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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 5.1914-1915

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Nummer 9 (Erstes Augustheft 1914)
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht [15]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.33880#0074

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Jetzt in einem iangen Schritt über die knar-
rende Schweiie zum Qartenzimmer — dort sind,
Qott sei Dank, gar keine Türen zu öffnen!

Qerade vor ihm, gieich einem weit gespannten
Nebeischieier, weitet sich die freie Aussicht iiber
den Qarten — der heiie Himmei der Sommernacht,
die Umrisse eines kuppeiförmigen Qebüsches, das
Licht eines Sternes.

Er bieibt da draußen in der Veranda stehen,
saugt begehriich die frische Luft ein, runzeit gieich
darauf die Stirn, gereizt über eiu jähes Qefiihi,
kiatschnaß zu sein, ja, wirkiich, noch dazu von
einer abscheuiichen, einer kiebrigen Feuchtigkeit,
die ganz durch seine Weste, seine Beinkieider ge-
drungen ist, seine Strümpfe durchsickert hat, die
ein ekeihaftes Qeräusch hervorruft, wenn er geht
— und ihm steht das Herz unerkiäriich stiii vor
Qrauen, wenn 'er die Zehen da drinnen in den
Socken bewegt!

Er iehnt sich, piötziich eine Übeikeit empfin-
dend, mit sausendem Kopf gegen den Türpfosten
der Veranda, todmüde aus irgendeinem Qrund —
den er unbestimmt ausfindig zu machen sucht . . .
aber dann strammt er sich mit einem Ruck auf —:
' St!

Da wieder, horch!

Es pocht da hinten, weit hinter ihm!

Jawohi, ich verstehe es recht gut —: das ist
die Poiizei, die noch immer da hinten steht, und
hämmert, um hinein zu geiangen! . . .

Eine tiefe, fast schiuchzende Dankbarkeit dringt
durch seinen ganzen Körper, er preßt mit schau-
dernder, mit brennender, mit unsagbärer und
schmerzvoiler Zärtiichkeit diese angebetete Last,
die er in seinen Armen trägt, an sein Herz: sei
ruhig, meine ewig Qeiiebte, fürchte dich nicht, du
bist ja bei mir —: in meinen Armen, hier drinnen
in meiner Brust, in aiien meinen Fibern bist du
für immer bei mir!

Er entsinnt sich im seiben Nu, was er hier
draußen wiii.

Er tritt aiso hastig auf die braune Treppe hin-
aus, die in den Qarten hinabführt, macht kehrt auf
der obersten Stufe, das Qesicht dem Hause zuge-
wendet — sieht einen Augenbiick prüfend in die
Dunkelheit hinauf, verfoigt den Weg, auf den er
hun soii —: diese schweren, iotrechten Baiken, hier
und da durch soiide Oueriatten verbunden, das
Qanze voiikommen verdeckt hinter dem kreuz-
weisen, dünnen Qitterwerk des Spaiiers und den
üppigen Qehängen des wiiden Weins und des
Efeus.

Er hört von neuem, diesmai weit stärker ais zu-
vor, dieses Trommein und dieses Rufen da hinten.

Sein iinker Arm schiießt sich wie eine eiserne
Klammer um ihren Leib.

Er hebt eilig den rechten Fuß, setzt ihn auf die
erste Querstange zwischen Zweige und Laubwerk,
greift mit der freien Hand so hoch, wie er iangen
kann, hinauf, spannt aiie Muskein in seinem Körper
an, zieht an, hebt sich hinauf, die kühlen Blätter
sickern herab, an seiner Wange vorbei — er ist
eine gute EHe hinaufgelangt.

Dort macht er wieder für eine kurze Sekunde
Halt, wägt nicht, diese einzige Hand, die er zu sei-
ner Verfügung hat, loszulassen — kann weder hin-
auf, noch hinab kommen.

