Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

DOI Heft:
Nummer 202/203 (Zweites Märzheft)
DOI Artikel:
Ehrenstein, Albert: Gedichte
DOI Artikel:
Le Moyne, Yves: Le Solitaire
DOI Artikel:
Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht, [6]: Roman
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0198

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„Siehe da, du verliegst.

Hast zur Strecke gebracht die große Anzahl
der Schenkelbusen, blondverzückten Stimmen.
Eines dieser klaffenden Schenkelpaare
wird dich durch einen Sohn zum Schweigen

bringen.

Aber wozu bei den sanfthaarigen Mädchen,
ruhig wartend die Nächte abliegen,
bis dich einspinnt ein greiser Großvaterbart?“
Anzürnt Smaledumen, der Held, seine Wende-
ding-Lanze:

„Mißgönnst mir die Freuden der Strecke?
Mögest zerbersten in Flammen,
wissendes Holz, siehe auch ich weiß!

Mädchen sind da, beschlafen zu werden,

Rinder sind da, getrieben zu werden,

Männer sind da, getötet zu werden!“

Sprach’s und sandte die Wendeding-Lanze
nach einem ihn kalt überschattenden Baume.

Und er tötete ihn und beraubte ihn der

Rüstung, der Rinde,

hüllte sich strafend in sie und aß aus den

Borken die Käfer.

Le Solitaire

A Yves le Moyne

II est assis-Solitaire-sous les arbres de la Foret,
lä oü le Vent Souffle lugubrement dans son basson
des melopees au rythme fou.

Sa barbe — foliation involucre oü grouillent des
microcosmes innombrables et funeraires s’agite-
ondulatoire-au quadrille girant des Mandragores.

II est assis-Solitaire-sous les arbres de la Foret,
lä oü le Vent souffle lugubrement dans son basson
des melopees au rythme fou.

Saillant ainsi gue des cordes de chanvre, les
ceps desseches de ses bras tentaculaires- devenus
rigides-s’accusent en jaune relief comme le par-
chemin ride d’un grimoire.

II est assis-Solitaire-sous les arbres de la Foret,
lä oü le Vent souffle lugubrement dans son basson
des melopees au rythme fou.

Sur sa figure hexagonale, oü s’inscrivent les
cercles de ses yeux de neant, passe un Effroi
crepusculaire. O ces yeux! je voudrais les avoir
dans ma main fievreuse, pour entendre crepiter
leurs lobes.

II est assis-Solitaire-sous les arbres de la Foret,
lä oü le Vent souffle lugubrement dans son basson
des melopees au rythme fou.

Et sur sa Tete, deux Oiseaux noirs, chamarres
d'hieroglyphes, lui font des signes, des gestes fous,
des gestes fous avec leurs cous, des gestes fous
qui incantent.

II est assis-Solitaire-sous les arbres de la Foret,
lä oü le Vent souffle lugubrement dans son basson
des melopees au rythme fou.

Et toujours, toujours les Hiboux oscelles (ö que
monotone est leur chant!) de leurs grasses Iangues
sonnent le Glas, le Glas eternel du Silence.

II est assis-Solitaire-sous les arbres de la Foret,
lä oü le Vent souffle lugubrement dans son basson
des melopees au rythme fou.

