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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 186/187 (November 1913)
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Hello, Ernest: Hello: Das goldene Kalb
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Die Schwermut des Genießers , [15]
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0136

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widerhallten von Jahrhundert zu Jahrhundert; das
Alter hat mit seinen Fingern das faltenlose Antlitz
nicht gestreift, das Antlitz dessen, der mit Moses
sprach, oben auf dem Sinai. Die Synagoge ist alt
geworden, aber die Kirche hat die zehn Gebote
aufgenommen und hat sie durch die Welt geleitet.
Zeit und Raum bringen sie heim zu dem, der sie
ihnen anvertraut hat, und im Tale Josaphat wird
ihre Urkraft wiederkehren.

Der Götterdienst bleibt, was er gewesen ist,
greulicher Seelenfraß, sogar immer noch greu-
licher seit achtzehn Jahrhunderten, und in nichts
hat sich die schreckliche Anbetung gemildert, in
nichts die Andacht zum goldnen Kalb.

Deutsch von Hegner

Die Schwermut des
Genießers

Roman

Artur Babillotte

Fortsetzung

Aergerlich warf Direktor Jahn die halbge-
rauchte Zigarre in den weißen Porzellanteller.
Sein Gleichgewicht war gestört. Diese Urauffüh-
rung war daran schuld . . .! Er hätte nie einwilli-
gen sollen . . . Dieser neue verrückte Komponist,
weiß der Kuckuck! der ruinierte ihn.

Nicht mehr zu ändern; lassen wir also die
Karre laufen, wie sie laufen mag.

Er machte einen derben Witz und zwang den
schmächtigen Redakteur Hardanger an seiner
rechten Seite zu einem keuchenden Lachen.

Gespräche wirbelten aufgeregt in den dicken
Tabaksqualm. Alle glühten. Am meisten einer, der
sonst kalt und berechnend in seiner Redaktion saß
und mit einer ungemein zähen Ausdauer auf Beute
lauerte. Eine wilde Entrüstung kochte in ihm. Er
vergaß seine Ueberlegenheit, die er über Menschen
besaß. Er ahnte wohl, daß hier seiner Weltan-
schauung ein gefährlicher Feind gegenübergetre-
ten sei . . .

Ludwig Raimund warf einen höhnischen Blick
aus seinen großen Mimenaugen zu dem Direktor
hinüber. Er wollte ihn ärgern, den alten Ekel. —
Es war sein Prinzip, ihn zu ärgern. Es war seine
zweite Natur geworden, immer das Gegenteil von
dem zu behaupten, was seinem Direktor mehr oder
weniger unerschütterliche Ueberzeugung war.

— Wahrhaftig . . .! schrie er pathetisch. Wie
schwer einem genialen Menschen der Weg ge-
macht wird . . .

Der Direktor hüstelte. Seine Augen wurden
grimmig. Aber der Mime ließ sich nicht aus seinem
Fahrwasser bringen. Er plätscherte darin mit ver-
gnügten Händen. Ei, ei, ei, Herr Direktor, bester
Herr Direktor . . . geht man bereits hoch? Es
soll noch besser kommen, es soll schon noch besser
kommen! Jaja, wir armen Sterblichen, wenn wir
auch keine Schwerter gegen göttliche Direktoren-
launen besitzen, so verfügen wir doch über eine
ganze Menge Nadeln mit sehr scharfen, außeror-
dentlich scharfen Spitzen . . . bester Herr Direktor.

Redakteur Hardanger wurde ängstlich. Er
fürchtete allen Spott, auch wenn er nicht gegen
ihn selbst gerichtet war. Er litt alle Unbilden, die
seine Mitmenschen trafen, mit; er war ein zartfüh-
lendes weiches Gemüt.

— Ach, Raimund, wimmerte er mit seiner
hohen immer kläglichen Stimme, das sollten Sie
nicht sagen. Ein Genie dringt immer durch, früher
oder später . . . Ich meine aber, es muß eben ein
Genie sein, wissen Sie . . .

Der Mime krähte.

— Respekt vor Ihrem Scharfsinn, Herr Redak-
teur Hardanger . . . Allen Respekt ... ja. Ihnen
überlasse ich gern die Entscheidung darüber ob
einer ein Genie ist oder nicht . . . Bei Ihnen kann
es nicht fehlen . . .

