tabou
Tu es la gaffe que le capitaine Cook employait
pour diriger son bateau d’aventuriers
0 sonde celeste!

Pour le simultane Delaunay, ä qui je dedie ce
poeme,

Tu es le pinceau qu’il trempe dans la lumiere.

*

Gong tamtam Zanzibar bete de la jungle rayons-X
express bistouri Symphonie
Tu es tout
Tour

Dieu antique
Bete moderne
Spectre solaire
Sujet de mon poeme
Tour

Tour du monde
Tour en mouvement

Blaise Cendrars

Die Schwermut des
Genießers

Roman - /

Artur Babillotte

Fortsetzung

Hier zuckte ein roter Mord auf. Gierige Fin-
ger krallten sich um schwere Beute; in weiten
Raubtieraugen funkelte erbarmungswürdiger Tri-
umph auf. Ein dunkle Macht zerrte den armen
Sünder, gellte ihm höhnische Schreie in die Ohren,
wirbelte ihn in Wahnsinn und Not. Da taumelte
er, unfähig, sich zu wehren, da brachte er sein
Opfer —: sich selbst.

Dort gärte der Aufruhr. Stimmen stiegen in
den trüben Morgen, Stimmen, die nach Brot und
Arbeit wimmerten. Stolz und steinern stand das
Rathaus; als verachte es die Hungernden, die
sich zu seinen Füßen zusammenrotteten. Die
Macht kam heran, behelmt und säbelgerüstet, trieb
alle Aufrührer zu Paaren. „Warten! Warten!“
schrie eine Stimme aus einem Rathausfenster.
„Wir können Sie doch nicht so vom Flecke weg
beschäftigen ... In zwei Tagen sollen Sie Be-
scheid haben!“ Zuschmetterte das Fenster; hän-
gender Köpfe zerstoben die Männer, ihre frieren-
den Stimmen verzitterten in dem Tosen der
Straßen.

Und irgendwo klammerten sich zwei an den
Tod, flehten mit gehobenen Händen: Nimm uns
hin! . . . Eine Seligkeit war in ihren Augen und
keine Reue über das Leben, das sie verleugnen
wollten. Nur im Auge des Weibes glimmerte eine
leise Angst . . . aber der Mann sprach mutige
Worte. Umschlungen zerrissen sie das Leben.
Der träge Fluß nahm sie auf; oder ein herbes Gift
rieselte durch ihr Blut; oder auch hörten die
Nachbarn im Hause einen dünnen zischenden
Schuß . . .

In prunkenden und in schlichten Zimmern brü-
teten Männer über sonderbaren Gedanken. Einer
wollte am Abend eine große Menge hinreißen in
das Land seiner politischen Pläne; der andere
glühte in hoher Freude, weil er den Menschen die
Schönheiten eines neuentdeckten Erdfleckchens
zeigen durfte; ein dritter fieberte an allen Glie-
dern, fieberte an der Seele: ein neues Heil sollte
er den Menschen bringen von unheimlicher
Krankheit. In schlichten und in prunkenden Ge-

mächern saßen sie, tausend Gedanken in den Ge-
hirnen, alle voll Gewißheit und Mut. Und die
Zeit ging geruhig ihre Straße, straff im Takt.

In dumpfen Lokalen saßen Menschen, feierten
den Morgen in Sorglosigkeit und Gesang; Weiber
vergähnten den letzten Schlaf, der noch in ihren
Lidern hing. Schrille Klänge stachen wie Dolch-
spitzen aus armseligen Musikautomaten.

