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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 198/199 (Zweites Februarheft)
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht, [4]: Roman
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Behne, Adolf: Bruno Taut
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0185

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Er war ohne Zweifel nie früher diesen Weg
von hier fortgegangen, konnte früher nicht hier
gewesen sein!

Und doch, erkannte er dies alles genau wieder,
ganz deutlich, Punkt für Punkt: diesen kleinen,
runden Platz, von wo aus nach allen Himmels-
richtungen die schmalen Gänge sternförmig aus-
strahlten, und mitten darauf: die vier Hänge-
birken, sacht klirrend mit ihren zarten und spitzen,
ausgesägten Blättern! Noch mehr: auch die gau-
kelnde Erwartung der Luft, die Durchsichtigkeit
und den Schleier des Halbdunkels, die unbegreif-
lichen, winzig kleinen, trippelnden Laute von über-
all her — ja, er erkannte das alles genau wieder!

Er schüttelte verständnislos den Kopf, zuckte
auf einmal zusammen, sah mit den Augen zwin-
kernd, verstohlen umher, grübelte wild, um den
Zusammenhang in allem diesem ausfindig zu
machen, du großer Gott, ich fasse es nicht — und
trotzdem, ja, ich bin schon einmal hier gewesen, ich
entsinne mich dessen genau: eines Abends, ich
war allein, ich wollte zu dem großen Tor da drü-
ben hinaus, es war spät und dunkel . . . und was
bildete ich mir da plötzlich ein, hier drinnen in mei-
ner linken Hand fühlen zu können?

Ein Nu starrte er staunend und gleichsam ein
ganz klein wenig sehnsuchtsvoll auf die innere
Fläche seiner Hand hinab, aber ohne irgend etwas
Sonderbares darin entdecken zu können — wandte
darauf mit einem Ruck, wie auf Kommando, den
Kopf nach links um, der dunklen, efeuumkleideten
Säule von poliertem Granit zu, die da drinnen in
der Dämmerung aufragte, — einige Ellen von ihm
entfernt, hinter einem niedrigen, schwarzgestriche-
nen Gitter . . . und da lächelte er langsam und
wiedererkennend im selben Augenblick, tat mit
ausgestrecktem Arm ein paar Schritte vorwärts,
rätselhaft bewegt und dankbar —:

Ach!

Denn da . . .

Ungefähr in der Mitte der Säule, ein paar Fuß
über der Erdoberfläche!

Da unterschied er jetzt — vollkommen klar in
jedem einzelnen Zug — ein wunderbares Antlitz,
das sich ihm entgegenbeugte. Ein ganz schmales,
ein schmächtiges und feines, ach, ein blasses und
schönes, kleines Mädchenantlitz, dort hinten in der
Dunkelheit! so lieb und gut, so voll von Fragen
und von Sanftheit, siehe —: und das blanke,

schwarze Haar hing wie durchnäßt an den zarten
Wangen herab! mit den großen, dunklen Augen
blinzelnd, sah sie ihn lächelnd an!

Bist du es, bist du es wirklich — dachte er im
nächsten Moment, ohne selbst ganz zu wissen, was
er eigentlich mit diesen Worten sagen wollte. Er
ging behutsam noch einen Schritt vorwärts, sein
Herz war heiß, er strengte sich an, seinen Mund
zu öffnen und zu reden, er stammelte schließlich
lautlos und beschwerlich zwischen seinen Lipppen
hervor —: Komm! Komm nur ganz heran, du siehst
ja, daß ich dich wiedererkenne! . . . Aber da war
das plötzlich alles wieder verschwunden. Statt
des schönen Antlitzes hing da nur ein länglicher,
kleiner Kranz von weißen Perlen mitten an der
Säule, umrandet von dunklen Blättern!

Und da ergriff ihn eine heftige, eine brennende
Ungeduld, eine schmerzende Erwartung; es durch-
fuhr ihn wie mit einem Stich, daß er jetzt unauf-
haltsam hcimeilen müsse, heim nach seinem Hause
— um das in Empfang zu nehmen, was kommen
würde!