Der Weg
durch die Nacht

Roman

Aage von Kohl

Fortsetzung

Er begann jetzt, langsam seine Zigarette rau-
chend, mit zwinkernden Augen die Gestalt des
Professors dort an dem Regal zu verfolgen — und
suchte sich währenddessen klar zu machen, worin
dies merkwürdige, über die ganze zivilisierte Welt
völlig gleiche eigenartig Aerztliche bestand — das
sich auch bei von Geer in allem äußerte, was er
sagte und tat, in der Bewegung und in der
Haltung. War es eine sehr intime und fein-
teilige Mischung, entstanden durch dies Komposi-
tum, aus dem ihr Geschäft bestand: diese Doppel-
heit, auf der einen Seite der Mann der Wissen-
schaft, der Forscher, der Gelehrte — und auf der
andern der Mann der Hand, der Tat?! Oder war
das, was ihr Wesen kennzeichnete, nicht weit eher
eine noch mehr zusammengesetzte Sache, die drei-
fache Zusammenschweißung der Ruhe und der
Geistesarbeit, der keineswegs stillosen Fingerge-
sehwindigkeit des brauchbaren Handwerkers —
und endlich eines Körnchens von dem ausgepräg-
ten und immer nach außen hin gerichteten Selbst-
vertrauens des Hypnotiseurs, des Seelenheilers, die
notwendige Basis für alles Gelingen auf den sugge-
stiven Gebieten! — Nun ja, grübelte er darauf wei-
ter, ohne selbst zu fassen, warum seine Gedan-
ken gerade in diesem Augenblick einen solchen
Sprung machten —: und nun diese Nachricht, die
ihm von Geer überbrachte?! Dieser Karl
Mumme, sehr wohl, so hieß das Individuum, das
gewagt hatte . . . dieses ekelhafte und gemeine
Tier, das sich erkühnt hatte . . . und dem er mor-
gen schließlich von Angesicht zu Angesicht gegen-
über stehen sollte, um zur endlichen Stillung
seines . . .

Er fuhr mit einem Ruck zusammen; blinzelte
mit beiden Augen, als habe er geschlafen und sei
unsanft geweckt worden: erkannte mit einer Uebel-
keit erweckenden Erschütterung all seiner Nerven,
daß er hier saß und seine Zähne zusammen ge-
bissen, die Zigarette zwischen den Fingern zer-
drückt, alle Muskeln seines Körpers wie zu einem
Sprung, zu einem Ueberfall, einem rasenden Kampf
angespannt hatte . . . und dann hörte er unmittel-
bar darauf, von Geers Stimme dort von dem Bü-
cherbort her, wandte sich deswegen mit einem
Satz nach ihm um — von neuem mit dieser myste-
riösen Dreiteilung seines Wesens, nach außen zu
beherrscht, lächelnd und lauschend, darunter
gleichsam halbwegs schwerhörig und geblendet —
und im tiefsten Innern mehr und mehr versengend
heiß!

„Ich sehe,“ — sagte der Professor, er hatte ein
dickes, gelb eingebundenes Buch aus einer ganzen
Reihe herausgenommen, die alle in derselben
Farbe eingebunden waren — „ich sehe hier, daß
Sie schon im voraus eine nicht geringe Kenntnis
von . . . von den Existenzen besitzen müssen, zu
denen Karl Mumme gehört! Ihre Bibliothek ist ja
ganz einfach vortrefflich — auch mit Werken ver-
sehen, die von . . . allen diesen Monstrositäten
handeln, von denen ich aufrichtig gesprochen
glaubte, daß nur wir Aerzte die traurige Pflicht hät-
ten, sie zu studieren!

Mein Gott!“ — fuhr er fort, indem er das Buch
wieder an seinen Platz stellte; er drehte sich lang-
sam um, beide Hände tief drinnen in den Hosen-
taschen, starrte grübelnd vor sich hin —: „Es war
einmal mein Traum, zu versuchen, auch meinen

Teil zu dieser Arbeit beizutragen, die wir Aerzte
selber als das höchste von allem betrachten; nicht
zu heilen — ich hätte fast gesagt, darauf pfeife
ich, denn wann gelingt uns eine Heilung in den
Punkten, wo nicht die Natur selbst das gleiche auf
eigene Hand erreicht haben würde, vielleicht nur
ein ganz klein wenig langsamer — nein, nicht zu
heilen, sondern vorzubeugen, aktiv und regu-
lierend in den Organismus des Gesellschaftskörpers
einzugreifen, einen neuen und positiven Wert in
den Strom der Entwicklung selber hineinzulegen!
Ja, du großer Gott —: und d a, gerade auf dem Ge-
biet, das mich heute Abend unter so traurigen
Umständen hierher geführt hat, gerade da und
dergleichen entsetzenerregenden Abnormitäten
gegenüber, bleibt uns noch so unendlich viel zu
erreichen übrig.

