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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 190/191 (Zweites Dezemberheft)
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Kohl, Aage von: Der tierische Augenblick
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Walden, Herwarth: Aus der Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0153

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andere ergriffen war, „du, der denselben Glauben
hast wie ich. Efilf mir, daß ich beten kann. Nach
zwei Stunden muß ich sterben. Willst du meine
Seele ewig leiden lassen?“

Das Gesicht des Soldaten verschwand einen
Moment. Bentais Herz drehte sich in Angst. Dann
war das bleiche Gesicht wieder da: — „Du lügst,
du Hund!“ —

Schnell sprach ihm Bentai das Glaubensbe-
kenntnis vor: — er stöhnte lauter als früher. —

„Meine Seele, die Rettung meiner Seele. Ah,
Bruder, vergiß nicht, daß du deine eigne Seele
loskaufst, wenn du meine rettest!“

Noch einen Moment zögerte der Soldat, dann
hörte Bentai wie er die Tür aufmachte.

„Was willst du denn?“ fragte er mißtrauisch
und hatte noch nicht die Tür ganz geöffnet.

„Hilf mir, nur, auf den Knieen liegen zu können!
Daß ich beten kann!“ Bentai hörte selbst wie seine
Stimme zitterte.

Der Soldat kam herein und suchte sich im
Dunkel vorwärts. Er beugte sich über Bentai und
griff ihn sanft um den Leib mit beiden Armen.
Bentais Kopf, glitt auf die Schulter des anderen;
er machte sich schlaff und schwer.

„Liegst du jetzt richtig?“ fragte der Mann ganz
über ihn gebeugt. Im selben Augenblick setzte
Fürst Bentai die Zähne in dessen Kehle. Er fühlte,
beinahe ohnmächtig vor Angst und Ekel, wie das
Blut ihm in Mund und Hals herunterfloß. Ein fader
gräßlicher Geschmack durchrieselte ihn. Noch
fester drehte er die Zähne zusammen. Der Posten
gab ein schwaches Lallen von sich, seine Arme
fuchtelten auf dem Rücken Bentais. Das Blut sprang
in einem dicken Strahl aus seinem Hals, und
Fushime merkte, daß es sein Ohr traf. Es war
wie schnelle, weiche Stöße von einem warmen
Finger. Noch einmal biß er zu, seine Lippen wur-
den gegen den festen behaarten Hals gepreßt; er
merkte daß ein Schmiß sich auf der rechten Seite
befand. Es ging ein Schauer von Abscheu und
Widerwillen durch ihn. Dann ließ er nach und
der andere fiel schwer zurück. Tot.

Bentai horchte einen Moment.

Auf Ellbogen und Knie kam er heraus. Durch
einen Stoß seines Nackens brachte er die Flinte zum
Fallen, die dem Soldaten gehört hatte, und fing an,
gegen die scharfen Kante seine Fesseln abzufeilen.
Nach fünf Minuten war er frei. Schnell zog er
die Uniform des Soldaten an und schlich sich aus
dem Tempel heraus.

Das Bataillon formierte schon Marschkolonnen
als Bentai zurückkam. Ein paar Mal unterwegs
stolperten seine Beine unter ihm, er hatte ein paar
Minuten ausruhen müssen. Er fühlte sich so eigen-
tümlich leer im Kopf.

Der Oberstleutnant beugte sich lächelnd von
seinem Pferd, als er die Stimme Bentais hörte.
„Na!“ sagte er dann; aber als er das Gesicht des
Leutnants sah, gab es einen Ruck in ihm. Blut
hing ihm in trocknen Krusten um Kinn, Mund und
Nase. Bentai meldete, was geschehen war.

Das Gesicht des Obersten wurde gelbgrau.

„Ja!“ sagte er zuletzt und starrte auf den Hals
seines Pferds, der leuchtete wie Seide. Sie haben
gehandelt wie ein außerordentlich tüchtiger, ener-
gischer Offizier, Leutnant! Ich danke Ihnen!“

Er wollte weiter reiten, aber dann geschah es,
daß der Leutnant seine Hand, wo das Blut noch in
nassen Streifen und trocknen Krusten saß, gegen
den Zügel des Obersten ausstreckte.