Arme, ertappte Sünder standen vor strengen
Richtern. In die Bahnhöfe rasten Züge aus allen
Gegenden des Reiches ein, brachten Menschen
und Waren. Teilnahmslose Männer räkelten sich
auf eleganten Restaurantstühlen. In überladenen
Kaufhäusern surrte ein Reden und Feilschen; viele
Hände griffen prüfend nach aufgestapelten Wa-
ren, tasteten, zogen sich zurück. Hohe Lesesäle
lagen schweigend; Greise blätterten langsam und
bedächtig in alten Folianten. Vor reichgerahm-
ten Bildern in stolzen Museumsräumen standen be-
wundernde Künstler und Laien; Frauen saßen auf
Feldstühlcn, ließen ihre Blicke im Takt hin und
her eilen vom Gemälde zu ihrer Arbeit, von der
Arbeit zum Gemälde. Ueberall rastloses Leben.
Es klopfte in den Tönen, die in der Orchesterprobe
aufschwirrten, in den Stimmen der Darsteller, die
in den Theatern ihre Rollen übten; es wirbelte
durch die Straßen, hetzte Wagen und Menschen
und Tiere vorwärts, warf unvorsichtige Radfahrer
gegeneinander, stieß schwere Wagen in wertvolle
Schaufenster, trieb ungelenke alte Frauen in große
Gefahr, riß eiligen Menschen ungeduldige Worte
aus dem Munde, wehte wie ein Schauer über alle
Plätze und pfiff um die Ecken in grenzenlosem
Uebermut. Die Zeit aber ging geruhig ihren
Gang, straff im Takt.

*

Sie war die Begleiterin eines Mannes, der da-
herschlenderte, als habe er in alle Ewigkeit nichts
wichtigeres vorzunehmen. Er horchte in den
Morgen. Die Großstadt wirkte lähmend auf ihn,
schlug Töne in seiner Seele an, die einmal in un-
gezügelter Wildheit geklungen, die ihn betäubt und
mit sich fortgerissen hatten. Die Wehmut und
eine tastende Freude stiegen in ihm auf, gaben
allen seinen Erinnerungen den dunklen Glanz
alter wertvoller Kunstwerke. Die wehmütige
Freude dessen, der weiß, daß sein Leben reich ge-
wesen ist und daß es auch in Zukunft reich und
eigentümlich würde. Ganz langsam lebte er sich
wieder ein in die Großstadt. Er mußte unwill-
kürlich an die alten Menuette denken, die seine
Mutter nur in feierlichen Augenblicken gespielt
hatte, an seine Andacht bei dieser naiven Musik.
Und die alltägliche Musik der Großstadt erregte
dieselbe Freude in ihm. Er ging den Schaufen-
stern entlang und horchte. Die Großstadt lockte
mit tausend Rufen; aber er war stark geworden.
Er wollte nicht mehr sich in ihre Strudel stürzen,
um ein Tropfen in ihrem Meere zu sein —: er
wollte sie betrachten in ihrer Ruhelosigkeit, ihrem
ewigen Unfrieden und ihrer Lebensfülle. Er wollte
sie beobachten mit kühlem Blick, ihre Schäden und
Wunden erspähen, um sie heilen zu können.

. . . Das war nun sieben Jahre her. Damals
hatte ein Fieberrausch an seiner Kraft und seinen
Hoffnungen gezehrt, hatte ihn in die Gesellschaft
der Ausgestoßenen geworfen; unter Heimatlosen
hatte er seine Nächte verbracht, die Schönheit des
weiblichen Leibes angebetet, friedlos. Und dann
war das Weib gekommen, mitten unter den Ent-
weihten hatte dieses Weib gelebt, keck in stolzer
Abwehr, demütig in Sehnsucht nach der großen
Leidenschaft. Sie waren zusammen gekommen.

Dies war die Zeit eines erfüllten Traumes ge-
wesen; jetzt war die Zeit wacher Arbeit. Wenn
sie jenen Traum bis zu Ende geträumt und ver-
sucht hätten, ihn mit sich in das wirkliche Leben

zu nehmen . . .! Sie wären hart und verbittert
geworden. Jetzt aber hatten sie die süße weh-
mütige Erinnerung.

