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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Zehntes Heft (Januar 1917)
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Knoblauch, Adolf: Seidenfaden, [6]
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Heynicke, Kurt: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0124

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und Knieen und Röcken und Beinen und Händen
und euren falschen Küssen." Seidenfaden, der
zagende Koser, eilte leidenschaftlich aus der Stube
und schloß sich mit Sine ein.
Er verbarg sich mit seinem Liebesschmerz, und
Sine war im Liebsten tief mitbeleidigt. Eine bittre
Woche lang waren die zänkischen Frei-Ehegatten
täubchenzart beisammen, waren zu den Frühlings-
tagen des orangenen Honigmondes heimgekehrt.
Sine betreute mütterlich den Liebsten, dem freche
Mädels roh das Herz verletzt hatten. Sine stürmte
rächend durchs Haus, warf eine bittre Woche lang
die Türen, züchtigte tantenhaft und blieb unnah-
bar. Bis auf Weiteres fiel der Klavier-Unterricht
aus.
* *
Nonne saß am Vormittag auf dem grünumlaub-
ten Balkon und flickte Vater Dollings Hemden.
Die Mädchen waren zur Schule, Dolling schrieb,
und im Bücherzimmer war Seidenfaden bei Sinen
zu Besuch. Nonne war allein, die Morgensonne
schien in ihr freies, starkes Gesicht, in das die
Arbeit ihrer Familie seit Generationen früh die
schweren Zeichen gefurcht hatte. Sie hatte
Jugendjahre unerträglich anstrengenden Dienstes
in Dollings Familie verbracht und die drei Mäd-
chen großgezogen. Ihre mütterliche Kraft gab den
Kindern sittlichen Halt.
Nonne sang Eines der wunderbaren Kinder-
lieder, ihr Haupt war auf die Näherei gebeugt , und
ihr im Nacken ruhte sonnig der schwere Liebes-
knoten des Haares.
Unerwartet trat Sine in die Stille, legte sich in
den Liegestuhl und starrte heiß auf die fleißige
Arbeiterin, die das Mannshemd gegens Licht hob,
um die geflickten Risse zu prüfen. Sine begann:
„Nönnchen, deine Jöhren sind jetzt zu frech.
Du hast sie nie ordentlich durchgehauen, jetzt
sind sie gegen Alle frech. Wenn du sie nicht haust,
dann tue ich's. Ich will es ihnen zeigen!"
Nonne prüfte noch die Flickerei und legte das
Hemd ruhig in Falten zusammen. „Das ist nicht
wahr", antwortete sie, „die Kinder sind nicht frech.
Sie machen mal nen tollen Streich, aber sie
mutzen Niemand was auf, wenn ers nicht wirklich
verdient hat."
Sine sprang vom Liegestuhl auf: „Willst du
damit sagen, daß die Jöhren Recht hatten, Herrn
Sejdenfaden zu beschimpfen?" Nonnens scharfe
blaue Augen blickten stählern: „Herr Seidenfaden
— hat Ursache zu dem Zank' gegeben. Warum
setzt er sich unter Kinder, die nichts von ihm
wissen wollen! Bei seinen vierunddreißig
Jahren . . .!"
„Und du Nonne, bei deinen achtundzwanzig
Jahren hast noch immer keinen Mann und weil
du häßlich bist, bist du gegen den armen Seiden-
faden, der Niemand was tut, niederträchtig! Du
allein hetzt die Kinder gegen ihn auf und nimmst
ihre Schlechtigkeit noch in Schutz. Aber künftig
haue ich sie . . ."
Nonne antwortete eulenspiegelnd, doch ernst:
„Jedenfalls haben die Kinder gegen seine Zu-
dringlichkeit sich mit vollem Recht gewehrt, seine
Backpfeife hat er weg! Ihr Stauniger darf die
kleinen Mädels gern anschauen und ihren Spuren
von fern folgen, aber es ist verboten, sie anzu-
rühren. Er tat allzu schön mit ihnen, aber meine
kleinen göttlichen Mädels waren eine harte Nuß,
die er nicht knacken konnte."
Nonne wollte aufstehen, als Sine jäh ihr eine
furchtbare Ohrfeige gab. „Da haben Sie Ihre
Backpfeife!", schrie die Bunte und stürmte fort.
Nonne weinte stille Tränen, die Wange schmerzte
von der harten Faust, sie war unglücklich über
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die Kränkung, aber ganz unfähig, sie zu rächen
und nach niedrer Weiber Art Sinen zum Faust-
kampf herauszufordern.
Sine verließ mit dem armen Seidenfaden das
ungastliche Haus. Nach dem Essen setzte sich
Nonne mit den Kindern zu Schularbeiten. Alle
besprachen eifrig das unerhörte Ereignis. „Nonne
hat ganz Recht", sagte Katharine, „der Affe hat an
Allem Schuld. Er war immer hinter allen Mädels
her."
Sibille trumpfte auf: „Nonne hätte nachgeben
müssen. Jetzt sind sie auf uns Alle wütend, und
Herr Seidenfaden verkehrt nicht mehr bei uns!"
Schweigstille pfiff: „Puff! Piano! Hopsa!" und
ahmte Ziehleute nach, die das Piano in Gurten
forttrugen.
„Die verfluchte Katze hat Nonne geschlagen",
brummte Katharine. „Uns hat sie nicht ge-
schlagen", rief stolz Sibille und leise flüsterte sie
Schweigstille zu: „Es ist ja bloß Nonne, Der scha-
det's nicht!"
Nonne richtete sich auf, weißen Schein im
Angesicht: „Sine will euch hauen, wenn ihr künf-
tig Streiche macht. Sie sagte, ich nähme all eure
Schlechtigkeit in Schutz."
„Se haut, haut, haut!" tobte Schweigstille.
Katharine schrie erregt: „Giebt es denn gar-
nichts gegen diese verfluchte Katze?"
Nonne sprach mit heimlich wachsender Stimme:
„Katzen beißen die kleinen, dummen Vögel durch
den Hals. Die Mutter warnt ihre Nestlinge, und
solange ich im Hause bin, wird keine Katze euren
Hals durchbeißen."
Sibille begann unter Nonnens Leitung den Auf-
satz: „Johanna von Orleans reitet allein im Geleit
von zwei Rittern zum Königshof."
Ende

