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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Siebentes Heft
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Mürr, Günther: Raumfahrt
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Schwitters, Kurt: Die Zwiebel
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0105

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Stahl verweht
Fliegen weitet Bogen Riesen
Reißen Netze
Riesen übertaumelt
Sausen irr
Gleiten Starre
Sturz zerschrien


Die Zwiebet
Kurt Schwitters
Es war ein sehr begebenwürdiger Tag, an
dem ich geschlachtet werden sollte. (Fürchte
dich nicht, glaube nur!) Der König war be-
reit, die beiden Sekundanten warteten. Der
Schlächter war auf halb sieben Uhr bestellt;
es war ein Viertel aut sieben Uhr, und ich
selbst ordnete die nötigen Vorbereitungen
an. Wir hatten eine geräumige Diele ausgc-
wählt, so daß viele Zuschauer bequem teil-
nehmen konnten, Telephon war in der Nähe.
Der Arzt wohnte im Nachbarhause und hielt
sich bereit iür den Fall, daß von den Zu-
schauern jemand ohnmächtig werden sollte.
(Andenken an die Konfirmation.) Zwei ge-
waltige Flaschenzüge hingen unter der
Decke, um mich hochzuwinden, falls ich aus-
genommen werden sollte. Vier starke
Knechte standen für Flandreichungen zur
Verfügung, ehemalige russische Kriegsgefan-
gene, breite, knochige Gestalten. (Zeitschrift
für Haus- und Grundbesitz.) Zwei saubere
Mägde waren auch zur Stelle, blitzsaubere
Dirnen. Es war mir ein angenehmer Gej-
danke, daß diese beiden hübschen Mädchen
mein Blut quirlen und meine inneren Teile
waschen und zubereiten sollten.
Die Diele war sauber gefegt und gewaschen.
Zwei lange weißgescheuerte Tische hatte
ich an die eine Seitenwand stellen lassen;
darauf standen etliche Schalen, Messer und
Gabeln. Ich ließ jetzt gerade ein Wasch-
geschirr, Wasser und Handtuch bringen, auch
etwas Seife (Sunlight.) Anna und Emma, die
beiden Mägde, brachten einen Kübel und
einen Quirl. Es ist doch ein eigentümliches
Gefühl, wenn man in zehn Minuten ge-
schlachtet werden soll. (Die Opfer der Mut-
terschaft.) Ich war bislang in meinem gan-
zen Leben noch nicht geschlachtet worden.

Dazu muß man reif sein. Ja, überhaupt wenn
die Kartoffeln erst raus müssen, und der
Hafer ab ist, dann wirds schlecht. Wir haben
überhaupt noch keinen rechten Sommer ge-
habt. Zehn Minuten können sehr lang er-
scheinen. (Glaube, Liebe Hoffnung.) (Enten
gänsen auf der Wiese.) Es war alles bis aufs
kleinste vorbereitet.
Da kam auch schon die Prinzessin. Sie hatte
ein kurzes, weißes Röckchen an, ein wenig
kraus gesessen, aber es stand ihr gerade sehr
anmutig. Der Kirchturm ist nämlich sehr
steil. Lenzesilur, in Freundschaft gewidmet.
Hüpft strampeln Königstochter Beinchen
zierlich. Ich liebe diese zierlichen stram-
peln Hüpfekönigstochterbeinchen Schwanz
wedelt saure Sahne. Sie stellte sich Tinten-
glas vor mir und fragte glockenrein weiß
Spitzen sauber: ,,Sollen Sie heute geschlach-
tet werden?" Heiß fischen Messer schießen
Blut, Ich senkte purpurn Augen und war
von ihrem Gruße beglückt, ,,Wie schön bist
Du, Alves Bäsenstiel, ein schöner Mann!"
sagte sie rot Lippen Ader kochen Blut,
glückliche Reise! Keck spitziaden Nase:
,,Ich bringe Dir den letzten Gruß der Welt.
Nonne sollst Du werden! (Mein Haus sei
Deine Welt.) (Leder ohne Kopf) (Walk-
leder nach Nabelmaß.) Sie haben es sicher
diese Lage recht eilig, um alles einzurichten
auf diesen ernsten Tag. (Friede sei mit Dir.)
Wie sind Sie so schnell reif geworden, über-
reif! Wie können Sie freudig auf Ihre Reife
blicken! Möge sie Ihnen nur immer Freude
bereiten! Wie schön, daß sich das Wetter an
Ihrem Schlachttage hält, daß der Schlächter
per Rad zu Ihnen fahren kann." (Echt Brüs-
seler Handarbeit.) Gesund zu sein ist Glückes
Gunst. ,,Erlauben Sie, Prinzeßchen, daß ich
eben telephoniere. Es ist bereits halb sieben
Uhr, und der Schlächter ist noch nicht da.,,
,,Hallo! Sind Sie der Schlächter selbst? Die
Zuschauer werden ungeduldig, warum kom-
men Sie nicht?" (Von nun an bis in Ewig-
keit!) ,,Beginnen Sie nur die Feierlichkeiten!
Soeben habe ich meine Schwester als Wet-
terhahn auf den Kirchturm gespießt. Der
Kirchturm ist nämlich sehr steil und oben
stachelt Fisch in der Peitscheluft. Der Blitz-
ableiter war sehr verrostet und wollte nicht
recht durch den Bauch meiner Schwester
spießen. Doch blank stachelt Fisch in der
Peitschestank. Beginnen Sie nur mit den
Formalitäten!"


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