Ich bin allerdings keineswegs ein Anhänger von
Lombrosos Theorien!

Namentlich nicht, was die Möglichkeit betrifft,
auf rein antropometrischem Wege im voraus die
Individuen ausfindig machen — und sie uns folg-
lich auch sichern zu können — die späterhin unsere
Irrenanstalten und Gefängnisse füllen!

Aber ich fühle mich doch hin und wieder ver-
sucht, wenn ich ganz ehrlich sein soll, zu meinen,
daß ein so ungeheurer, ein so schwindelnder, ein
so völlig unüberschreitbarer Unterschied zwischen
Menschen wie Sie und ich und die vielen Millionen
auf der einen Seite — und auf der andern Seite
allen diesen gräßlichen Ungeheuern! von Karl
Mumme, dem Lustmörder, bis zu dem Leichen-
schänder, Kadaverliebhaber Sergeant Bertrand,
dessen Lebensschilderung ich hier eben bei Ihnen
gesehen habe; von Gesche Gottfried, der zehn-
fachen Giftmörderin, die Ohnmachtsanfälle vor Ent-
zücken bekam, wenn sie Arsenik sah, und die ihre
letzte Kruke Rattengift mit sich in das Gefängnis
schleppte —. bis zu Helene Jegado! von Jack the
Ripjjgiiden mau niemals fand /*d>ts zu fcper acht-
zehnjährigen Grete Beier, die unter dem rorwand,
ihren Bräutigam mit einem Leckerbissen über-
raschen zu wollen, ihm ihr Taschentuch vor die
Augen band, ihn den Mund weit öffnen ließ und
ihm darauf zwei Revolverschüsse in den Schlund
hineinfeuerte! von Nero via Marschall de Retz bis
zu de Sade hin ... Ja, da fühle ich mit meinem
ganzen Ich, mit jeder Faser meines Fleisches und
meines Blutes, daß Lombroso in gewissen Fällen
im tiefsten Grunde doch recht gehabt haben muß
—: Untiere, wie die, die ich genannt habe sind
nicht unseres gleichen! Sie sind durch und durch
etwas anderes — es besteht ein erstickender Haß
zwischen ihnen und uns, es brennt uns in den Fin-
gern, sie auszurotten! Wenn wir, vor Schauder
und Ekel bebend, uns notgedrungen in das Studium
von ihnen vertiefen — dann geschieht das aus-
schließlich aus der Sehnsucht heraus, ein für alle-
mal das unfehlbare und universale Mittel zu finden,
um unsere Kinder, unsere Frauen, uns selbst, gegen
ihre grauenvollen und blutigen Uebergriffe zu
schützen!“ — Er schwieg, schweißtropfend und mit
funkelnden Augen; dann lächelte er Morton gut-
mütig zu, halb entschuldigend:

„Nicht wahr?“ — schloß er wärm —:

„Und ich finde fast, daß ein Trost in diesem
allen liegt, weil es uns so unbestreitbar zeigt, daB
w i r nicht die Schuld tragen —:

Dieses Bewußtsein, daß diese sämtlichen Ab-
normen, nennen Sie sie Geisteskranke oder ho-
mines delinquentes oder wie Sie wollen —: auf
keinen Fall Menschen sind!“

Aber Glaß, der während dieser langen Rede ihn
unverwandt mit beiden Augen und Ohren betrach-
tet hatte, ohne selbst begreifen zu können, weshalb
— schüttelte jetzt langsam den Kopf —:

203
 
Annotationen