Er erinnert sich gleich darauf wieder des Po-
lizeiassistenten, der da unten steht und gierig don-
nert — beugt sich vorwärts, den Mund weit ge-
öffnet, die Lippen zurückgezogen, er preßt sein Qe-
sicht tief durch das taufeuchte, weichende Laub,
sucht darin eine Sekunde mit zugeklemmten Augen,
beißt sich darauf in eine der schmalen Spalierlatten
fest, da wo sie sich mit einer andern kreuzt;

klemmt mit aller Qewalt die Kiefer um das kühle
Holz zusammen, läßt währenddes die rechte Hand
los, tastet damit hinauf, findet einen Halt, löst den
Mund, folgt mit beiden Beinen nach — ist wieder
eine EHe höher hinaufgelangt.

Er lacht auf einmal, ganz kurz und gedämpft.

Im Gaumen ein Qeschmack wie von Farbe und
Harz, er spuckt aus.

Bereitet sich zu dem nächsten Schritt vor-
wärts vor: bohrt das Qesicht zwischen die glatten
Blätter hinein, hakt die Zähne fest, wühlt blind über
seinem Kopf hinauf mit der rechten Faust und
findet Halt, löst den Mund. Und wieder dasselbe
von vorn: der Biß, die Hand !os, um sich noch
höher festzuklammern — und die Beine nach.

Noch einmal dasselbe; von neuem nagt er sich
fest — ist diesmal aber nicht glücklich gewesen,
die Latte gibt mit einem leisen Krachen nach, seine
Unterlippe gerät in die Klemme einer Kreuzung,
sitzt fest — aber Qott sei Dank hat er die Hand
noch nicht losgelassen; einen Augenblick hängt er
da mitten zwischen oben und unten, in der Dunkel-
heit, ihre weißbekleidete Qestalt unbeweglich in
seinem Arm, sich krampfhaft mit Hand und Fuß
festhäkcnd — und mit diesem Stück bleichroten
Fleisches wie festgenagelt in das Holz tief da drin-
'nen, in dem dunkelgrünen Laub.

Aber nun sieht er ein, daß er sich beeilen muß.
Er schüttelt den Kopf, reißt und zerrt mit aller
Macht, um loszukommen, hat ein Geftihl, als sei er
im Begrifft, sein ganzes Qesicht von dem Schädel
wegzuschinden, mein Qott, es tut wahnsinnig weh

— oder nein, gewiß nicht, es tut im Qegenteil gut,
äch, es beruhigt sein Herz so herrlich!

Er hat indessen noch einmal alle seine Kraft zu-
sammengerafft, schleudert jetzt den Nacken gewalt-
sam, zurück, ein Feuer entsteht um Nase und
Mund — und er ist frei. Aber es ist keine Zeit zu
verlieren. Er leckt sich unwillkürlich und schnell
um die Lippe: es schmeckt salzig und süß. Hat
schon eine bessere Stelle an dem Qitter gefunden,
gelangt wieder einen Schritt hinauf. Im selben
Augenblick geht eine stockfinstere Wolke über
seinen Scheitel hin, oder nein, sie wandert feucht
und wiegend quer durch seinen Kopf, er ist blind,
kann weder hören noch fühlen, weiß nur, daß er
um jeden Preis in die Höhe muß: nun, beiß nur
zu — und greif währenddessen hinauf; beiß wieder

— und greif; beiß abermals — und greif; beiß —
und . . . dann spürt er plötzlich den kühlen Zink
unter seiner Handfläche, als er sie diesmal hinauf-
streckt. Seine Finger krümmen sich um eine Leiste
des Daches, sein EHbogen hakt sich ein, er zieht
den Körper hinterdrein — und liegt eine Sekunde
später, kniend, auf dem glatten, bleigrauen Metall,
auf einmal todmüde, mit wehen Qliedern, einen
siebenzölligen Nagel in seinem Kinn und seinen
schmerzenden Kiefern — wahnsinnig preßt er diese
heimliche, diese geliebte Läst an sich, dies Teuerste
von allem in der Welt — das der Polizei wegzu-
stehlen ihm gelungen ist, und das in Sicherheit zu
bringen er nun bestrebt ist, koste es, was es
wolle! . . .

In Sicherheit — wiederholt er in demselben
Augenblick und wird bange.

Jawohl, ja, er liegt hier und vertrödelt die Zeit,
aber das ist sehr verkehrt von ihm, das ist voll-
kommen blödsinnig verkehrt, er muß sich, wetß
Qott, sputen, er hat es wirklich außerordentlich
eilig, da sind noch ein paar Schritte, die getan wer-
den müssen! . . .