Aber schon im nächsten Augenblick fühlte er,
daß er doch nicht von hier fortgehen wollte — noch
nicht! Und er war übrigens auch vorläufig gar
nicht dazu imstande: seine Arme und Beine waren
ja auf einmal wie lahm geworden, oder sie waren

widerspenstig, oder vielmehr sie warteten wohl
auf irgend etwas, was binnen kurzem geschehen
würde — etwas, das erst allen Ernstes das voll-
bringen sollte, was soeben eingcleitet war! . . .

Er erkannte plötzlich diese Gedanken in sich,
empörte sich dagegen, wollte sie sogleich von sich
abschütteln, wollte lachen und zürnen, wollte ent-
schlossen seinen Verstand gefangen nehmen und
damit alle diese Fiebergaukeleien und dies Mum-
menspiel mit einer Bewegung weit fort jagen, da-
hin, wo es hingehörte!

Aber dessen ungeachtet blieb er unbeweglich
stehen, wo er war, noch mehr als bisher besessen
von dieser erwartungsvollen Begierde.

Dort hinter seinem Rücken erhob sich in wei-
ter Ferne ein unerklärliches Flüstern, das schnell
näher kam. An seinem Nacken vorbei strich ein
jäher und eiskalter Hauch. In seinem linken Ohr
spürte er einen Atemzug. Sein Herz stand still
in grenzenlosem Lauschen . . . und da überwäl-
tigte ihn auf einmal das Unbegreifliche, das Sinn-
lose von diesem allen hier!

Er machte hastig, angstgejagt, drei, vier
Schritte vorwärts im Lauf, um zu entfliehen.

Blieb darauf mit einem Ruck stehen.

Schwindelnd.

Wirr.

Vor seinem Blick wurde auf einmal alles stock-
dunkel, gleich darauf sprühte es nach allen Sei-
ten gelbe und blaue Funken, wurde wieder tief-
schwarz, lautlos überall, ein Sausen vor seinen
Ohren, eine wirbelnde Kälte und ein Wind von
oben auf seinen Scheitel zu — fiel er, stürzte
er kopfüber hinab durch eine Schlucht?!

Er schwankte, riß die Augen auf, erkannte wo
er war — aber da änderte sich blitzschnell alles
um ihn. Gitter wurden gesprengt und Säulen
sanken um, der Kies wogte und schimmerte zu
allen Seiten, der Erdboden erhob sich donnernd
zu Hügeln rechts und links, blendend weiße Flam-
men schossen krachend überall hervor, Gräber
barsten mit einem Gedröhn und spieen die Toten
aus! Weiß gekleidete Gestalten wurden in die
Höhe geschleudert, Frauen und Männer und Kin-
der, zahllose Scharen, fern und nah, erfüllten in
einem Nu die grelle und donnernde Luft! Mit
einem Stöhnen schlug er beide Hände vor das Ge-
sicht, wagte nicht zu sehen, fühlte in seinen Nasen-
löchern den Gestank von Erde und Phosphor und
Feuer, mein Gott, jetzt jagte ein brüllender Sturm-
wind daher, horch, die Glocke läutete, Domkir-
chenposaunen, Melodien von Geburt und Tod —
und siehe, da tat sich der Himmel weit auf, über
Bergzinnenpurpur brach die Sonne hervor, in sei-
nem Ohr der schwindlige Gesang des Lebenschors,
ach siehe, das ewige Licht und das Glück, das wir
alle erreichen sollen . . . und da, da, ja, Annie,
mit lächelnder Lippe und ausgestreckten Armen,
jung, unsagbar schön, so hold und hoch, Geliebte,
ja, ja, ich komme . . .

Seine Brust ward jäh von einer unvergleich-
lichen Süßigkeit erfüllt.

Aus allen seinen Adern erhob sich die Wonne
der Gewißheit, sie so nahe zu wissen, eine Flamme
im Dunkeln!

Er warf jubelnä beide Arme vor, wollte dahin
laufen, wo sie war, taumelte ein paar Schritte
vorwärts, strauchelte, war im Begriff zu fallen,
alles um ihn her war plötzlich stockfinster, er rich-
tete sich mit Mühe wieder auf — sah sich frie-
rend um, blind und verlassen, mit läutenden Ohren,
das Herz einen Augenblick totenstill und dann
wahnsinnig da drinnen tobend —:

Wo war er?

