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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Viertes Heft
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Ausweisungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0056

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Ausweisungen
Kein Bück in Kunst
Ein Herr —pg— bemüht sich in der Schlesischen Volks-
zeitung um meinen Einblick in Kunst. Ich lasse ihn einen Blick
in Kunst tun und er selbst sieht ein, daß ich ,,deswegen in ihm
das Musterbeispiel eines Banausen oder auch Kunstkritikers
erkennen werde". So schlimm bin ich gar nicht. Ich erkenne
nur deswegen, daß Herr —pg— noch immer nicht sieht, was
Kunst ist. Er ist für mich kein Musterbeispiel. Ein Muster ohne
W)ert ist kein Beispiel und ein Beispiel kein Spiel. Also keine
Kunst. Diese Leute wollen immer nur beispielen, nicht einmal
mitspielen, so spielen sie immer nebenbei. Man höre: ,,In der
Einleitung stehen Sätze, die man ohne Weiteres unterschreibt,
mit haarsträubenden Ungereimtheiten zusammen, vielfach durch
unklare Wortspiele erst recht widersinnig verschoben". Man
sehe: Sätze (ungereimte) stehen mit Ungereimtheiten zusammen,
Schulter an Schulter, mit Ungereimtheiten, denen sich die
Haare sträuben. Die Ungereimtheiten stehen aber nicht sehr
lest, da sie durch Wortspiele widersinnig verschoben werden.
Solche Sätze schreibt ein oder auch Kunstkritiker, der nur Ge-
reimtheiten ohne Weiteres unterschreibt, weil er Ungereimtes
nicht schreiben kann. Nur daß ich keine Gereimtheiten schrei-
be. Herr —pg— wird sich aus diesem kaum einen Vers zusam-
menreimen. Denn Herr —pg— ist, wie alle Herren —pg—
Jeder, was bei ihm die Menschheit heißt:,,Waiden redet so viel
von Gefühl. Was hilft uns aber ein Gefühl, das auf jeden außer
dem Künstler selbst verrückt und im günstigsten Falle quälend
wirkt?" Ein Gefühl wirkt auf jeden verrückt, der sich nicht in
ein Gefühl verrücken kann. Jeder fühlt nur, wobei er sich
etwas denken kann. Jeder denkt nur, was schon gereimt ist.
Und wenn die Wörter ungereimt spielen, sträuben sich jedem
die Haare, soweit sie sich noch verschieben lassen. ,,Gönnen
wir uns einen anderen Einblick in Kunst: Die Jahresmappe."
Ja, die Jahresmappe. Dabei läßt sich etwas denken. Es tum-
melt sich in der Jahresmappe! „St. Michael von Friedrich
Wimhier schlägt auf dem Titelblatt sieghaft und stark niederem
Gewürm die Köpfe ab." So etwas tut Sankt Michael schon auf
dem Titelblatt. Die Jahresmappe scheint stark genug zu sein,
die Köpfung auszuhalten. ,,Die Bonifacius-Kirche in Hamburg
(Fritz Kunst) stellt auf schön gegliedertem Giebel die Gestalt
des Deutschen Apostels heraus." Ich glaube der Bonifacius-
Kirche, daß sie auf einem schön gegliedertem Giebel eine Ge-
stalt herausstellt. Ich glaube ihr das, wenn sie es ohne Hilfe
von Fritz Kunst tut. Die Kunst wird zwar menschlicher, wenn
sie einen Vornamen hat, aber sie wird nicht übermenschlich,
auch wenn sie die Bonifacius-Kirche auf einem Giebel heraus-
stellt. Herausstellen ist Theater. Auch Köpfeabschlagen ist
keine Kunst. Und wer sich kopflos herausstellt, ist das Muster-
beispiel eines oder auch Kunstkritikers.
Kopiunter
Kieler Zeitung: „Das Wort, das die Lächerlichkeit tötet,
scheint Futuristen, Kubisten und ähnlichen Käuzen gegenüber
sein Geltungsrecht verloren zu haben." Jedes Sprichwort lebt
länger als der Kauz, der es spricht. Auch wenn es in der Kieler
Zeitung das Geltungsbereich verloren zu haben scheint. Es
gilt. Nur merkt der tote Kauz nicht, daß er lächerlich ist. „Am
Fimistage kam ein sehr bekannter Futurist gerade noch zur
rechten Zeit, um mit Entsetzen wahrzunehmen, daß sein jüng-
stes Meisterwerk verkehrt aufgehängt war. Wütend trat er
heran, und war gerade dabei, es umzudrehen, als eine Schar
seiner glühenden Verehrer sich auf ihn stürzte, ihm die Hände
drückte, und ihm schmeichelhafte Dinge über die Vollendung
seines Meisterwerks sagte, daß der Unglückliche nicht den Mut
fand, einzugestehen, daß es ja auf dem Kopfe stehe." Jetzt wird
der Kauz der Kieler Zeitung aber Kopf stehen, wenn ich ihm sa-
ge, daß sein Futurist kein Futurist und kein Künstler war. Sonst
würde der Künstler, wenn er einer ist, den Mut gefunden haben,

