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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 8.1917-1918

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Viertes Heft
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Däubler, Theodor: Albatros
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Bommersheim, Paul: Die Hoho-Katze
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Knoblauch, Adolf: Gereut, [3]: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.37114#0062

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und zugleich vom Vollmond abwärts bis zu eurer, der geschlif-
fenen Sichel ebenbürtigen Schwingenschmiegsamkeit. Es tau-
chen auch in Euch alle Sterne und Sternzeichen auf und nie-
der. Sogar die Milchstraße ist im Albatros vorhanden, nur wird
sie dauernd vom Schwingeschwang der Sicheln überstrahlt. Der
Augenblick „Neumond " entgeht jedem Vogel, denn er findet
weder Reim noch sangbaren Ausdruck. Er bedeutet Freiheit.
Die hat blos das Ich. Und das Ich beschwingt die W<elt. Auch
du, Vogel, drehst dich um uns, die wir ein Ich sind: sogar der
Mond! In unserm Augenblick, mehr ist es nicht, herrscht die
Milchstraße, siegen die beiden Polarsterne, besteht der Mensch.
Das Ich bestimmt sich und die Sterne, daher kommt es, daß kein
Mensch fliegen kann. Hingegen fliegen von allem Anfand an
Monde um den Menschen herum: der Mann vollbringt seine
ersten Taten: sie heißen Vögel und der Mond. Das Weib weicht
bereits vom Manne etwas ab, denn es wohnt ihm mondhafte
Schmiegsamkeit inne. Es wird vielleicht einmal fliegen. Je-
denfalls viel eher als der Mann. Der Mann verschmäht ja den
Flug. Er siegt, singt, reimt, ahmt das Fliegen nach, um dem
Weibe zu gefallen: das Ich besteht. So überlistet, erhöht auch
der Mann, als Schwan oder Taube verkleidet, seine willige
Welt: das Weib. Das sind aber auch lauter leichter begreif-
liche Vollmondtiere. Zumal der Schwan. Nicht weich ist hin-
gegen der Albatros: in ihm gebiert sich bereits die schmiegsame
Anspannung zum Stahl. Der Degen, auch ein treffliches Sichel-
geschenk, wurde im Augenblick des Aufblitzens der Idee Stich,
Gegenstich, im Manne sofort nach Neumond entdeckt. Zwei
gekreuzte Degen entsprechen, ebenso wie die Schwingen des
Albatros, einem bis zur höchsten Genauigkeit hinaufgewagten
Reimpaar. Der Säbel fuchtelt schon mehr durch die Luft; er
wurde um Vollmond herum erfunden und entspricht als Verkör-
perung des Gedankens Hieb, Gegenhieb, mehr flatternden Flü-
geln. Der Albatros hat kein Ich: er ist blos im Schwung gehal-
tenes Weltwissen. Den Dahinsegelnden begleitet er rastlos.
Nur einmal im Monat berührt er den Schaum der Welle oder
sein Weibchen. So, eine verleiblichte Antwort auf die Frage
was tut der Mond ist der meerbekreisende Albatros.
Theodor Däubler

Die Hoho-Kat$e
- , — , , Wenn Du dies iiest:
Paul Bommersheim Ein Lächetn tiefstinnen
und noch tiefer Gott.
Eine große grüne Katze, gelbäugig, sprang vom Dach eines
Hauses herab, als die Bahnschlange ihre Glühaugen immer näher
schob- Das liebe Untier wollte niemand nichts antun. Es wollte
nur die Fahrgäste ein bischen necken. Und damit glaubte das
bange Zittern seines Tierherzens Gott zu loben. Das Tier stand
auf den Hinterbeinen, als der Zug seinen grünen Leib ableuch-
tete und seine Nase mit Dampf kitzelte. Die Vorderpfoten
tätzelten in den Telegraphendrähten herum. Ein Satz und die
Katze saß auf der Eisenbahn. Sie machte auf dem Dach ihre
Sprünge, daß die Wagen wackelten und die Leute nur so auf
ihren Plätzen herumhopserten. Dann streckte das Vieh seinen
Grünkopf in ein Abteilfenster und drehte die gelben Augen hin
und herum. Im Abteil ruhten Menschen zusammen. Sie kann-
ten sich nicht und waren qloch alle Menschen. Schrei: „Jessus,
Jessus, ich sterbe!" Und das Mädchen kroch in sich zusammen
fast bis zum Punkt. Ein blauer Pfarrer sagte: „Fürchte Dich
nicht, das ist Gottes Lieblingstier. " Das glaubte ein fettglän-
zender Gescheiter nicht, da flog er zur Strafe zum Fenster hin-
aus und nun saß er auf dem Bahndamm und konnte zu Fuß zur
nächsten Station strampeln. Ein Berliner wußte Bescheid: „Ja,
das ist die Hoho-Katze. Die ist sanft. Die kann man strei-
cheln." Und er klopfte dem Tier ins Knisterhaar, daß es knurr-
te. Und er neckte weiter: „Du hast ja Haar, daß man dir einen
Zopf flechten kann." Wie er es aber am Haar packt, hopp ist
der 'Katzenkopf mit dem Berliner schon hoch und der Berliner