„Einen Moment!“ sagte er und sah in die klei-
nen verwunderten Augen seines Chefs.

„Es ist noch etwas!“ er schwieg.

„Was ist?“ fragte der Oberst, und sah ihm
tief in die Augen.

Bentai sprach ganz ruhig, mit einer Stimme, die
dem Chef befahl: „Ich bitte Sie, mir meinen Ab-
schied als Offizier zu geben!“

Hatuse griff ihn an die Schultern:

„Aber Mensch, was denken Sie!“ sagte er „an
was denken Sie? Außerdem, ich kann keinem
Offizier Abschied geben!“

Bentai ließ seinen Zügel los.

„Dann! muß ich selbst meinen Abschied neh-
men!“ sagte er und sah auf; sein Gesicht war
ganz ruhig. Um die Lippen, steif und unbeweglich
vor Blut, lag eine Zuckung wie ein Lächeln. Der
Oberst beugte sich wieder zu ihm herunter:

„Warum? Sie, der so tüchtig und tapfer gehan-
delt haben, Fürst Fushimo!“ Er betonte das Wort
Fürst sehr schwach.

„Jener Mann!“ sagte Bentai, und dasselbe Ge-
fühl von Ekel und Abscheu befiel ihn wie dort —
„er wollte mir helfen, verstehen Sie. Er half mir,
obgleich es ihm Strafe bringen konnte. Und ich

-, verzeihen Sie nicht, es war-es war-

Ein Mörder kann nicht Offizier sein.

Der Kaiser kann keinen Mörder unter seinen
Offizieren haben!“ Das Gesicht des Oberst war
nicht so ruhig wie das des Leutnants. Er hob sei-
nen Kopf und sah einen Moment gerade aus. Es
war schon heller Tag. Die Kompanien lagen in
Marschordnung. Die Offiziere gingen auf und ab
und plauderten miteinander. Ab und zu sahen sie
hinüber zu dem Oberst und dem Leutnant Bentai.
Was hatten die beide so .'lange miteinander zu! be-
raten?

Dann streckte Hatuse seine Hand aus und griff
fest um die jungen Finger Bentais:

„Sie haben Recht, Leutnant!“ sagte er still und
langsam. „Aber wissen sollen Sie, daß Ihres Na-
mens durch Jahrtausende in Japan mit Ehre ge-
dacht werden soll! Gehen Sie.

Ich gebe Ihnen Recht zu handeln!“

Hatuse begrub die Sporen in die Seiten des
Pferds und ritt davon.

Aber in dem Wäldchen am Fluß stand der
Leutnant und Fürst Bentai einen Moment still, und
fühlte die Kraft seiner neunzehn Jahre durch seine
Adern gehen. Er lächelte ein klein bißchen, müde,
wie einer der nach schweren Anstrengungen weiß:
jetzt kommt die Ruhe. Dann ging er hinunter in
den Fluß und reinigte sein Gesicht, die Hände blu-
teten noch, das lohnte sich also nicht, dachte er.

Dann war er fertig und ging wieder hinauf
unter die Bäume. Rechts stand ein Strauch dieser
weißen, dickblätterigen Blumen, von denen Hatuse
gestern Abend eine in der Hand hatte. Bentai
lächelte wiedererkennend und nahm eine von den
Blumen. Ja dachte er inzwischen, es gibt keinen
anderen Weg das zu beweisen. Vater, Kameraden
und Seele des getöteten Russen, es gibt keinen an-
deren Weg, ihnen allen zu zeigen: nicht sein eignes
Leben wollte er retten, als er auf diese Weise ge-
mordet hatte.

Nein, es war wirklich kein anderer Ausweg!

Unbewußt führte er die Blume zu seinen Lippen
und saugte ihren Duft ein, dann steckte er sie in
das Knopfloch der Uniform, der Uniform des Rus-
sen, die er noch trug.

Er setzte sich unter einem Baum.