einzugestehen, daß Bilder keine Köpfe haben, und keine Beine.
Daß Bilder kein Schwergewicht haben, haben dürfen, sondern
daß diese glückliche Eigenschaft den lächerlichen Dingen der
Erde Vorbehalten ist. Allerdings wenn sich Käuze malen las-
sen, wissen sie, was oben ist, nämlich da, wo ihre Beine nicht
sind. Vielmehr: Wo zwei Striche statt eines Kreises stehen.
Der Kauz sieht in jedem Kreis einen Kopf, wenn auch jeder
Kopf lange nicht ein Kreis ist. Ein Bild ist, wenn man weiß, was
oben ist. Analyse der Kieler Zeitung und verwandter Preß-
organe. Oder Lächerlichkeit tötet. Noch ist das Geltungsrecht
nicht verloren.
Denker und Dichter
Herr Karl Scheffler dichtet weiter Novellen, nachdem ich ihm
die Kunstkritik verleidet habe. Herr Scheffler schreibt Novel-
len im Ullsteinstil für Ullsteinleser. Er glaubt, auf diese Weise
die neue Kunst bekämpfen zu können, die nicht nur neue Kunst
ist, die die Kunst ist. Seine Novellentechnik ist die bewährte: er
kommt den Lesern sanft entgegen. Scheffer und die anderen An-
hänger von Ullstein wissen eben, wie Kunst entsteht: „Der junge
Meister trieb sich spazieren im Park lesend auf dem Sofa oder de-
battierend im Cafe umher. Hier saß er mit den Kollegen bis in die
Nächte, um über die neue Kunst zu sprechen, die nun endlich
kommen müsse." Die Kunstmaler von Schefflers Gnaden ver-
treiben sich die Kunst damit, Bücher von Scheffler zu lesen.
Hierauf vergeht ihnen alle Lust, über Kunst zu sprechen. Im-
merhin will ich Herrn Scheffler und seiner zarten Leserschar
gern glauben, daß sie glauben, Kunst kommt vom Sprechen,
insbesondere durch das Besprechen von Herrn Scheffler. Ich
kann den Lesern dieser Zeitschrift nicht seine ganze Novelle
„Die Geburt des neuen Stils" hier abdrucken lassen, weil eben
der Verlag Der Sturm nicht der Verlag Ullstein & Co. ist, und
weil die Vossische Zeitung vom 19. Mai 1917 ihren Verdienst
haben soll. Die Novelle ist aber zum Glück gegenständlich.
Man kann die Handlung erzählen und man kann sich sogar dabei
etwas denken. Ein Vorzug, den die Kunst leider nicht hat, wes-
halb siei auch nicht im Verlag Ullstein & Co. erscheint. Also
dieser junge Meister aus dem Cafe hat ein Atelier mit einem
Gliedermann und einem Gipsabguß der medicischen Venus.
Diese beiden lernen sich, wie das in Ullstein-Büchern üblich ist,
kennen und lieben. Der Gipsabguß ist für Ullsteinverhältnisse
sogar etwas anmaßend. Er äußert sich über den abwesenden
Meister: „Wie habe ich mich für ihn geschämt, wenn er hier ein
nacktes Menschenweib als Modell vor sich stehen hatte und
nach diesem kümmerlichen Körper dann arbeitete. Du hast
mich mit diesen Geschöpfen vergleichen können; war ich nicht
viel schöner?!" Hierbei gibt es etwas zu denken. Herr Scheff-
ler denkt, mit leichter Ironie, was so die Ullsteinpresse für
Ironie hält: diesen jungen Meistern des neuen Stiles genügt das
nackte Menschenweib als Modell nicht mehr, weil ihnen die
Natur zu wenig ist. Also müssen sie sich, denkt Herr Scheffler
weiter, wieder zum Gipsabguß bekehren. Denn daß es außer-
dem etwas gäbe, das ahnt Herr Scheffler nicht einmal. Stil
ist für ihn Gipsabguß. Die Novelle geht indessen unbeküm-
mert weiter. Sie wird erotisch und naturalistisch, also modern
nach Schefflerart. Die holden Leserinnen der Vossischen Zei-
tung werden außer sich vor Entzücken über ihren perversen
Ullsteinmeister gewesen sein: „Er streckte die langen Arme
der Göttin entgegen und hob sie zu sich aufs Podium herauf.
Dabei fiel sein Gewand zu Boden und er stand nackt da in der
ganzen Pracht seiner Kugelgelenke. Da ließ auch Venus die
schützenden Hände sinken, gab sich hin, und beide sanken, in
tiefer seliger Umarmung auf das Lager-!
Teufi, Teufi. Neun wohlgezählte Gedankenstriche, was man
sich dabei denken kann. Das ist ein Moderner, dieser Scheff-
ler. Sinnfällig, daß das Lager kracht. Und die Novelle geht
immer unbekümmert weiter. Der Gipsabguß fühlt sich guter
Hoffnung, gebar einen stattlichen Jüngling, was etwas unnatu-
ralistisch ist, aber die Naturalisten tun es nicht unter Stattlich-
keit, der junge Meister von Schefflers Gnaden kommt einmal aus

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