Der ängstliche Journalist wurde traurig. Dies
war der Dank, daß man den Schauspieler bei jeder
Gelegenheit gepriesen und gehätschelt, daß man
ganze Spälten mit Lobhymnen über sein geniales
Spiel gefüllt hatte . . .

— Ober, noch eine Halbe —! dröhnte am Tisch-
ende die Stimme des Kritikers Hans Mohr. Er fuch-
telte mit beiden Armen durch die Luft und sah aus
seinen blutunterlaufenen Augen zu dem Mimen
hinüber . . . Den konnte er nicht ausstehen.

— Warum reden S i e immer dem Genie das
Wort, Herr Raimund? donnerte er, daß der dicke
Rauch in ängstliches Schwanken kam. Gerade
Sie, Herr Raimund?!

— Jawohl, Herr Redakteur Hardanger, höhnte
er weiter, ein Genie zu entdecken ist auch eine
Kunst .... Und da Genies meistens in jeder Be-
ziehung Lämmer sind, weiche Seelen, Kriegsfeinde
et cetera et cetera, so sind Sie vom gütigen
Schicksal ganz offensichtlich zum Entdecker und
Schützer genialer Menschen prädestiniert ....

Ach Gott, ach Gott, über die Undankbarkeit
der Künstler! seufzte der arme Schmächtige in
sich hinein und fürchtete sich vor dem, was der
Mime wohl noch über ihn ausgießen würde. Aber
Ludwig Raimund wandte sich an den Direktor.

—-Ja, schwer wird den genialen Menschen der
Weg gemacht, Herr Direktor, sagte er über den
Tisch hinweg. Seine Augen tanzten in boshaftem
Eifer.

— Die Geschichte der meisten Genies beweist
das . . . Die Menschen, in deren Zeit das Genie
lebt, die sind eben nicht reif genug, um neue Ge-
danken aufzunehmen . . . Das ist eine große Ehre
für das Genie, aber sintemalen man von der Ehre
ariein nicht leben kann, kommen die meisten Genies
ihr Lebert lang knapp am Verhungern vorbei ....

— Sagen Sie mal, Herr, schrie bissig der Kri-
tiker Mohr, während er sein Glas hart auf die
Tischplatte stieß, warum leben dann S i e eigent-
lich so luxuriös?

Der Mime überhörte diese Bosheit. Was scherte
ihn dieser Bauer! Beharrlich rückte er gegen sei-
nen Direktor vor. Der mußte blamiert werden....
Ja, das hatte er schlau gemacht, der Ludwig Rai-
mund, Heldentenor und Menschenfeind. Hatte
seinem Direktor mit dieser verrückten Oper, die
eine neue Kunst einleiten sollte — sagte der Kom-
ponist —: mit der hatte er dem Direktorchen so
lange in den Ohren gelegen, bis er sich entschloß,
sie aufzuführen . . . Das liebe harmlose ungemüt-
liche Direktorchen! Jetzt, wo die Aufführung ganz
nahe war, jetzt wollte er ihn gehörig packen und
zwacken. Eine angenehme' Rache für alle die Nör-
geleien und Ungerechtigkeiten des Theaterty-
rannen.

— Jawohl, sagte er, knapp am Verhungern vor-
bei. Den Genies geht es sogar noch elender wie
den Journalisten, setzte er mit einem höhnischen
Seitenblick auf den Redakteur Hardanger hinzu.
Der zuckte wieder zusammen und machte sich
ganz klein, indem er eifrig in einer illustrierten
Zeitschrift blätterte und tat, als höre er nichts.
Aber Redakteur Todt gärte auf:

Herr! Was wissen Sie von Journalisten. Viel-
leicht, daß manche nicht zu beneiden sind. Die
finden Sie aber bloß bei den bürgerlichen Blättern.
Wir Sozialdemokraten, wir sorgen für unsere
Leute, verstehen Sie. Im übrigen, was Sie da
über das Genie Vorbringen, ist Schnickschnack...
Wer nicht einmal soviel Kraft hat, sich wenigstens

erhalten zu können, ohne hungern zu müssen —
Pfui Deibel! wissen Sie. Ueberhaupt: Genie! Wir
brauchen keine Einzelgenies, die Masse muß Genie
sein. Das ist wertvoll und praktisch . . . Er warf
sich in seinen Stuhl zurück.