Nur das eine Mittel, dachte er und sah ernst
aus.

Dann hob er die Hand und schoß sich durch
das Herz.

Der Schuß traf den grünen Stiel gleich unter
der Krone, und so kam die weiße Blume zu sitzen
wie ein Orden oder ein Silberdeckel und verdeckte
den Weg, den die Kugel gegangen war.

*

Aus dem Novellenband „Die roten Namen“ /
Autorisierte Uebertragung aus dem Dänischen von
Nell Waiden

Aus der Zeit

Der Herr mit dem schönen Namen

Ich habe eine Entdeckung gemacht. Dieser
sehr geehrte Herr Tafel wird nicht nur in Stutt-
gart gespeist, auch München hat Teil an seinen
Platten. Während er im „Neuen Tagblatt“ zu
Stuttgart die Kunst für Alle treibt, treibt er in der
Kunst für Alle zu München Verherrlichung gedie-
gener Meister. Und in angeblichen Kunstzeit-
schriften darf ein Herr sich kritisch äußern, der
folgendes schreiben kann: „Da ist noch ein Herr
mit dem schönen Namen Kokoschka, was an Ka-
kadu klingt. Er bringt einige Porträtzeichnungen
. . . und wir sehen eine Rollschuhläuferin, die
ihrem Manne einen Floh auf der Brust knipst.
Also darum Räuber und Mörder.“ Das ist schon
mehr zum Aufhängen.

Im Sinne Dürers

Es gibt nicht nur einen Goethebund mit Herrn
Sudermann an der Spitze, es gibt auch einen
Dürerbund mit Herrn Avenarius, dem Kunst und
Kulturwart. Wie wirkt man im Sinne Dürers?
Man gibt einen künstlerischen Abreißkalender her-
aus. Er ist „für die Gebildeten im eigentlichen
Sinne des Wortes“. Und trotzdem selbst ein
Dürerkalender mit der Zeit recht abgerissen aus-
sehen muß, „steht er weit über dem Gezänke der
Parteien“. Dieser Abzureißende „will im Sinne
Dürers ein Führer sein zu echter innerer Kultur,
in Bild und Wort ein Spiegel der auf allen Gebie-
ten tätigen Lebensreformbewegungen“. Die ab-
gebildeten Lebensreformbewegungen spiegeln
jedenfalls den gebildeten Kunstwart im eigent-
lichen Sinne des Wortes, obwohl die Wörter kei-
nen eigentlichen Sinn haben. Der Dürerkalender
wird nicht von einem schlichten Nagel getragen,
„er i s t getragen von wahrhaft vaterländischer
Gesinnung“. Der Dürerkalender über Alles in der
Welt: „Herausgeber und Verlag haben weder
Mühe noch Kosten gescheut, um zu den nur durch
eine gewaltige Auflage denkbaren Preise ein
Werk zu bieten, das auch rein buchkünstlerisch
die anderen großen Abreißkalender in den Schat-
ten stellt“. So ein tüchtiger kleiner Kerl ist dieser
Dürerführerspiegelkalender. Trotzdem der kleine
Abreißer stark den Anreißer macht: „Der Verlag
möchte ausschließlich mit dem Sortiment arbei-
ten, bittet aber auch das gesamte Sortiment um
eine wirklich rührige Verwendung für diesen
wahrhaft deutschen Kalender.“ Gut ge-
rissen. Wenn man bedenkt, daß jeden Abend ein
Bild der auf allen Gebieten tätigen Lebensreform-
bewegungen in den Kunstpapierkorb fällt, so steigt
ein Schluchzen aus dem wahrhaft deutschen Her-
zen, daß weder Mühe noch Kosten der Gebildeten
im eigentlichen Sinne des Wortes zu dem nur
durch eine gewaltige Auflage denkbaren Preise
von einer Mark auch zwanzig Pfennige ein Werk
bieten können, dem das Zeichen des Verreißens
nicht schon auf dem buchkünstlerischen Sorti-
mentsprospekt aufgedruckt steht.

H. W.

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