Er arbeitet, um sich aufzurichten — kann aber
auf einmal nicht. Die Beine wollen nicht. Der
Pücken will nicht. Der Nacken will auch nicht.
Nichts will.

Alit einem Ruck wirft er den Kopf zurück —:

Was?!

Was ist denn das?!

Habt ihr vergessen, ihr Schlingel, um was es
sich handelt!

Wißt ihr denn noch nicht, daß Annies Leben auf
dem Spiele steht! . . .

Und er versucht von neuem, wahnwitzig alle
seine Kräfte anspannend. Aber es geht trotzdem
nicht.

Er komnit nur halbwegs auf die Beine, sinkt
gleich darauf wieder zusammen, noch tiefer als zu-
vor — gegen seine Stirn fühlt er auf einmal die
Glätte und Kälte des Zinks.

Da hört er indessen plötzlich gedämpfte Rufe
von da drüben, von der anderen Seite des Hauses
her — draußen von dem Wege, oder vielleicht
schon drinnen in dem Vorgarten . . . und im selben
Augenblick ist er oben auf seinen Füßen, mit einem
Satz, er gleitet wie ein Schatten über das breite,
abfallende Dach, erreicht das Fenster, das offen
steht, er schreitet hinein —: \

Qott sei gepriesen!

Jetzt ist er endlich geborgen!

Nun ist das alles wunderbar gut gegangen!

Hier kann nicht das geringste Schlimme mehf
geschehen — sie ist völlig gerettet! . . .

Hastig durch. das Zimmer dahineilend, ohne
Licht anzuzünden, hat er schon mit Vorsicht seine
teure Last vor sich auf das Bett gelegt — das da
steht, schimmernd in der grauen Dämmerung mit
der Pracht der weißen seidenen Decke.

Er eilte darauf nach jener Ecke, links und dem
Fenster gegentiber — wo die beiden Türen zu-
sammenstoßen, eine nach dem Badezimmer, aber
von da gibt es keinen andern Ausgang als hier
hinein, und um den braucht er sich also nicht zu
bekümmern; die andere dahingegen führt auf den
Gang hinaus und muß offenbar versperrt werden.

Zunächst schließt er sie ab.

Steht darauf einen Moment unentschlossen da,
verwirrt und unzufrieden.

Tritt dann ein paar Schritte zurück, vor den
großen Mahagonikleiderschrank; er sieht ihn einen
Augenblick grübelnd von oben bis unten an,
schnaubt, trocknet mit dem Rücken seiner Hand
den Schweiß von der Stirn und den Augen, das
Blut von Kinn und Mund.

Nickt darauf ein oder zweimal vor sich hin, mit
belebter Miene, geht auf die andere Seite des
Schrankes hinüber, auf die Seite, die von der Tür
am weitesten entfernt ist — stemmt die Schultern
dagegen, stützt ihn langsam und vorsichtig halb
um, so daß er nur auf zwei von den niedrigen
Klötzen steht; stützt dann beide Handflächen in
Brusthöhe dagegen, wandert Schritt für Schritt zu-
rück, nach der entgegengesetzten Seite, seine
Fäuste beständig mit seinem ganzen Qewicht gegen
die glatte Fläche pressend, die, jedesmal, wenn er
eine Hand bewegt, kreischt und brummt — bis es
ihm endlich gelingt, das schwere Möbel ohne alles
Qeräusch auf die hohe Kante nieder zu legen —
so daß es jetzt die Tür vollkommen verbarrikadiert!

Sieh!

Jetzt ist also faktisch gar keine Qefahr mehr!

Haha, Qott sei Dank, alles in vorzüglicher Ord-
nung. Es ist ja alles über Erwarten geglückt! . . .

Er ist mit lautlosen Schritten bis an das Bett
gekommen, wo er sie niedergelegt hat — und steht
einen Augenblick da, wischt sich von neuem
Schweiß und Blut aus dem Gesicht. Er legt sich
darauf mit lächelndem Munde auf die Knie, kann
durch das halbdurchsichtige Dunkel sehr deutlich
sie unterscheiden, die da liegt, weiß in ihrem wei-
ßen Geward, ausgestreckt in ihrer vollen Länge

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