Ich glaube, es wäre am besten, wenn man alle
Werke solcher Genies unbarmherzig überginge —
das heißt, solange sie nicht Massenkunst bringen.
Das Einzige, was an Kunst erlaubt sein darf, ist
Massenkunst. Aber wenn man das den Herren
sagt, steinigen sie einen. . . Wir werden trotz-
dem Remedur schaffen. Soviel ich merken
konnte, Herr Raimund, hatten Sie vorhin diesen
komischen Komponisten im Auge, dessen Opus
uns heute abend erquicken soll. Na, ich kann
Ihnen sagen, der denkt erstens nicht im gering-
sten ans Verhungern. Und zweitens versteh ich
nicht, wie man ihn unter die Genies einreihen
kann.

Der Mime unterbrach ihn. Er dächte gar nicht
daran und der hochverehrte Herr Chefredakteur
hätte mit seiner Abwehr nur noch ein paar Minu-
ten warten sollen — dann wäre ihm klar gewor-
den, daß er den Komponisten und sein Opus durch-
aus nicht für unbedingt genial halte. Der Direktor
war wieder in sein unmutiges Sinnieren gefallen,
aber jetzt merkte er wieder auf. Wo wollte der
hinaus, dieser großschnauzige Mime? Hatte der
nicht am ärgsten gedrängt?

Und Ludwig Raimund, der Heldentenor und
Menschenfeind, mystifizierte ihn.

Jawohl, Herr Chefredakteur, lächelte er den
Sozialistengewaltigen an, ich bin gar nicht der An-
sicht, daß es eine neue Kunst sei, was dieser Jo-
hannes Ehler bringt. Gott ja, eine verrückte Idee,
brillant durchgeführt, mit großem Fleiß und star-
ker Kompositionstechnik. Etwas Neues . . .

Aber erlauben Sie, polterte jetzt der Direktor
los. Wer sagte mir denn seinerzeit: Das ist eine
Arbeit, die Wagner und Richard Strauß tot-
schlägt?

Der Mime machte eine flache Handbewegung
durch die Luft: Ich hab mich eben damals geirrt,
ich war vielleicht etwas zu überschwänglich. Jetzt
bin ich klarer.

Vorzüglich ist die Arbeit, redete er auf den
Sozialisten ein, insofern sie eine neue Art, —- wie
soll ich sagen — eine neue Art Handung einführt,
nicht pedantisch an dem Usus festklebt, es müsse
eine Entwicklung, eine Steigerung und ein Sinken
dasein.

Darin ist dieses Werk wirklich groß. Aber ich
glaube, da macht das Publikum nicht mit.

Alle wären aufmerksam geworden. Das Thema
wurde zum Brennspiegel, der alle Gedanken und
Meinungen anzog und zurückwarf. Der Rauch in
dem menschenüberladenen Cafe lag wie ein trä-
ges, plumpes Untier über Tischen und Gästen.
Einige Redakteure, die bis jetzt geschwiegen hat-
ten, mischten sich in die Debatte. Sie verstanden
nicht viel von Musik, jießen es sich aber nicht
nehmen, große Urteile abzugeben.

Ich meine, piepte der kleine Schlorter, der
Verantwortliche, eines farblosen Wochenblattes,
ich meine, man muß — ob man will oder nicht —
man muß warten. Was das Publikum dazu sagt,
meine ich . . .

An ihn klammerte sich der Direktor:

Das ist natürlich bei jeder Uraufführung so.
Das Stück mag so genial sein, wie es will — am
Ende hängt der Erfolg doch vom Publikum ab.

Jawohl, das Publikum! seufzte der Mime.
Eigentlich konnte e r sich über das Publikum nicht
beklagen. Alle wollen hingerissen werden. Alles
Nervensache. Wenn einer aber so wenig auf die
Nerven seiner Zeitgenossen einwirken will, wie
unser neuer Komponist. Jetzt, Herr Direktor,

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