Ruhig würden sie sich am Abend gegenüber-
treten. Ihre Künstlerschaft würde sich verbinden,
sie würden lächelnd nebeneinander hergehen und
gleichgültige Worte sprechen und jedes hegte die
Erinnerung im sorgfältigen Bemühen, sie nicht
durch Worte zu entweihen. Er versank in Ge-
danken an Mia Mirana. Aller Mut, mit dem sie
sich in kurzer Zeit emporgekämpft hatte, alle
Freude, die ihr der schwere, Beruf verlieh —:
^all dies erfüllte ihn. Er ahnte, daß diese Kraft im
Boden der Entsagung wurzle und erkannte, daß
die Trennung nicht ihm allein zum Segen gewor-
den v er, indem sie aus dem großen Schmerz die
hohe Freude, die Wehmut der Genießer gestaltet
hatte. Dankbar verehrte er den inneren Zwang,
der sie auseinander geführt hatte. Aber in alle
diese Gedanken mischte sich plötzlich ein feiner
Schmerz.

Eva kam ihn in den Sinn. Wie ungelenk sie
war, welch ein tiefes Staunen sie erfaßte, als sie
am Morgen zum erstenmal die große Stadt er-
blickte! Jetzt traf ihn ihre plötzliche Freude wie
ein lähmender Schlag. Jetzt schien sie gefährlich,
unglückverheißend, nicht mehr kindlich und harm-
los. . .

Er ging in ein Cafe, um sich in Zeitungen zu
versenken. Wenige Gäste saßen, vergraben in
große Blätter, sahen flüchtig auf, als er eintrat.
Er trank langsam und mit einer gewissen Wollust.
Aber die Unruhe verließ ihn nicht. Einen Augen-
blick lang dachte er, es wäre wohl das Beste ge-
wesen, wenn er Mia Mirana aufgesucht hätte.
Gleich aber warf er diesen Gedanken von sich...
was hätte wohl Eva dazu gesagt, die im Hotel von
der Reise ausruhte? Und zum erstenmal empfand
er ein leises Schuldbewußtsein; er war nicht mehr
frei, alle seine Wünsche waren an die eintönige
Frage gebunden: Was wird Eva dazu sagen?
Welch ein gütiges, anschmiegendes, ergebenes
Weib war sie ihm! Und doch . . . war ein Unaus-
gesprochenes; ein Bitteres, das er immer und
immer wieder zurückdrängte, damit es ihn nicht
überwältigen solle . . . Und nun war es lebendig
geworden, hatte ihn angeklagt: Du bist nicht mehr
frei . . .

. . . Unruhig stürzte er sich wieder in das
Straßengewühl. Der Morgen stand grau über dem
großen Platz. Die Menschen gingen hastend.
Beim Anblick des Museums wurde Johannes mit
einem Male ruhig . . . Das Verlangen nach einem
tiefen Genuß trieb ihn die Stufen der Freitreppe
hinan. Es gelüstete ihn, wieder einmal zu emp-
finden, wie große Meister ihre innere Musik in
Farben festgehalten hatten.

Der Saal der blauen Stunde war leer. Das
Schweigen einer Kirche nistete darin. Der Künst-
ler hatte die Empfindung, als setze sich ihm dieses
große Schweigen auf die Schulter und spreche
mit menschlicher Stimme zu ihm.

Der Künstler schrak unwillkürlich zurück. Ihm
war, als habe das kauernde Weib des Gemäldes
leise den Kopf gehoben und ihn einen kurzen
Augenblick angestrahlt aus tiefen, heißen, wehen
Augen . . . Mit federnden Schritten eilte er durch
die Säle, verschloß sich mit berechnendem Be-
wußtsein allen äußeren Einflüssen, indem er seine
Blicke beharrlich den Fußspitzen allen äußeren
Einflüssen, indem er seine Blicke beharrlich den
Fußspitzen über den Boden vorauslaufen ließ.
Die blaue Stunde beherrschte ihn. Er fühlte, daß
sich’ alle Tage in diese Stunde drängten, erinnernd,
mahnend, anklagend. Mit einer schmerzenden
Klarheit empfand er ein Wunder: Er hatte die

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