Was war geschehen??

Annie, woher war sie gekommen — wo ging
sie hin??? . . .

Er hörte plötzlich den Laut eines leisen, gleich-
sam schaudernden Lachens, fuhr dabei zusammen,
starrte um sich —:

„Wer?

Wer da??

Wer lacht da???“ . . .

Er griff wie toll mit der rechten Faust vor sich
hin in die Luft, faßte ein Handgelenk, umklammerte
es mit aller Macht, stieß einen Schrei aus — und
wußte gleich darauf auf einmal, daß es ja nie-
mand weiter war, als er selbst! es war nur er
selbst — der selber seinen linken Arm umklam-
mert hielt! ganz recht, das war alles zusammen
nichts weiter als Gaukelbilder und Träume, aber
jetzt war es spät geworden, er war ein ganz
klein wenig gleichsam müde, er sollte gewiß
schnell nach Hause gehen und schlafen, hahaha! ..

Noch einen Augenblick blieb er unsicher stehen,
trotz alledem nicht ganz überzeugt, daß da nicht
eben doch ein Fremder gewesen war — und daß
der Erdboden sich nicht gehoben und Feuer aus-
gespien hatte; aber als er tatsächlich nichts davon
weder sehen noch hören konnte — fühlte er sich
unmittelbar darauf so ziemlich beruhigt, trocknete
den Schweiß von der Stirn, zuckte nervös und
lächelnd die Achseln, und begann schnell dahin
zu wandern, den dunklen Pfad verfolgend, der,
wie es ihm schien, auf die Pforte zuführen mußte.

Fortsetzung folgt

Bruno Taut

Bruno Taut hat mit dem Pavillon des Stahl-
werksverbandes auf der Leipziger Baufach-Aus-
stellung einen ersten großen und allgemeinen Er-
folg errungen! Das „Monument des Eisens“ wie
das Haus kurz und bündig getauft wurde, erregte
auch bei denen Aufmerksamkeit, die sonst archi-
tektonischen Schöpfungen weniger teilnahmsvoll
gegenüberstehen. Es fühlte ein Jeder, daß in
diesem knappen, phrasenlosen, und wundervoll
energischen Gefüge ein wirklich moderner, und
völlig zeitgemäßer Künstler steckte. Aber leider
hat das starke Interesse an dem Leipziger Pavil-
lon nicht dazu geführt, daß die Allgemeinheit sich
nun auch dem sonstigen Schaffen Bruno Tauts zu-
gewendet hätte. Das ist um so bedauerlicher, als
Bruno Taut in Wahrheit schon Bedeutenderes ge-
leistet hat, als jenen Leipziger Pavillon. Gerade
jetzt hat er in Groß-Berlin ein neues Wohnhaus
gebaut, das eine ganz seltene und wahrhaft hinrei-
ßende architektonische Leistung darstellt!

Es handelt sich um das Eckhaus der Harden-
berg und Schillerstraße in Charlottenburg, das
Bruno Taut über einem städtebaulich sehr inter-
essanten Grundriß von Arthur Vogdt aufgeftihrt hat.

Nichts liegt Bruno Taut ferner, als Extravaganz,
Spielerei oder Bluff. Was ihn auszeichnet, ist seine
strenge Sachlichkeit — freilich ein künstlerische
Sachlichkeit, nicht die Sachlichkeit des „Zweck-
künstlers“ oder des „Puritaners.“ In diesem künst-
lerischen Sinne war das „Monument des Eisens“
absolut sachlich. Die goldene Kugel, die über der
Achteckpyramide saß und die hier und da Beden-
ken erregte, hatte praktisch-ökonomisch allerdings
keinen Zweck! Aber künstlerisch hatte sie durch-
aus ihren Zweck, war sie niemals zu entbehren!

In diesem künstlerischen Sinne ist auch das
Hardenberghaus (das Haus trägt nicht diesen
Namen, sei aber im Interesse der Kürze hier ein-
mal so bezeichnet) völlig sachlich. Bruno Taut
.geht hier bewußt auf die Urelemente des Bauens
zurück und läßt alles bei Seite liegen, was nur Kon-
vention, nur Ableitung ist. Auch er bemüht sich,

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