sitzt auf dem Dach. Es war aber auch ein Flötenbläser im Zug.
Durch den fuhr ein Strahl und es öffneten sich seine Augen-
lider überm Blau. Er stand auf, öffnete die Tür, setzte sich aufs
Trittbrett und flötete der Hoho-Katze vor, daß ringsum das
durchfahrene Land stille wurde und der Zug im Takt des Liedes
fuhr. Da harschte der Herr Schaffner den Musikanten an: „In
Preußen ist es verboten, auf dem Trittbrett zu sitzen." Der An-
geschnauzte aber: „Ich bin preußischer Pfeifer und hab auf alles
zu pfeifen. Deshalb pfeif ich auch auf Euer Verbot." Da lach-
ten dem Schaffner die roten Bäckeichen um den roten Nasen-
wulst herum; er rupfte sich am Schnauzbart und ging weg. Der
Pfeifer darauf klebte seine Locke an die Stirn und flötete das
Lied:
Blaugrundwelle, Urgeflüster,
aus dir springt das auf, springt das auf:
weiße Gedanken, große Träume,
Gedichte, Tiere, Kinder, Blumen,
flutende Gesichte, die über ein stürzen,
Töne, Liebe . . . Liebe, Liebe,
Lächeln, Sträuße, Augen, Strahlen,
Menschenlustigkeit.
Blaugrundwelle, Urgeflüster,
Springst du auf. Springst du auf.
Springst über alles. Springst über alles.
Tiefe Augen tauchen aus dir,
Geister geisten aus dir.
Blaue Blasen steigen himmelauf.
Und so flötete der Bläser seine Lieder weiter. Die Katze
aber tanzte zu den Liedern. Bald duckte sie sich auf das Dach,
daß sie Dellen hineindrückte, so eng und fest. Bald streifte sie
sich aufrecht; die Vorderbeine weit auseinandergestreckt; die
Augen weit aufgerissen im Dumpfstaunen des Tiers. Dann
stürzte sie sich nach hinten, schlug Purzelbäume über alle Wa-
gen, bis ihr Fell schwarz war von der rußigen Eisenbahn. Als
der Zug an ein Kaktusbeet kam, da hatte sich auch die Hoho-
.Katze schon hineingestürzt und wälzte sich so recht von Herzen
drin herum. Die Stachelköpfe aber taten sich zusammen und
rupften ihr freundlich und sorgfältig den Ruß vom Fell. Indes-
sen konnte der Zug nicht mehr weiterfahren; so fest hafteten die
Blicke aller Reisenden an dem lustigen Untier.
Auf einmal sprang es auf; schüttelte die Flocken seiner
Mähne und jagte, verschwand in den Wäldern. Aus den Wäl-
dern schossen grüne Flammen. Ein Baum warf dem andern den
roten Sonnenball zu. Bis dieser an einen schwarzen Baum kam.
Der war so schwarz, daß er den Tagesstern nicht halten konnte.
Da fiel die Sonne hinab. Da sanken alle im Zug zum Schlaf zu-
sammen. Nur ein Dichter-Mensch wurde gegangen. Er wurde
geklettert .. . . leise . . . auf das Dach des Wagens und ragte
in die Nacht. Viele Sterne erzählten sich Kichern und Knistern.
Vom Saturn her sang ein Kinderlied. Auf einmal stieg die Hoho-
Katze die oberste Planetenbahn hinauf und das Tier war auf-
gebaut aus grünen Gestirnen und schwänzelte mit Kometen.
Auf seinem Rücken trug es den Höchsten durch sein Reich.
Goldfarbiges Lächeln fiel von den Lippen des Höchsten in die
Welt.

Gereut
Erzählung
Adolf Knoblauch Fortsetzung
IX
Gereut hatte seinen Verlagschef ersucht, ihn als Arbeiter im
Maschinensaal der Druckerei einzustellen. Er verabscheute
die eleganten Zehnpfennig-Blättchen des Verlages, aber sie zu
drucken dünkte ihm eher eine produktive Arbeit, als Ver-
sand-Adressen zu schreiben. Der Chef hatte indessen keine
sonderliche Meinung von Gereuts Eignung für produktive Ar-
beit und lehnte das Anerbieten schlicht ab. Gereut kündigte
darauf den Dienst.

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