Gedichte
Kurt Heynicke
Diese Tage
O Lächeln der Frauen
das in den roten Schoß der Tage verglimmt
ein blasses Feuer.
Ein Herzschlag nimmt
leise aus dem letzten Funken
einen zitternden Geigenstrich
und legt ihn auf die vernarbte Wunde.
Mir ist eine Stunde
lauter Sonnenblüten
in. den Schoß gefallen.
in den Schtaf
Meine Träume sinken in die Nacht
nimm in deine Hände
mein Haupt.
Dir au die Brust
lege ich meinen Gesang,
hoch
ihr Sterne über mir.
Meine Augen suchen den Glanz
der aus Bergwäldern streicht;
Sonne, die du bist.
Ferner Klang.
Geliebte.
Angriff
Sonnen stieben in Scherben.
Menschen ackern dampfende Erde
zuckende Pflugschare in brennenden Fingern.
Die Himmelslichter sterben auf die Städte hinab,
Flammen flirren auf
und fressen die Sterne.

Gedicht
Ans schwarzen Zweigen spreitet sich ein
dunkles Tor
mein Nachen schneidet schmerzhaft auf
den Fluten.
Gedanken tropfen leise in die Nacht
und legen weiße Tränen auf die Hände.
Die Brunnen steigen dunkel
die Granate bohrt sie.
Ich gehe durch den Tod der Freude
über buntes Laub.
Die Wasser schluchzen
wenn sie des Ruder schlägt.
Nahe
Schreit sich ein Geschoß aus den Fesseln.
Abschied
Die Stille spricht.
Miid gehn die Blicke waldein in die Nacht
und über unserm Fenster
stirbt das Leuchten.
Sacht
gleiten alle Schatten in die Ferne.
Dein Haar verblüht in meiner Hand.
Nun
irrt mein Tasten nach dem Wanderstabe
Und sucht das Licht des letzten Dampfers
auf dem Flusse..
Streife
Augen spiegeln in den Mond
alle Schritte frißt der Wald.
Im Traume spricht ein Maschinengewehr.
Flüche fallen in die Gräben
Hauptüber
reitet eine Granate auf dem Tod.
Gedieht
Steprie schatten Gottes Gesicht.
Meine Hände schreien in die Sterne
aus den Gassen blutet mein Ruf
himmelauf.
Mein Gebet ist ein weinendes Mädchen
aus den Stuben der Liebe.
Auf meiner Besinnung tanzen die Stunden.
Graue Vögel sind meine Tage
Worte verbrennen im Meere der Nacht.
Ich zerreiße das Lächeln der Sonne
und liege schlafend auf den Gräbern der Stadt.
Ich bin ein Spiel auf dünnem Gewässer,
Gottes Wind
weht meine Seele welthindurch.
v
Psaim
Deine Welt im Mai ist mein Altar
eine Frage himmelhinauf mein Gebet.
Ein Jubeln bin ich deinem Gewitter
ein weites Tor
ist deinen Stürmen mein Herz.
Berge knieen vor dir
Ströme schreiten deinen Gang
Meere singen Choräle deiner Hand.
Welle bin ich,
alle Gedanken töten deinen Namen
Staubhinab
Kniee ich bliitenüber
unfaßbar Dich.
Gedieht
Ich glänze tausend Gewänder,
ich hebe die Wälder an meine Brust,
in ihren Schatten geht meine Liebe.
Meine Liebe ist ein weißes Reh
meinen Händen ewige Sehnsucht.
Meine Seele ist ein blühender Baum,
im Tal schläft er mit dem Mai des Nachts.
Sternfall jubelt Erkenntnis in meine Besinnung,
ich fühle die Tage an meinem Fuß.
 
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